Beiträge von Estandia

    Kevin Wilson – Hier gibt's nix zu sehen / Nothing to see here


    "Lillian und Madison waren ungleiche und doch unzertrennliche Freundinnen im Elite-Internat Iron Mountain – bis Lillian nach einem Skandal unerwartet die Schule verlassen musste. Seitdem haben sie kaum voneinander gehört. Doch jetzt braucht Madison Hilfe: Ihre Zwillingsstiefkinder sollen bei der Familie einziehen, und Madison möchte, dass Lillian sich um die beiden kümmert. Der Haken: Die Kinder gehen spontan in Flammen auf, wenn sie aufgeregt sind. Im Laufe eines schwülen, anstrengenden Sommers lernen Lillian und die Zwillinge, einander zu vertrauen – und cool zu bleiben. Überrascht von den eigenen intensiven Gefühlen und ihrem erwachenden Beschützerinstinkt bemerkt Lillian, dass sie die seltsamen Kinder genauso dringend braucht, wie diese sie brauchen."


    Das Buch wird beschrieben als "mit scharfzüngigem Witz, viel Herz und bestechender Zartheit erzählt Kevin Wilson eine höchst ungewöhnliche Geschichte über elterliche Liebe und Kinder mit bemerkenswerten Fähigkeiten", dem ich nur teilweise zustimmen kann. Die Sprache, das mag evtl. auch an der deutschen Übersetzung liegen, klingt wirklich seeehr nach Jugendliteratur, obwohl die Protagonistin Anfang 30 ist. Der "Witz" findet sich eher in der Wahl von, meist unpassend übertriebenen, rauen Worten, das "viel Herz" beschränkt sich auf die wenigen Sätze, die das Wort Liebe im Kontext der Kinder enthalten. Im Großen und ganzen bleibt das Buch oberflächlich mit einigen ausgesuchten, vom Ton her wesentlich düsteren, aber nicht weiter ausgearbeiteten, Themen. Lillian ist ein interessanter, skurriler, oft wütender Charakter, aber sehr verzeihend gegenüber den Ungerechtigkeiten, die ihr zustoßen und mMn demnach etwas unglaubwürdig, was wohl unterstreichen soll, dass sie ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden hat. Dennoch werden ihr zwei 10-jährige aufgehalst, die einen schweren Start hatten und alle finden das gut, weil jemand anderes die Verantwortung übernimmt, jemand der dem aber noch nicht gewachsen ist.

    Evie Wyld – The Bass Rock / Die Frauen


    "Der Bass Rock wirft seit Jahrhunderten einen Schatten auf North Berwick und seine Bewohner. Neu unter ihnen: Ruth Hamilton, die in den Jahren nach dem Krieg mit ihrem Mann und zwei Stiefsöhnen in ein zugiges Haus am Meer zieht. Ruth ist zum ersten Mal schwanger und zusehends allein: die Kinder im Internat, der Mann über Wochen in seiner Londoner Kanzlei. Als Großstädterin hadert sie mit der Abgeschiedenheit und auch mit den sonderbaren Gebräuchen der einheimischen Gesellschaft. Ein Strandpicknick mitten im Winter? Die Frauen eigenartig kostümiert? Ruth passt sich an, ein wenig. Bis sie begreift: Das hier passiert nicht nur ihr. Es ist ein altes Spiel. Sie soll es nicht gewinnen.

    Ein halbes Jahrhundert später, das Anwesen am Bass Rock steht zum Verkauf, kommt wieder eine Frau in den Norden. Viv hadert mit ihrem Single-Dasein, aber auch mit den Gelegenheiten, es zu beenden. Außerdem schläft sie schlecht, in jedem der Betten in dem alten Haus. Ihr ist, als würde sie heimgesucht von dunklen Geschichten. Geschichten von aufsässigen Frauen, von Frauen in Bedrängnis. Und ihre Stiefgroßmutter Ruth ist nur eine davon.

    Im Ton mal spöttisch, mal drastisch und voll wilder Wut über eine Welt, die den Männern allein gehört, ist Evie Wylds «Die Frauen» Ghost Story, Kampfschrift, Familiensaga. Ein Buch mit vielen Gesichtern."


    Der letzte Satz fasst das Ganze eigentlich ganz gut zusammen: Die Hauptthemen des Buches sind Gewalt gegen Frauen, Patriarchat und Macht, Trauma und Erinnerung, Isolation und Einsamkeit.

    Die Narrative wechselt lose zwischen Viv (in der jetzigen Zeit), Ruth (kurz nach dem 2. Weltkrieg) und dem Mädchen Sarah (~ 18. Jhd.). Jede Geschichte, jeder Charakter ist ausgereift, glaubwürdig und die Zusammenhänge komplex aber nicht überfordernd. Weiter unterfüttert wird die Geschichte mit kurzen Vignetten namenloser Frauen, die auf die eine oder andere Art Gewalt durch Männer oder Unterdrückung durch die Gesellschaft erfahren haben.

