Erstmal: durchatmen!
Dann: was passiert ist, ist scheiße. Ganz, ganz große Scheiße. Das muss ich dir aber nicht sagen, das weißt du ja selbst ... und, was ich genauso wichtig finde: du hast angefangen, dir Hilfe zu suchen. Das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.
Bevor du weiterliest: schnapp dir einen Tee, vielleicht auch ein paar Stücke Schokolade, machs dir gemütlich. Ich hab dir viel zu sagen.
Tee und Schoki parat? Gut, dann geht's weiter.
Ich lebe auch mit einem gefährlichen Hund zusammen. Mein Dino hat im Oktober 2021 zwei kleine Hunde angegriffen, einen davon wollte er nicht loslassen, sodass ich gezwungen war, ihm per Halsband die Luft abzudrehen. Zum Glück aller Beteiligten wurde keiner der kleinen Hunde verletzt, wenn man mal von oberflächlichen Kratzern absieht - ob es weitere, unsichtbare Verletzungen gab, weiß ich bis heute nicht, weil sich die Besitzer der beiden kleinen Hunde trotz meiner Bitte nicht bei mir gemeldet haben, damit ich eventuelle Tierarztkosten o. Ä. übernehmen kann.
Das würde ich dir übrigens auch vorschlagen, wenn noch nicht geschehen: sag deiner Freundin, dass du dich an Henrys Tierarztkosten beteiligen willst. Denn so bös' es klingt, du und dein Hund, ihr habt den Schaden verursacht, also ist es auch nur angemessen, dass du mindestens einen Teil der Kosten mitträgst - denn auf Henry und seine Besitzerin werden sicher noch weitere TA-Kosten zukommen, Stichwort Nachbehandlung und Co. Wenn er es denn schafft.
Aber wie soll man mit so einem Hund leben?
So blöd es klingt: oberflächlich betrachtet ganz normal.
Dino darf hier aufs Sofa, er darf bei mir im Bett schlafen, er darf mit mir kuscheln, er darf mit mir spielen, wir trainieren auch nach wie vor im Hundeverein und so weiter und so fort ... Er lebt hier im Grunde ein weitestgehend normales Hundeleben - eigentlich.
Direkt nach dem Vorfall hab ich entschieden, dass Dino bis auf weiteres nur noch mit Maulkorb und an der 2 Meter-Leine Gassi geht. Weil MIR das Vertrauen in meinen Hund gefehlt hat, wie dir aktuell auch. Das ist normal und es ist okay, sich so zu fühlen. Dass das dem Hund gegenüber nicht nett ist - geschenkt... es ist halt erstmal "so".
Am Abend des Vorfalls konnte und wollte ich auch nicht aktiv mit Dino kuscheln. Er durfte sich an mich ankuscheln, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihn zu streicheln. Dass er bei mir im Bett liegen durfte, ich ihn aber sonst ignoriert habe, war mein Kompromiss an ihn in der Situation, weil ich ihn nicht komplett wegstoßen wollte. Das hätte ihn nur noch mehr verunsichert als ohnehin schon und ich glaube, das ist bei Hera aktuell auch der Fall. Aber dazu später mehr.
Nach und nach hab ich die neuen Regeln, die für Dino galten, aufweichen können, weil ich nach und nach auch wieder Vertrauen in den Spinner gewonnen habe. Stand heute darf er auch ohne Maulkorb vor die Tür, wenn die folgenden Faktoren erfüllt sind:
- ich bin gut drauf und mit dem Kopf absolut bei der Sache
- Dino ist gut drauf und hört im Alltag auf mich
- Wir gehen auf einer Strecke Gassi, die SEHR gut einsehbar ist - sprich: mindestens 30 m Sichtweite
- Das Wetter ist entweder so gut, dass ich gute Sicht- und Hörverhältnisse habe, oder es ist so beschissen, dass sich kaum jemand vor die Tür traut
Ist auch nur einer dieser Faktoren nicht erfüllt, geht Dino nicht ohne Maulkorb raus. Ist er gut drauf, darf er an die Flexileine, auch wenn ich z. B. vom Kopf her nicht soo gut drauf bin, weil die Arbeit anstrengend war, weil ich schlecht geschlafen habe oder oder oder.
Denn Freilauf ohne Schleppleine dran gibt es für Dino auch nur dann, wenn die Faktoren erfüllt sind. Und auch dann überlege ich mir mehrfach, ob ich ihn jetzt wirklich ableine. Sobald ich das Gefühl kriege, dass er mit der Aufmerksamkeit nicht mehr zu min. 90% bei mir ist, kommt er wieder an die Leine.
Zuhause braucht er den Maulkorb nicht, da darf er auch ohne rumlaufen. Da gibt's eigentlich keine besonderen Regeln für ihn.
Was wenn sie mich angreift oder noch weitere Hunde?
Damit sie keine weiteren Hunde angreift, musst du sie jetzt entsprechend sichern. Hera sollte künftig einen gut sitzenden Drahtmaulkorb tragen und du solltest sie vorerst nicht mehr ableinen. Besser gar nicht mehr, weil du scheinbar auch einiges an Hundesprache völlig übersehen hast. Das ist jetzt nicht böse gemeint! Aber solange du Hera nicht absolut sicher lesen kannst, solltest du sie auch nicht mit anderen Hunden zusammen, geschweige denn von der Leine lassen. Wirst du aber wahrscheinlich eh nicht machen.
