Ist Hundeerziehung heutzutage zu verkopft?

  • Ich kann weder für das Forum noch für die Hundeplatzszene sprechen, aber in meinem Wohnumfeld wird weder extrem geclickert noch ständig mit Leckerchen geworfen. In der Regel wird ungläubig geschaut wenn ich mal einen Futterdummy, die Schleppleine oder den Clicker dabei habe. Hundeschule wird in der Regel höchstens bis zum ersten verregneten Samstagvormittag durchgezogen und an Leinenpöbelei, Ignorieren des Rückrufs oder Leineziehen wird auch nicht wirklich gearbeitet. Klar gibt's auch Andere, aber 70% sind so wie beschrieben. Die sind schon völlig irritiert, wenn ich die Pfeife nutze, um meine Hunde aus dem Spiel zu mir zu holen, sie verbal lobe und Ellie ein Leckerchen gebe (Mac verschmäht fast alles). Das ist dann schon voll krasses Hundetraining für die :ka:

    Das ist auch meine Erfahurng im Umgang mit Leuten die Hunde als "nur Familienhunde" halten.


    Ansonsten habe ich das Gefühl, das "zu verkopft", "übertrieben" und "Modeerscheinung" einfach Code für, "die Leute machen das anders als ich und ich mag das nicht" ist.
    Hundeerziehung ist heute deutlich weiter als vor nur 10 Jahren, weil sich nun eben auch mal Verhaltensbiologen und gründlich geschulte Leute damit beschäftigen.


    Ich hab' hier ein Buch über die Ausbildung zum Verbeller (sprich Anzeige von gefundenen Personen, Drogen whatever) aus dem Jahr 2001 rumliegen. Da geht der Autor (der ein bekannter Polizeihundeführer ist und nun für die Ausbildung der Polizeihunde in seinem Bundesland verantwortlich ist) lang und breit darauf ein, wie und was im Moment (sprich ca. bis 2001) im Ausbildungsbereich falsch läuft... und da stellt es einem die Haare auf. Einerseits war Ausbildung einfach mal erheblich gewalttätiger.
    Aber viel erschreckender ist, wie sehr da durchblickt, dass die Leute keine Ahnung hatten was die da tun (im Diensthundebereich wohlgemerkt, keine Hobbyleute sondern Leute die dafür bezahlt wurden Hunde auszubilden). Da wurden komplexe Handlungsketten fröhlich von vorne anstatt von hinten aufgebaut, an den falschen Stellen Grenzen (mit Starkzwang) gesetzt (und dann hat man sich gewundert, dass der Hund Meideverhalten zeigt) und so weiter.

  • Ich z.b. habe schon immer zeigen und benennen gemacht, nur etwas abgewandelt und ohne dass das früher einen Namen hatte. Und bei früher meine ich vor 20 Jahren.

    Ich mache das auch schon seit über 30 Jahren. Wenn ich früher an Schweinen (jetzt gibts keine mehr im Dorf) mit einem unserer DSH vorbeigegangen bin und der als Welpe/Junghund unbedingt da hin wollte, dann hab ich nur immer gesagt: "Is bloß a Schweindal." und bin mit dem Hund daran vorbeigegangen. Wenn der Junghund dann irgendwann gemeint hat, er müsste die Schweine anbellen, gab es ein scharfes "ey" und er musste an kurzer Leine neben mir an den Schweinen vorbeigehen. Wenn er während des Vorbeigehens dann ruhig war, hab ich ihn gelobt.


    Und genau so läuft das hier bei jedem Hund und dem "Kontakt" zu anderen Tier (auch bei anderen Hunden zu denen mein Hund nicht darf) ab. Sina hat das von Anfang an so bei Krähen, Enten, Tauben, Hunden und Pferden gelernt und es ist kein Problem mit ihr daran vorbeizugehen. Sie verfällt nicht in Jagdmodus, weil ich das sofort im Ansatz, als sie das zum 1. Mal gezeigt hat, unterbunden habe.

  • Ich mache das auch schon seit über 30 Jahren. Wenn ich früher an Schweinen (jetzt gibts keine mehr im Dorf) mit einem unserer DSH vorbeigegangen bin und der als Welpe/Junghund unbedingt da hin wollte, dann hab ich nur immer gesagt: "Is bloß a Schweindal." und bin mit dem Hund daran vorbeigegangen. Wenn der Junghund dann irgendwann gemeint hat, er müsste die Schweine anbellen, gab es ein scharfes "ey" und er musste an kurzer Leine neben mir an den Schweinen vorbeigehen. Wenn er während des Vorbeigehens dann ruhig war, hab ich ihn gelobt.
    Und genau so läuft das hier bei jedem Hund und dem "Kontakt" zu anderen Tier (auch bei anderen Hunden zu denen mein Hund nicht darf) ab. Sina hat das von Anfang an so bei Krähen, Enten, Tauben, Hunden und Pferden gelernt und es ist kein Problem mit ihr daran vorbeizugehen. Sie verfällt nicht in Jagdmodus, weil ich das sofort im Ansatz, als sie das zum 1. Mal gezeigt hat, unterbunden habe.

