Viele Baustellen: Autos jagen, Leinenaggression etc.

  • Hallo ihr Lieben,


    nachdem mein Lebensgefährte und ich vor ca. drei Monaten relativ spontan einen Hund aufgenommen haben und er nun bleiben soll, habe ich als Hundeneuling gaaaaanz viele Fragen zum Thema Erziehung. Es handelt sich bei dem Hund um einen 2,5-jährigen Spitzrüden, der schon viel Mist erlebt hat. Er ist ein ganz liebes Tierchen, aber leider eben auch kein unbeschriebenes Blatt mehr. Wir wären dann die vierten Besitzer.


    Neben so verschiedenen kleinen Problemchen haben sich nach und nach mehrere größere herauskristallisiert: Er hat eine ausgeprägte Leinenaggression Artgenossen gegenüber. Er jagt Vögel und Geflügel, wenn er nicht ausgelastet ist. Bei Katzen rastet er draußen total aus und will in jedem Fall uuuuuunbedingt hinterher. Wir haben ein großes, nicht komplett einzäunbares Grundstück, auf dem sowohl unser Geflügel als auch unsere Katze frei herumläuft. Im Garten muss also meist die Schleppleine dran. Ohne Leine geht er auch ganz gerne alleine auf Wanderschaft. Ich habe auf Empfehlung das Buch „Antijagdtraining“ von Pia Gröning gekauft und gelesen und versuche im Moment, das Geschriebene umzusetzen. Der Hund ist sehr selbstständig und achtet von sich aus nur wenig auf uns. Hier eine höhere Aufmerksamkeit zu erreichen, ist im Moment mein größtes Ziel. Ich kann auch schon den einen oder anderen winzigen Erfolg verbuchen.


    Trotzdem weiß ich manchmal gar nicht, wo ich mit dem Training anfangen soll: die Leinenaggression, das Jagen oder erstmal Grundgehorsam? Im Moment liegt mein Hauptaugenmerk auf den Autos, weil das für alle Beteiligten die gefährlichste Macke ist. Unser Hundetrainer hat gesagt, wir sollen uns einen ruhigen Feldweg suchen, von dem aus man auf eine Straße blicken kann und uns in einem Abstand, in dem der Hund noch ruhig und entspannt ist, die Autos schön klickern und den Abstand immer weiter verringern. Das habe ich versucht, aber komischerweise ist der Hund auf ruhigen Feldwegen wesentlich schlechter auf Autos zu sprechen als mitten in der Stadt. Ich klickere jetzt also an Kreuzungen die Autos schön und versuche mich langsam an die Feldwege ranzutasten. Nur kann ich leider nur meinen Hund erziehen, nicht aber die Autofahrer. Wir haben hier ein paar Spezialisten, die es lustig finden, uns in ruhigen Nebenstraßen direkt anzuhupen, damit der Hund austickt. Eine ignorante Nachbarin fährt aus Prinzip so aggressiv, dass selbst ich Angst bekomme und der Hund dann nicht nur kläfft, sondern richtig panisch schreit. Und bei den Abendrunden treffen wir dann oft auch noch auf Jugendliche, die so richtig schön mit quietschenden Reifen durch die leeren Straßen pfeifen. Ich nehme an, dass aus genau diesem Grund der Hund an belebten Straßen nicht so schlimm auf Autos reagiert, weil die Spinner sich da aufgrund des Verkehrs zurückhalten müssen. Aber ist nicht jedes dieser Erlebnisse wieder ein riesiger Rückschritt? Müsste ich solche Situationen meiden? Der Hundetrainer sagte, ich soll, wenn ich merke, der Hund ist nicht mehr ansprechbar, einfach mit ihm ins Feld reinlatschen, Hauptsache weg vom Auslöser. Aber das kann ich in der Stadt nicht machen, da sind Zäune und Mauern im Weg, also bleibt nur Hund festhalten und hoffen, dass der Reiz schnell weg ist. Sollte ich hier vielleicht anders anfangen und mich wirklich erstmal auf Feldwege schlagen? In der Stadt funktioniert es schon sehr gut, nur der Weg dahin und wieder zurück ist oft ein Spießrutenlauf.