Dass sie dich angreift ... ich bin ehrlich: es ist ein Hund, es KANN passieren. Kann, muss nicht.
Dino hat mich auch schon ein paar Mal gebissen. Niemals richtig "bösartig", aber er hat eben gebissen. Einmal wars aus Schreck, da war ich schuld dran, einmal wars aus Frust, weil ich ihn nicht am Zaun hab rumplärren lassen
Und einmal hat er nach mir geschnappt, weil ich mir eine Verletzung an seiner Pfote angucken wollte. Die tat ihm aber so scheiße weh, dass er das nicht wollte - also hat er abgeschnappt. Ich musste es mir ja trotzdem angucken, also gabs kurzerhand den Maulkorb auf die zarte Hundeschnute...
So, zur Sicherung...
Schritt 1: kauf einen vernünftigen Maulkorb. Für den Übergang ist so ein billiges Plastikteil ausm Fressnapf okay, aber auf Dauer sollte was vernünftiges ran. Wenn du sagst, Hera hat etwa Schäferhundformat, dann sollte der hier eigentlich passen: https://www.chicundscharf.com/product_info.p…ferhuendin.html
Miss aber bitte nach. Die Länge misst du bis zum "Stop", also da, wo die Hundeschnauze in den Kopf übergeht. Die Maulkorblänge darf +-1 cm länger sein als die Schnauzenlänge, mehr aber nicht!
Den Umfang misst du an der breitesten Stelle der Schnauze. Der Maulkorbumfang sollte etwa 30-40% größer sein als der Schnauzenumfang. Sprich, bei 26 cm Schnauzenumfang (wie bei Dino) sollte der Maulkorb mindestens einen Umfang von ~34 cm haben, maximal ~37 cm. Das muss so, damit der Hund mit dem Maulkorb auch noch gut hecheln kann.
Schritt 2: kauf ein Halsband mit Griff, damit du Hera im Notfall gut festhalten kannst. So eins hier z. B.:
Lass dich nicht von der Plastikschnalle irritieren, die ist zusätzlich mit Klettverschluss gesichert und hält hier auch tobende 32 kg Kangalmix aus. 
Wenn du lieber eins mit Metallschnalle möchtest, wär das hier eine Option: https://vitomalia.com/products/hunde…e-edition-khaki
Schritt 3: ein passendes Geschirr, ebenfalls mit Griff, solltest du dir auch zulegen. Idealerweise ein Sicherheitsgeschirr, damit Hera sich auch nicht rauswinden kann - sowas z. B.: https://ruffwear.de/products/web-master-harness
Ich selbst hab für Dino das hier im Einsatz: https://www.zooplus.de/shop/hunde/hun…geschirr/969010
Schritt 4: eine vernünftige Leine, gerne mit Sicherheitsverschluss. So eine z. B.: https://www.lennie24.de/hund/hundelein…uehrer-biothane Da kannst du auch einen Sicherheitskarabiner auswählen, das würde ich dir empfehlen.
Wähl die Optionen, mit denen DU dich sicher fühlst.
Ich war seit dem Vorfall nicht mehr mit ihr spazieren.
Verständlich. Das ging mir nach dem Vorfall auch so, ich bin nur für Pipikaka mit Dino raus. Anfänglich. Irgendwann konnten wir dann wieder zu unseren normalen Spaziergängen zurückkehren - aber halt mit Sicherung. Und ich hab mir in den Monaten danach auch vorbehalten, dass Dino eben nur eine kleine Runde kriegt, wenn ICH mich vom Kopf her nicht imstande fühle, ihn an dem Tag sicher zu führen. Dann sind wir eben nur kurz für 20 min in den Wald und dann wieder zurück aufs Sofa.
Es ist in meinen Augen okay, wenn du jetzt Zeit brauchst, um wieder zu deinem ursprünglichen Rhythmus mit Hera zurückzufinden. Es wird nie wieder so unbeschwert sein wie vorher, das ist klar, aber wenn der erste große Schock sich gelegt hat, dann findet man in aller Regel einen neuen gemeinsamen Rhythmus.
Wichtig ist aber, dass du Hera trotz allem fair behandelst. Geh mit ihr raus, auch wenn's dann eben nur 20 min im Wald werden. Auch wenn Hera in deinen Augen "böse" war - bestraf sie nicht dafür, jetzt versteht sie es erst recht nicht mehr.
Ist es überhaupt möglich sowas zu verarbeiten und wieder normal mit seinem Hund umzugehen?
Ja, ist es. Aber das dauert und braucht auch (etwas) (viel) Selbstreflexion. Analysiere deine Fehler, bleib dabei aber sachlich! Klar hast du pragmatisch betrachtet Schuld an der Sache, weil du die Signale nicht richtig interpretiert hast, aber krankhafte Schuldzuweisungen bringen dir jetzt nix. Schuldzuweisungen von außerhalb übrigens auch nicht - du weißt ja, dass du schuld bist, und das fühlt sich eh schon richtig richtig scheiße an. Weiß ich, ging mir selbst so. 
Bleib deinem Hund gegenüber fair und überlege, wie DU dir dein Zusammenleben mit diesem Hund künftig vorstellst. Welche Regeln möchtest du für Hera und dich selbst aufstellen? Siehst du Hera überhaupt noch in deinem zukünftigen Leben?
Ich hab mal wieder das Zeichenlimit gesprengt, geht gleich weiter...