    Zweillos gab es immer Leute die es richtig gemacht haben, aber Ihr seid meiner Meinung nach hervorhebenswerte und lobenswerte Ausnahmen und sicher nicht die Regel.

  • Ich denke, Hundeerziehung war früher genauso gut oder schlecht wie heute, nur einfach anders. Genauso wie in 10 Jahren die Techniken nicht besser oder schlechter sein werden... nur anders.

  • Meine Familie hat, als ich 10 war, eine einjährige Spanielhündin aufgenommen, die aus einer Familie mit kleinen Kindern kam, die dem Hund sehr zugesetzt hatten. Ergebnis war, dass der Hund Kinder nicht mochte. Ich war die Jüngste in der Familie...


    Heutzutage hätte man einen Trainer geholt, damals hat der Hund einfach mit uns gelebt und nach und nach eine innige Beziehung zu allen Familienmitgliedern aufgebaut. Geduld war kein Thema, wenn der Hund mich angeknurrt hat, habe ich ihn in Ruhe gelassen, wenn sie später zu mir kam, habe ich sie gebürstet, mit ihr geschmust und meine Wienerle mit ihr geteilt. Alles lief ganz unverkopft über den Aufbau einer innigen Beziehung.


    So halte ich es heute noch mit meinen Hunden: Beziehung ist das Wichtigste, der Hund ist einfach Familienmitglied. Klar gibt es Regeln (nicht aufs Sofa, nicht ins Bett) und auch Übertretungsversuche, auch hier gilt es, Geduld zu haben und dicke Bretter zu bohren.


    Bei unserem ersten Hund waren wir, mit Baby damals, noch aufgeregter, darum war wohl auch der Hund aufgeregter, unser neuer Familienzuwachs ist die Ruhe selbst, vielleicht, weil wir uns sicher sind und entspannt im Umgang mit ihr.


    Etwas Ähnliches habe ich bei den Kindern beobachtet - mein Großer (erstes Kind) hat als Säugling häufiger geweint als mein kleiner Sohn - beim ersten Kind war alles noch neu und wir oft aufgeregt, beim zweiten Kind waren wir uns sicher und einfach entspannt - so entspannt ist auch der Knabe geraten.

  • Was meint Ihr?

    Zu verkopft? Nein. Es liegt am Halter was er aus der Fülle der heutzutage zugänglichen Informationem macht - nicht an der (Hunde)erziehung selbst. Die Erziehung fusst heute wie damals auf den gleichen Lernprinzipien. Neues ist nicht dazugekommen - nur welche Tendenzen die Halter heutzutage wählen. Dass wir Methoden nun Namen geben (ob sinnig oder nicht) macht die Dinge trotzdem nicht neu. Vielen Haltern hilft das - anderen ist das wurscht. Es wird genommen was funktioniert.


    Ich habe mir Wissen angeeigent weil ich es wollte. Viel. Mehr als nötig. Deshalb verkopfe ich weder mein Trainign noch die Haltung meines Hundes. Dinge, die ich in Erfahrung bringen musste und die ich täglich anwende, sind mir in Feisch und Blut übergangen. Überlegen, nachdenken, nachlesen, ... verkopfen - nein. Des weiteren ist all mein Wissen Basis für mein Bauchgefühl. Heute mehr denn je. Bauchgefühl heisst nicht zwangsläufig nett mit dem Hund umzugehen - auch Leute, die über negative Verstärkung arbeiten und handeln tun dies weil es funktioniert, ergo richtig (für sie und den Hund) ist.

  • Heute ist Chilly kurz abgezischt, einem Eichhorn hinterher und ich war das erste Mal richtig sauer. Er kam nach ca. 1 Minute wieder, ich hab ihn kommentarlos
    angeleint und bin Richtung Auto.
    Auf dem Weg zurück ist eine Engstelle und genau da sind 5 freilaufende Hunde. Ich sag zu normalerweise Leinenpöpler Chilly ein "Weiter", in meinem
    Inneren das Gefühl 'Hund, Du gehst jetzt einfach ohne irgendein blödes Tamtam und auch ich geh einfach ohne dieses therapeutische Geschisse und siehe da,
    Chilly ging komplett normal an den Hunden vorbei.