    Da sind dann nämlich auch noch die anderen Hunde. Wie reagiere ich richtig, wenn meiner an der Leine total austickt? Im Prinzip würde ich es ähnlich angehen wie mit den Autos, aber auch den anderen Hunden kann ich nicht immer ausweichen. Beim letzten unausweichlichen Hundekontakt habe ich ihn immer wieder belohnt, wenn er auf Ansprache zu mir geguckt hat. Als der andere Hund dann aber an uns vorbei lief, hat er auf nichts mehr reagiert, ist explodiert und hat sich volle Kanne in die Leine geschmissen. Ich habe ihn mir dann mehr oder weniger unter den Arm geklemmt. Also ich hab ihn nicht hochgenommen oder so, sondern bin runter und hab ihn so halb umarmt und dann war er auch sofort wieder ruhig. Dann bin ich mit ihm zügig in die andere Richtung weitergegangen. Was anderes ist mir in dem Moment nicht eingefallen. War das richtig oder hätte ich anders reagieren müssen? Es ist übrigens vollkommen egal, ob der andere Hund groß oder klein, Rüde oder Hündin ist. Nur Hunde, die er schon kennt und mag, kläfft er nicht an.


    Wegen dem Grundgehorsam war ich jetzt auch schon einmal in der Hundeschule. Das kann ich aber erst weiter verfolgen, sobald der Hund uns auch offiziell gehört und ich Impfpass und Versicherungsnachweis habe. Der erste Versuch war aber schon eine halbe Katastrophe. Der Hund kennt ja keine Hundeschule und von den ganzen anderen Hunden war er total wuschig, hat kaum reagiert und zum Schluss nur noch gekläfft und an der Leine gezogen. Ich war fix und fertig nach der Stunde! Ist das überhaupt eine gute Idee, mit dem jetzigen Erziehungsstand in die Hundeschule zu gehen oder sollte ich erstmal für mich allein bzw. mit unserem Hundetrainer in Einzelstunden an Aufmerksamkeit und Leinenaggression arbeiten (die Hundeschule, in der er arbeitet, ist leider für regelmäßiges Training viel zu weit weg)?

  • Uff... Ein ganz schönes Brett. Umso toller, dass ihr euch dieser Aufgabe annehmt.


    Das einfachste zuerst: Ich würde die Hundeschule (erstmal) sein lassen und nur mit einem privaten Trainer zusammenarbeiten. Ich persönlich finde, dass eine Hundeschule dann Sinn macht, wenn Kommandos bereits beherrscht werden und diese unter größere Ablenkung gefestigt werden sollen.


    Zu den anderen Sachen: Was ist die Ursache für sein Pöbeln bei Autos und anderen Hunden? Angst oder Aggression?
    Wenn es Angst ist, würde ich die Situationen komplett meiden, denn das kann einen in der Tat weit im Training zurückwerfen.
    Ich weiß, dass man sowas nicht immer vermeiden kann. Da muss man gucken, was der sinnvollste Umgang mit dem Hund in diesen Situationen ist.
    Ist es am Besten stehen zu bleiben, ihn mit Kommandos zu beschäftigen oder möglichst zügig weiterzugehen?
    Ich würde euch für solche Situationen den Geschirrgriff empfehlen. Der kann unglaublich hilfreich sein.
    GeschirrgriffMarkertraining


    Das AJT von Frau Gröning ist schon super! Ich finde das Buch klasse und denke, dass ihr euch damit auf einem sehr guten Weg befindet.
    Wenn der Hund sich mehr und vor allem länger auf euch konzentrieren kann, wird es auch eifnacher, an den anderen Problemen zu arbeiten.

  • Ich muss nochmal ergänzen zu dem Thema:

    Angst oder Aggression?