    Lisa Jewell – The Family Upstairs / Was damals geschah


    "In einem großen herrschaftlichen Haus in Londons elegantem Stadtteil Chelsea liegt ein Baby in seinem Bettchen. Das kleine Mädchen ist satt und zufrieden, es fehlt ihm an nichts. In der Küche des Hauses liegen drei verwesende Leichen. Neben ihnen eine hastig hingekritzelte Nachricht. Die drei sind seit Tagen tot. Doch wer hat sich dann um das Kind gekümmert? Und wo ist diese Person jetzt? Fünfundzwanzig Jahre später erhält eine junge Frau namens Libby einen Brief, der sie überraschend zur Erbin des Anwesens erklärt. Die Fragen von damals wurden nie beantwortet. Und schon bald nach ihrem Einzug beschleicht Libby das Gefühl, dass sie nicht allein im Haus ist ..."


    Erzählt aus drei unterschiedlichen Perspektiven entwickelt sich hier ein sehr interessanter Psychothriller, der mit mäßigem Tempo und überschaubaren Charakteren eine sehr komplexe Geschichte zeichnet. "Superspannend" wäre glaube übertrieben, aber die Geschichten der Charaktere halten gut bei Laune und ein paar Twists waren auch dabei. Das Ende war sehr zufriedenstellend, evtl. hole ich mir den zweiten Teil dazu.

    Der Hund ist natürlich immer ein Produkt seiner Genetik aber vor allem seiner Umwelt. Jedes Verhalten, dass ein Hund zeigt, wird auf irgendeine Art belohnt. Entweder intrinisch oder extrinsich. Oft ist nicht herausrechenbar wie viel der Hund bereits in seinem Leben durch die Umwelt – sprich auch den Halter – belohnt wurde, diverse Verhalten zu zeigen. Genetik macht diverse Verhalten einfach nur wahrscheinlicher, für den Halter ist es demnach schwerer sie einzuschränken, wenn sie dann aus dem Ruder laufen. Alles am Hund ist individuell, Trainingserfolge stehen und fallen aber vor allem mit dem Halter und dessen Anforderungen.


    Ich hab mal gehört, Hunde die vokalisieren, sind per se erregter als ruhige Hunde. Erregung an sich ist ja nichts schlechtes. Der Halter bestimmt, in welcher Form Vokalisierung erlaubt/erträglich ist. Schwierig wird das ganze, wenn mal so, mal so belohnt/gestraft wird...

    Wir suchen nach einer neuen Wohnung, ich bin auch schon Jahre raus aus dem Thema ...


    Nebst den gängigen Fragen des Vermieters, gab es nun auch diese "Warum wären Sie die idealen Mieter für diese Wohnung?"


    Ist das neu? Ist das sinnvoll?

    Was antworte ich da schlaues, wenn sich bereits 1.500 andere Leute auf diese Wohnung beworben haben...

    Danya Kukafka – Notes on an Execution / Notizen zu einer Hinrichtung


    "Ansel Packer soll in zwölf Stunden sterben. Er weiß, was er getan hat, und wartet nun auf die Hinrichtung, das gleiche grausame Schicksal, das er vor Jahren diesen Mädchen aufgezwungen hat. Aber Ansel will nicht sterben; er will gefeiert und verstanden werden. Er hatte gehofft, dass es nicht so enden würde, nicht für ihn. Durch ein Kaleidoskop von Frauen – eine Mutter, eine Schwester, eine Mordkommissarin – erfahren wir die Geschichte von Ansels Leben. Wir lernen seine Mutter Lavender kennen, ein siebzehnjähriges Mädchen, das zur Verzweiflung getrieben wird. Wir lernen Hazel kennen, die Zwillingsschwester von Ansels Frau, die hilflos mit ansehen muss, wie die Beziehung ihrer Schwester sie alle zu verschlingen droht. Und schließlich Saffy, die Mordkommissarin, die ihm auf den Fersen ist. Sie hat sich der Aufgabe verschrieben, böse Menschen vor Gericht zu bringen, kämpft aber damit, ihr eigenes Leben klar zu sehen. Während die Uhr heruntertickt, setzen sich diese drei Frauen mit den Entscheidungen auseinander, die in einer Tragödie gipfeln, und erforschen die Risse, die eine solche Zerstörung unweigerlich hinterlässt.


    Mit einer Mischung aus atemberaubender Spannung und erstaunlichem Einfühlungsvermögen präsentiert Notes on an Execution ein erschütterndes Porträt der Weiblichkeit, während es gleichzeitig die vertraute Geschichte des amerikanischen Serienmörders enträtselt, unser Justizsystem und unsere kulturelle Besessenheit von True Crime-Geschichten hinterfragt und die Leser auffordert, über das falsche Versprechen nachzudenken, in der Psyche von gewalttätigen Männern nach einem Sinn zu suchen."


