Beiträge von Estandia

    Coco Mellors – Cleopatra and Frankenstein

    "New York entgleitet Cleo zusehends. Sicher, sie ist jeden zweiten Abend auf einer anderen Party, aber sie kennt kaum jemanden. Ihr Studentenvisum läuft aus, und sie hat nicht einmal Geld für Zigaretten. Doch dann lernt sie Frank kennen. Frank ist zwanzig Jahre älter und sein Leben ist voller Erfolg und Überfluss, der Cleo fehlt. Er bietet ihr die Chance, glücklich zu sein, die Freiheit zu malen und die Möglichkeit, eine Green Card zu beantragen. Sie bietet ihm ein Leben voller Schönheit und Kunst - und hoffentlich auch einen Grund, seinen Alkoholkonsum einzuschränken. Er ist alles, was sie im Moment braucht.

    Cleo und Frank stürzen sich Hals über Kopf in eine Romanze, mit der keiner von ihnen so recht Schritt halten kann. Sie verändert ihr Leben und das der Menschen in ihrer Umgebung, sei es Cleos bester Freund, der nach ihrer Heirat mit seiner geschlechtlichen Identität zu kämpfen hat, oder Franks finanziell abhängige Schwester, die sich mit einem Sugar Daddy verabredet, nachdem ihr der Hahn abgedreht wurde. Letztendlich verändert diese zufällige Begegnung zwischen zwei Fremden außerhalb einer Silvesterparty alles, im Guten wie im Schlechten."

    Ich fand's großartig! Interessante Charaktere, keine Längen, eine glaubhafte Entwicklung der Handlungsbögen, keine Überspannung der "Drogenthemen", die ich persönlich nicht leiden kann und ein sinnvolles, Hoffnung machendes Ende. Ich mochte Cleo sehr, auch viele der Nebencharaktere, die echt gut ausgearbeitet waren.

    Diskutierte Themen sind: Liebe und Desillusionierung, mentale Gesundheit und Trauma, Identität und Zugehörigkeit, Kunst und Kommerz.

    Sara Gran – Come Closer

    "Noch einen Wimpernschlag zuvor schien Amandas Leben völlig in Ordnung: ein verlässlicher Ehemann, ein interessanter Job in einem Architekturbüro, ein schönes Loft in einer angesagten Gegend von New York City. Doch dann geschehen seltsame Dinge: In ihren Entwürfen tauchen obszöne Schmierereien auf. Amanda fühlt sich von einer Frau verfolgt. In ihrer Wohnung hört sie ein unerklärliches Pochen und Knarren, und sie verspürt auf einmal das dringende Bedürfnis, Menschen zu verletzen. Jemand scheint von Amanda Besitz zu ergreifen. Jemand, der stärker ist als sie - und sehr grausam ..."

    Thalias Beschreibung klingt reißerischer als ich es beschreiben würde, fasst die Sache aber trotzdem gut zusammen. Auf rund 200 Seiten begleitet man Amanda mit großen Schritten in den mentalen Abstieg. Anfangs passieren diverse kleine Dinge und hier und da kann Amanda sich ihre Fauxpas durchaus erklären und schönreden aber nach und nach wird alles in ihrem Leben irgendwie immer schlimmer. Erzählt aus Amandas Sicht in tagebuchähnlichen Zusammenfassungen ohne viel Schnickschnack gelingt es Sara Gran eine richtig unangenehme Atmosphäre zu schaffen, die Amanda förmlich zerreibt. Ich mochte vor allem die erste Hälfte, den Versuch herauszufinden, ob man wirklich besessen ist oder ob man sich alles einbildet und was für Dinge vor sich gehen, was sie bedeuten könnten und das aufkeimende Problem andere Menschen und Situationen nicht mehr einschätzen zu können... Der versierte Horror-Leser wird wahrscheinlich nach den ersten paar Seiten wissen "wohin die Reise geht". Ich fand es erfrischend böse :ugly: und ich mochte die Lore, die gegen Ende angeschnitten wird.

    Diskutierte Themen sind dämonische Besessenheit vs. Nervenzusammenbruch, unterdrückte weibliche Wut und Autonomie, Kontrolle, Identität und gesellschaftliche Erwartung, Isolation und unzuverlässiger Erzähler.

    Ricardo Romero – The President's Room

    "In einem namenlosen Vorort in einem ebenso namenlosen Land ist in jedem Haus ein Zimmer für den Präsidenten reserviert. Keiner weiß, wann oder warum es dazu kam. Das Zimmer wird sauber und ordentlich gehalten, niemand spricht darüber und niemand darf es benutzen. Es ist für den Präsidenten und für niemanden sonst. Aber was ist, wenn er nicht kommt? Und was, wenn er doch kommt? Im Laufe der Ereignisse wird der Leser im Unklaren darüber gelassen, was wirklich vor sich geht. So sehr, dass man sich zu fragen beginnt, ob man sogar dem Erzähler trauen kann... Das Zimmer des Präsidenten ist eine geheimnisvolle Geschichte, die auf dem Verdacht beruht, dass ein Haus niemals nur ein einziges Zuhause ist."