    Aggression kann natürlich aus Angst entstehen. Man muss da sehr gut beobachten. Geht der Hund eher nach vorne, oder trotz kläffen nach hinten. Wie reagiert er auf die Auslöser in verschiedenen Entfernungen? Zeigt er Beschwichtigungssignale?
    Wie verhält er sich, wenn Kontakt zu anderen Hunden hat? Fährt er im Auto problemlos mit, oder meckert er da auch?
    Ist er sicherer an langer oder an kurzer Leine?
    Usw. usf.


    Man kann übrigens an allem gleichzeitig arbeiten. Das erfordert aber unheimlich viel Kraft. Ich denke, dass das wichtigste ist, dass er sich auf euch konzentrieren kann und dass er im häuslichen Bereich regeln hat.
    Dass er dort lernt, zu entspannen ist auch wichtig. Vll. ist das Thema konditionierte Entspannung auch für euch was. Einfach mal googlen =)

  • Ich würde erstmal Hundeschule komplett streichen. Erstmal ankommen lassen. Regeln daheim kennenlernen. Euch kennenlernen. Futterzeiten, Liegeplätze kennenlernen. Wer gehört zur Familie, erfahren lassen. Autofahren mit Euch zusammen zu schönen ruhigen Gegenden, wo ihr zusammen Spaß habt. Bissel Leinenführigkeit bei Bedarf. Was man halt zwingend im Alltag braucht. Alles Weitere hat Zeit - bis der Hund angekommen und etwas entspannter ist. Notfalls ein halbes Jahr.


    Und dann daheim schon mal ein Alternativkommando (Ihr müßt ihm sagen, was er tun soll, anstatt zu pöbeln oder Autos zu jagen. Nachdem er aber in der direkten Begegnung derzeit voll im Streß ist, kann er die Alternative nur zeigen, wenn die daheim und ohne Ablenkgung schon echt mega-gut sitzt.) trainieren, wo es ohne Ablenkung möglich ist. SCHAU oder SITZ oder WEITER oder FUß, was auch immer. Und wenn das dann daheim sitzt, mal draußen erst ohne und dann bei gaaanz leichter Ablenkung testen, ob das funktioniert. Dann ganz viel üben und nach und nach die Entfernung zur Ablenkung steigern, bzw. die Ablenkung an sich steigern. Quasi von "ein Mensch läuft etwas entfernt von Euch gesittet vorbei" über "ein Mensch läuft etwas näher bei Euch gesittet vorbei" über "ein Jogger läuft auf Entfernung von Euch zügig vorbei" über "ein Jogger rennt dicht an Euch vorbei" über "ein Kind spielt in der Nähe" hin zu: "auf dem Marktplatz Samstag vormittag" - ok, ich übertreibe, aber nur, damit Ihr seht, wie viele Abstufungen an Ablenkung es gibt, Ihr müßt da echt ganz kleinschrittig arbeiten.


    Wenn es irgendwie möglich ist, würde ich gerade in der ersten Zeit diese Stressoren wie fahrende Autos oder Hundebegegnungen meiden. Erst, wenn der Hund Euch näher kennt und weiß, daß er sich auf Euch verlassen kann (kommt durch Erfahrung in verschiedensten Situationen, das geht net von jetzt auf gleich), wird er auch in der Stadt oder auf engen Wegen in der Lage sein, Hundebegegnungen so zu meistern, daß er sich dabei auf Euch verläßt und nicht anfängt, selbst Dinge zu regeln, indem er lospöbelt, oder angreift.