    Eine Geschichte, ernst, ruhig, ohne Humor, aber sehr einfühlsam, nicht linear erzählt durch die drei Frauen und Ansels korrekt runterzählenden Stunden zu seiner Hinrichtung. Je näher man dem Ende kommt, desto unangenehmer werden Ansels Beschreibungen. Diesen Teil fand ich irgendwann echt bedrückend. Die Perspektiven der Frauen waren durchweg interessant, oft sehr traurig und wütend machend, aber am Ende zeigt sich, dass auch aus schlechten Dingen Hoffnung und Güte erwachsen kann. Spannend auch die Fragen, warum und wem wir in dieser Gesellschaft "Screen-Time" und Aufmerksamkeit geben und was wäre aus all den Frauen und Mädchen geworden, wäre ihnen nicht geschehen, was ihnen angetan wurde...

    An Yu – Ghost Music


    Song Yan lebt mit ihrem Mann Bo-wen in Beijing. Der Schwiegermutter geht's seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr so gut und so zieht sie bei ihrem Sohn und Song Yan ein. Das Verhältnis ist strapaziert, Song Yan möchte gern ein Kind, die Schwiegermutter ebenso, Bo-wen allerdings windet sich in Ausflüchte und Schuldzuweisungen an seine Mutter. Song Yan's einzige Abwechslung in diesem Chaos sind ihre sporadischen Klaviernachhilfestunden für ihre jungen Schüler. Und manchmal hat sie verstörende Träume über einen geschlossenen Raum, indem ein kleiner Pilz zu ihr spricht, mit der Bitte sie nicht zu vergessen ...


    Eine surreale Geschichte über Träume, Ambitionen, Trauma, Familie, gesellschaftliche Zwänge, die (Klavier)Musik und die Möglichkeiten, sich zu verändern und neue Wege zu finden. Ich fand es nicht ganz so gut wie "Braised Pork", das liegt aber auch nur daran, dass ich diesem Musikthema nicht so wirklich was abgewinnen kann.


    Katherine Faulkner – The Other Mothers


    Natasha und ihr Mann Tom sind neu in der Nachbarschaft, ihr zweijähriger Finn verlangt alle Aufmerksamkeit und Natasha musste notgedrungen ihren Job als Journalistin bei einer großen Zeitung auf Eis legen. Als sie mit Müh und Not ihren Finn endlich in einer Spielgruppe unterbekommt, lernt sie nach und nach die anderen Mütter kennen. Mehr und mehr will Natasha das Leben dieser Frauen kennenlernen und Teil von ihren exklusiven Leben und den tollen Häusern und dem vielen Geld werden. Doch über allem hängt dieser Schatten, das tote Mädchen Sophie wurde nicht weit entfernt in einem Staubecken gefunden. Der Fall wurde schon lange abgeschlossen, doch Natasha's Journalistennase wittert Ungereimtheiten sowie eine Story, die man zu Geld machen könnte. Sie fängt an Fragen zu stellen und schon bald weiß sie nicht mehr, wem sie noch trauen kann...


    Die duale Erzählperspektive von Natasha und Sophie hat für mich gut funktioniert. Sophie's Kapitel werden in einem "Countdown" bis zu ihrem Tod heruntergezählt, so dass man man Ende auch ihre Sicht der Dinge erzählt bekommt. Auch passen Sophie's Erinnerungen mit Hinweisen, die Natasha im Verlauf der Geschichte macht, zusammen. Die erste Hälfte des Buches plätschert recht ruhig dahin, es ist aber keineswegs langweilig. Natasha versucht einen Faden zu finden, wer Sophie war, warum Niemand über sie sprechen will und mehr und mehr Andeutungen und Hinweise kommen zusammen. Das letzte Viertel hat es dann echt in sich, vieles habe ich nicht kommen sehen und auch die Auflösung der losen Enden fand ich spannend und nachvollziehbar. Für mich ein perfekter Krimi.


    Samanta Schweblin – Fever Dream / Das Gift


    "Eine junge Frau namens Amanda liegt in einer ländlichen Klinik im Sterben. Neben ihr sitzt ein Junge namens David. Sie ist nicht seine Mutter. Er ist nicht ihr Kind. Gemeinsam erzählen sie eine gespenstische Geschichte über gebrochene Seelen, Gifte und die Kraft und Verzweiflung der Familie.

    Fever Dream ist ein lebendig gewordener Alptraum, eine Geistergeschichte für die reale Welt, eine Liebesgeschichte und eine warnende Erzählung. Samanta Schweblin, eine der erfrischendsten neuen Stimmen aus dem Spanischen, die zum ersten Mal ins Englische übersetzt wurde, schafft in diesem fesselnden, beunruhigenden und spannenden Roman eine Aura von seltsamer psychologischer Bedrohung und jenseitiger Realität."


    Mehr ist dieser Beschreibung eigentlich nicht hinzuzufügen, es liest sich wirklich wie ein einziger, wabernder, surrealer Fiebertraum. Man weiß nie so recht, wer gerade spricht, wer wen mit welchen Augen sieht, wer real ist, wie ernst der eigene Zustand und ob das alles überhaupt wahr ist. Muss man mögen. Ich fand es gut, aber nicht tragisch/explizit genug, um einen wirkvollen Eindruck zu hinterlassen.