    Eine Novelle, erzählt aus der Sicht einen schüchternen Jungen, mit einem älteren und einem jüngeren Bruder, lebt er mit seinen Eltern in einem Haus, das die Außenwände mit anderen Häusern teilt und die Keller zugemauert sind. Der Junge ist vom Raum des Präsidenten fasziniert und zugleich verängstigt. Wenn er draussen vor dem Fenster auf den Lorbeerbraum klettert, kann er in den Raum hineinsehen, er kennt die Objekte darin und doch hat er diesen Raum noch nie betreten...

    Auf knapp 90 Seiten wird hier eine Reihe an Themen skizziert, die aber alle irgendwie Spoiler wären. Erzählt mit der Ich-Stimme eines Kindes, die Selbstreflexion, Fantasie, alltägliche Details und unausgesprochene Ängste miteinander verbindet, bewegt sich die Narrative irgendwo an der Grenze zwischen Realismus und Phantastik. Auch wenn ich es schnell weggelesen habe, werde ich sicher noch einige Tage drüber nachdenken.

    Helen Phillips – Hum

    "In einer Welt der nahen Zukunft, die durch den Klimawandel geschädigt und von intelligenten Robotern, den so genannten „Hums“, besiedelt ist, verliert May ihren Job an eine künstliche Intelligenz. In ihrer Verzweiflung, die Schulden ihrer Familie zu begleichen und ihre Zukunft für ein paar weitere Monate zu sichern, wird sie zum Versuchskaninchen in einem Experiment, das ihr Gesicht so verändert, dass es von der Videoüberwachung nicht erkannt werden kann. Auf der Suche nach Erholung von den jüngsten Entbehrungen und der Abhängigkeit ihrer Familie von ihren technischen Apparaten kauft May Eintrittskarten für ihre Familie, um drei Nächte im Botanischen Garten zu verbringen: ein seltenes grünes Refugium, in dem noch Wälder, Bäche und Tiere existieren. Doch als ihre Kinder bedroht werden, ist May gezwungen, ihr Vertrauen in einen Hum mit unklaren Motiven zu setzen, um ihre Familie zu retten. – Geschrieben mit „Präzision, Einsicht, Sensibilität und Mitgefühl“, ist Hum ein „beeindruckendes neues Werk dystopischer Fiktion“, das sich mit der Komplexität von Ehe, Mutterschaft und Selbstsein in einer Welt auseinandersetzt, die durch die globale Erwärmung und den schwindelerregenden technologischen Fortschritt gefährdet ist - eine Welt mit sowohl dystopischen als auch utopischen Möglichkeiten."

    Wiedermal passt hier Thalias Beschreibung wirklich gut. Ich habe Phillips' Vorgänger "The Need" zwar wesentlich besser gefunden, aber "Hum" hatte auch wieder viiiel von dieser Sensibilität einer Mutter, die sich um ihre Kinder sorgt und im Angesicht von Konflikten und Bedrohungen versucht nicht den Kopf zu verlieren. Die dystopische Welt war (fast zu) glaubwürdig, die wenigen Charaktere komplex und interessant. Dennoch ist dies ein sehr ruhiges Buch, in dem nur wenige Tage vergehen, ohne Eile, aber getragen von May's Stress und Ängsten um ihre Kinder.

    Alan Murrin – The Coast Road / dt. Coast Road

    "Herbst 1994. Die Bewohner des irischen Küstenstädtchens Ardglas beschäftigt nur ein Thema: Colette Crowley – Dichterin, Bohemienne, die Frau, die ihre Familie verlassen hat, um in Dublin ihr Glück zu finden – ist zurück und wohnt in einem kleinen Cottage an der Coast Road. Jeder ihrer Schritte wird von der Gemeinde argwöhnisch beäugt. Hat sie es verdient, dass ihr Mann ihr den Zugang zu den Kindern verwehrt? In ihrer Verzweiflung bittet Colette eine Bekannte um Hilfe, Izzy Keaveney, Hausfrau und Mutter, unglücklich verheiratet mit einem Lokalpolitiker, der sich ausgerechnet für die Legalisierung der Scheidung im Land einsetzt. Und so entsteht zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Frauen eine Bindung, die ihre Leben in ungeahnte Bahnen lenkt.
    In schnörkelloser Prosa, mit psychologischem Feingefühl und großartiger Beobachtungsgabe erzählt Alan Murrin von den gesellschaftlichen Einschränkungen, die Frauenleben in Irland vor gerade einmal dreißig Jahren bestimmten – kurz bevor Scheidung in einem Referendum mit knapper Mehrheit legalisiert wurde – und beleuchtet dabei subtil, was Frauen überall auf der Welt auch heute noch davon abhält, ihre Partner zu verlassen."

    Thalias Beschreibung passt ganz gut. Ein Mikrokosmos an ausgesuchten Charakteren, jeder glaubwürdig und vielschichtig, auf ein Ereignis hinsteuernd, das auf der ersten Seite anskizziert wird. Ich fand es großartig! Hauptthemen sind: Patriarchat und rechtliche Zwänge, Freundschaft und Solidarität, Gerüchte, Überwachung und Druck der Gemeinschaft, Individuelle Freiheit vs. Tradition, Tragödie und moralische Verantwortung.