    Was gut helfen kann auch für unterwegs: eine Decke. Daheim als Ruhezone etabliert, dann langsam auch draußen einsetzen. Hund liegt darauf und kann entspannen, während er für ihn "komische" Situationen aus sicherer Entfernung (später dann immer näher, Stückchen für Stückchen) betrachten kann. Er lernt quasi daheim diese Decke als geschützten Rückzugsraum kennen, auf dem ihm nie etwas passiert (er darf dort nie bedrängt werden oder als Strafe hingeschickt werden!), sodaß er darauf total entspannen kann. Wenn das der Fall ist, mal draußen im Park weitab von jeder Ablenkung testen. Setz Dich aud ne Bank, die Decke daneben, da soll er drauf liegen. und dann halt ganz besonders aufpsasen, daß keiner an den Hund rangeht, kein Hund herkommt etc. - so sieht der Hund, daß er auch draußen auf der Decke entspannen kann. Dann wird er auch irgendwann (!) im Biergarten, wo andere Leute und Hunde sind, entspannt darauf liegenbleiben können, während ihr eßt. Aber das ist ja derzeit Zukunftsmusik :-)
    Oder man kann dafür auch ein Halstuch (zB auch mit nem bestimmten immer gleichen Duft!) benutzen, das ebenso daheim mit Entspannung verknüpft und dann später mit rausgenommen wird, sodaß er die entspannte Haltung mit rausnimmt quasi.

  • Ich könnte mir vorstellen, dass bei einigen Eurer Probleme "Zeigen & Benennen" helfen könnte. Erklärungen und Tipps zum Aufbau findest Du hier im Forum.
    P.S. Pia Gröning ist auf jeden Fall empfehlenswert!

  • Was mir auffällt ist, dass du deine Umwelt für die Probleme des Hundes verantwortlich machst.


    Okay, ist nicht toll, wenn Autos an einem vorbeibrettern. Aber ist das wirklich, damit der Hund ausrastet?


    Und wenn ja, wäre dein Ärger ja Futter für diese Idioten, denn sie möchten dich ja nerven.


    Das nur am Rand.


    Beste Ergebnisse habe ich mit dem psitiven Verstärken mittels Clickker für JEDE Aufmerksamkeit, was der Hund euch draussen schenkt.


    Ich finde das extrem schwierig ohne Trainerbegleitung. Zumindest immer einmal im Monat sollte eine Trainerstunde drin sein. Und dann Hausaufgaben.

  • Hallo,


    ich finde du machst vieles schon sehr gut! Das wird jetzt einfach nur eine ganze Weile dauern.
    Ich würde im Prinzip auch erst mal mit der größten Baustelle anfangen und mich langsam vorarbeiten. Wenn es sich anbietet auch mal andere Situationen trainieren. Natürlich kommt grad alles auf einmal, aber die Autos würde ich auch erst mal als sehr wichtig betrachten, weil die noch präsenter sind als andere Hunde. Die Hunde wären meine 2. Priorität und dann das Jagen, besonders auf dem Hof.
    Also was grad nicht trainiert wird auf jeden Fall meiden, sodass sich kein Verhalten festigen kann, damit kann man sich auch noch später auseinandersetzen. Wenn ihr einem Hund nicht aus dem Weg gehen könnt, schnell vorbei, vorbei füttern, absitzen lassen und beschäftigen oder Hund managen. Mit der Zeit wird er sowieso aufmerksamer und ansprechbarer, dann kannst du auch das trainieren.
    Ich würde auch mit dem Clicker arbeiten und jeden Blick markern (auch Zeigen & Benennen). Damit hat man in kürzester Zeit meist sehr gute Erfolge! Zudem würde ich sehr hochwertig belohnen wie z.B. mit Wiener oder Käse, das macht sich am Anfang sehr gut.


    Ebenfalls empfehlenswert ist das Buch "Impulskontrolle" von Ariane Ullrich. Da findest du z.B. die konditionierte Entspannung und auch das Ausflippen bei Hundebegegnung.


    Zusätzlich würde ich ebenfalls die Hundeschule meiden und stattdessen dem Hund in eingezäuntem Gebiet (vllt haben Freunde einen Garten?) Freilauf gönnen. Außerdem regelmäßig den Trainer konsultieren um eventuelle Fehler gleich im Keim zu ersticken. Wenn du aber nach einer Weile weißt wie es geht, ist das sicher nicht mehr nötig. Dann braucht es einfach nur Zeit und Geduld.

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