Der Herr spricht mir aus der Seele. Nicht unbedingt nur, was unseren Umgang mit Hunden angeht, sondern, wie Ulixes schon schrieb, vor allem, was die Tendenz in unserer Gesellschaft angeht.
Wenn ich mir anschaue, was die Leute in meinem Umfeld alle für Termine haben, wo sie überall meinen es allen recht machen zu müssen, wegen was für einem - sorry - Scheiß sie sich einen Kopp machen, dann kann ich mich nur wundern. Und bei Hunden und Kindern fällt mir das besonders auf: Da wird hier frühgefördert, dort ein Kurs belegt, hier eine Aktivität dort ein Termin.... und für einfach mal nur in den tag hinein leben ist überhaupt kein Platz mehr. Vor diesem Hintergrund bin ich echt froh, in meiner Kindheit noch so unendlich viel unverplante Freizeit gehabt zu haben....
Mit Hunden ist das natürlich so eine Sache.... vor den gesamten Hundeverordnungen war es eben auch deutlich leichter Hund Hund sein zu lassen. In meiner Kindheit liefen Hunde überwiegend frei und wenn da mal einer durch die Gegend streunte hat es keine gestört (und von denen, die es gestört hat, hat der Hund eins mit dem Schlappen oder Besen drüber gekriegt, was wiederum keinen Hundehalter gestört hat). Wenn sich mal zwei Hunde geprügelt haben, war das halt so, und es ist auch niemand auf die Idee gekommen wegen einer Macke im Ohr zum TA zu rennen bzw. dem anderen Hundehalter dafür ne Rechnung zu präsentieren.
Ist natürlich jetzt etwas übertreiben vereinfacht, aber in der Tendenz war man da eben sehr relaxt.
Und heute erwartet die Gesellschaft eben, dass Hunde bessere Plüschtiere sind.
Von daher ist es nicht ganz verkehrt, wenn man sich heute ein wenig mehr Gedanken um die Erziehung macht.
Nur, der Rattenschwanz an "Auslastung", der da inzwischen dran hängt ist natürlich absurd. Ich finde es absolut in Ordnung, wenn man mit seinem Hund etwas mehr macht, als nur Gassi zu gehen, und ja, ich bin auch der Meinung, dass es Hunde gibt, die auch "mehr" brauchen (bleibt dann die Frage, warum man als Privatmensch einen Hund hat, der sowas fordert, wenn man eigentlich keine Verwendung für diese Anlagen hat? aber das ist ein anderes Thema), aber die Frage ist doch: Was, und in welchem Maß?
Boder und Terrier sind NICHT dafür gezüchtet über Hürden zu hopsen, sondern um Schafe zu hüten und Tiere zu jagen. Ich wette, ein Terrier, der auf einem Hof wohnt und dort den lieben langen tag rum stromern und Ratten jagen darf ist 1000 mal mehr ausgelastet, als ein Agility-Terrier, und dabei sicher ausgeglichener.
Und ich geben dem Verfasser des Artikels absolut recht: Das, was speziell beim Agi (zumindest in der Leistungsorierntierten Form) geübt wird, ist unter dem Aspekt der "Gelassenheit" absolut das falsche für Hunderassen wie Border, Aussie und Jacky, die eh zum hochdrehen neigen.
Wie schon gesagt auch das Maß der Beschäftigung ist für mich ein Aspekt: Kein Hütehund im echten Gebrauch muss das ganze Jahr über quasi jeden Tag Hochleitungen erbringen. Ein guter Hütehund muss vor allem eins können: Langeweile ertragen. Denn außer beim Umtrieb gibt's nicht so schrecklich viel zu tun... Speziell Hütehunde werden in Familien aber häufig regelrecht "Überfördert": Montags Agi, Dienstags Longieren, Mittwochs Frisbee, Donnerstags wieder Agi, Freitags eine lange Radtour, damit der Hund sich "mal richtig auspowern" kann, Samstags Gruppenunterricht, Sonntags Familienausflug... und zwischendrin noch ein paar Tricks und überall mit hin soll der Hund natürlich auch noch.... wo soll der Hund sich denn da bitte regenerieren? Und besonders bei Arbeitsrassen ist das ganze fatal, die fahren nämlich in einen Zustand, in dem sie immer noch mehr und noch mehr "fordern" und dabei psychisch völlig über drehen.
Nicht falsch verstehen, ich bin durchaus dafür aktiv etwas mit seinem Hund zu tun. Gerne auch einen Sport. Als Hobby für Hund und Halter. Aber ich bin für rassegerechte Auslastung - und die Betonung liegt hier bei "rassegerecht". Und das bedeutet auch, mit Maß auszulasten und eine Beschäftigung zu finden, die den angelegten Trieb auch wirklich befriedigt.