    Das Phänomen kenne ich von meinem auch. Wenn er was falsch gemacht hat und ich so richtig stinkig bin, merkt er das, egal wie sehr ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen. Da pöbelt der nicht mehr sondern ist ganz im Gegenteil der Streber vor dem Herrn. Das funktioniert aber tatsächlich nur in solchen Situationen. Wenn ich mir einfach nur denke "das klappt jetzt, ich mach kein Geschiss drum" und er hat vorher nichts ausgefressen, weswegen er mich besänftigen will, dann pöbelt er trotzdem!


    Einfach nach Bauchgefühl gehen und den Kopf mal ausschalten, funktioniert bei uns leider überhaupt nicht. Im Gegenteil, es funktioniert erst, seit ich so verkopft an die Sache rangehe (auch wenn ich mir wirklich wünschte, ich müsste das nicht tun).


    Das Problem beim Bauchgefühl ist - das haben ja schon etliche geschrieben - es muss ja irgendwo her kommen. Ich hatte als Kind kaum Kontakt zu Tieren, geschweige denn zu Hunden, weil meine Mutter schreckliche Angst vor Hunden hat. So konnte ich kein Gefühl für sie entwickeln.
    Meine ersten Hundeerfahrungen - auch mit einem Welpen, den ich für zwei Monate in Pflege hatte -, machte ich komplett ohne, dass ich vorher Ratgeber gewälzt hätte, und im Nachhinein betrachtet kann ich da nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, was ich alles für Mist gemacht habe - aus dem Bauchgefühl heraus. Diese Hunde wären in meiner Obhut aber nie verhaltensauffällig geworden, denn sie hatten alle eine gute Welpenstube genossen, gehörten keiner spezialisierten Rasse an, waren grundsätzlich ausgeglichen und einfach nur lieb.


    Zu meinem ersten eigenen Hund kam ich vor anderthalb Jahren wie die Jungfrau zum Kinde. Ich habe mich schon etwas belesen (vor allem hier im Dogforum), weil ich schon lange einen Hundewunsch hatte, aber der Zeitpunkt eben nie gepasst hat. Und dann kriege ich von heute auf morgen vollkommen unvorbereitet (ich hatte nicht mal ein Körbchen oder einen richtigen Futternapf) frei Haus einen zweijährigen Spitzrüden geliefert, der in seinem jungen Alter schon zum Wanderpokal geworden war und zahlreiche schlechte Erfahrungen gemacht hat, sodass er traumatisiert war. Bauchgefühl ist in so einer Situation einfach nicht. Für so einen Hund braucht man Erfahrung und da ich die nicht hatte, habe ich mehrere Hundetrainer bemüht, verschiedene Methoden ausprobiert und ganz viel gelesen.


    Und auch wenn ich lieber weniger Aufwand betreiben, nicht jeden Spaziergang als Training sehen und viel weniger mit Leckerchen um mich schmeißen würde (ich komme mir an manchen Tagen in der Tat vor wie ein Leckerlispender), geht es einfach im Moment nicht anders. Ich habe jetzt einen Zugang zum Hund, den ich mir über Clickertraining und Co. hart erarbeitet habe. Ohne die ganze Theorie hätte ich schlicht schon aufgegeben, da wären wir nicht mal annähernd an der Stelle, wo wir heute sind. Und ohne die Theorie hätte ich auch nie das Bauchgefühl entwickeln können, was sich jetzt tatsächlich recht regelmäßig einstellt.


    Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass Hundeerziehung generell heutzutage verkopfter ist als früher. Ich fühle mich natürlich angesprochen, weil es bei mir tatsächlich so ist (bei mir gibts allerdings auch kein "früher" beim Thema Hunde). Und ich denke auch, dass es hier im Dogforum einige gibt, die aus verschiedenen Gründen genauso verkopft an die Sache rangehen wie ich. Aber in meinem direkten Umfeld bin ich was das angeht schon ein Sonderling...

  • Ich habe oft das Gefühl, dass sich die Beziehung durchaus gewandelt hat, die viele Menschen zu ihren Hunden haben.
    Da ist der Anspruch zum einen an sich selbst (bloß alles "richtig" machen) und zum anderen an den Hund (der soll schließlich verträglich, ruhig, unauffällig und "brav" sein) sehr hoch.
    Gerade in der Stadt ist das mein subjektiver Eindruck. Da hat der Hund gewisse Rollen zu erfüllen, sollte funktionieren und manchmal wird dabei übersehen, dass es sich einfach um ein -oft noch sehr junges- Tier handelt, welches da schlicht überfordert ist.
    Aber es hat alles bloß zu klappen....Klar, da geht man sich schließlich auch nicht so leicht aus dem Weg, sollte der Hund den Erwartungen dann doch nicht gerecht werden - ergo umso höher ist der Druck, dass bloß alles klappt.


    Dann kommt jedoch die Realität, man selbst ist nicht perfekt, der Hund auch nicht. Und der Druck wird unter Umständen noch größer, der Hund hat schließlich einen anderen Hund angeraunzt *zur Hülf*...jedes Blinzeln wird argwöhnisch dokumentiert, Fachmenschen konsultiert und irgendwann ist dann jedes intuitives Agieren und Reagieren weganalsysiert.


    Natürlich braucht man, um intuitiv auf Hundeverhalten eingehen zu können, zunächst theoretisches Wissen rund um Hundeverhalten, Körpersprache, Lerntheorien usw usw und/oder Erfahrung im Umgang mit den Tieren! Das ist Voraussetzung, die man schaffen sollte durch Beobachten, von erfahrenen Menschen lernen, Bücher, Seminare, DVDs, weiß der Kuckuck, was einem da am besten liegt.


    Aber es ist ja ein Unterschied, ob man alles zu Tode analysiert oder sich etwas aneignet und dann versucht anzuwenden.


    Immer wenn ein Anspruch auf Perfektion dazu kommt, entsteht unweigerlich Druck, denn Perfektion wird NIE erreicht werden, wenn es um soziale Gefüge geht, egal ob Hund - Hund, Mensch - Hund usw. Das ist ja nunmal kein statisches, technisches Konstrukt.


    So und hier birgt sich dann die Gefahr, dass alles nur noch zu verkopft betrachtet wird und man sich (und den Hund) schlimmstenfalls irre macht, da es DEN Weg nicht gibt.

  • Ansonsten habe ich das Gefühl, das "zu verkopft", "übertrieben" und "Modeerscheinung" einfach Code für, "die Leute machen das anders als ich und ich mag das nicht" ist.

    Zu "verkopft" ist für mich in erster Linie, wenn Hund etwas tut, was er soll und Frauchen, gut konditioniert ( ;) ) sich nicht als erstes einfach freut, sondern kurz überlegt, was die angemessene Belohnung für diese Tat ist, ob und wie man das jetzt positiv verstärkt etc pp, ebenso wenn Hundi was macht, was verboten ist, man erst überlegt, ob eine positive Strafe angemessen ist, wenn ja, in welcher Form oder ob eine negative Belohnung nicht schon Strafe genug ist....


    Und solche Menschen treffe ich von Zeit zu Zeit und auch in der HS, als ich sie noch besucht habe, konnte man ewig darüber diskutieren, derweil den Hunden schon lange egal war, was nun wie geahndet wird.


    Das hat nichts mit "früher war alles besser" zu tun, es ist einfach nicht mein Weg und es kann mir auch keiner erzählen, dass es für MICH und MEINE Hunde besser wäre, ich würde mich mehr mit all dem Theorie-Kram auseinandersetzen ;)


    Was andere machen, ob und wieviel sie überlegen, sich durch den Kopf gehen lassen, sich unter Druck setzen lassen und dabei an den selbst gesteckten Anforderungen verzweifeln.... interessiert mich ehrlichgesagt wenig.

  • die hundehaltung- und erziehung von heute ist meiner meinung nach in sofern "besser", dass sie gewaltloser geworden ist. früher wurde viel über zwang und starkzwang "korrigiert". heute versucht man sich eher in der ursachenforschung und -behebung, als in der reinen symptomkorrektur. das heiße ich gut.


    was ich aber sehr bedauerlich finde ist die zugenomme gesellschaftliche erwartungshaltung gegenüber hundehalter und deren hunde. ein hund darf heute deutlich weniger hund sein, also hundenormales verhalten zeigen als früher. sie gelten heute deutlich schneller als gefährlich bzw. sozial gestört. die erwartungshaltung dass sich hund mit alles und jedem verstehen muss, sich von jedem alles gefallen lassen muss, usw. das ist für mich einfach das übertragen menschlicher gesellschaftsformen auf den hund.


    das was wir hundehalter eigentlich möchten, nämlich dass hunde klar und in sauberen stufen kommunizieren, wird von der gesellschaft abgestraft. ich nehme mal als beispiel knurren. ein hund der fremde personen anknurrt wird fast schon gleichgesetzt mit gefährlich. mir als hundehalter ist es aber lieber mein hund knurrt, als wenn er das knurren überspringt und gleich zuschnappt, wenn ihm jemand auf den pelz rückt.

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