Ich denke Du hast recht, künstliche Selektion mit absichtlichen Flaschenhälsen war das Urpsrungsproblem, aber Hundepopulationen sind in den 10.000enden, wenn man sich da jetzt auf breiteres Züchten besinnen würde, sehe ich ehrlich gesagt mathematisch nicht, wo das Problem sein sollte, oder redest Du von Hunderassen bei denen die Anfangspopulation kleiner als 20.000 war? Ich kenne mich da jetzt nicht so aus, mit wie vielen Hunden startet so eine Rasse denn so im Schnitt?
Das ist durchaus ein Problem, weil - wenn wir uns auf die natürlich vereinfachte Murmel-Allegorie rückbesinnen - es genetisch überhaupt nichts bringt, wenn Du zwar 10'000 Murmeln hast, diese aber an irgend einem Punkt schon alle dermassen aussortiert wurden, dass sie nur noch rot (bzw. ein einziges Merkmal) vererben (können) und keinerlei andere 'Farben' in der Population vorkommen. Du kannst den genetischen Einheitsbrei dann zwar auf 50'000 Exemplare aufstocken und die 10'000 roten Murmeln, die Du schon hast, sich bis auf diese Zahl reproduzieren lassen, wenn Du das denn willst oder die Nachfrage da ist. Das ändert aber nichts daran, dass die gesamte Population genetisch völlig verarmt ist und ein Individuum nicht 'wertvoller' für die Zucht ist, als ein anderes, egal wo auf der Welt es lebt, weil alle immer noch die gleichen Gene tragen.
Und was die Anfangspopulation von 20'000 Tieren betrifft... das ist utopisch. Ich kenne vielleicht eine Handvoll von Rassen, bei denen man von einer grossen Anfangspopulation sprechen könnte, ob man dabei aber auf 20'000 kommt, bezweifle ich stark. Irgendwo in den hunderten wäre phänomenal. Normalerweise kann man sich glücklich schätzen, wenn die Anfangspopulation bei über 50 Tieren lag. Lag sie über 100, kann man den ersten Züchtern dieser Rasse auf die Schulter klopfen.
Schauen wir uns doch einige Zahlen dazu an: beim Islandhund waren es 36 Gründertiere, beim Toller 22, beim Lancashire Heeler 155. (Die Zahlen finden sich beim Institute of Canine Biology, lassen sich aber einfach auch anderswo nachlesen). Weil der Mensch ja nun aber eine (bei Rassehunden zu rigorose) Selektion betreibt und man viel zu lange nicht darauf achtete, den Genpool möglichst breit zu halten, schrumpfte bei diesen Rassen die genetische Vielfalt und über die Zeit wurde - im Falle des Tollers, zum Beispiel - nur mit 13% des vorhandenen Genmaterials überhaupt weiter gezüchtet.
Der Rest ist verlorgen gegangen, weil damit aus diversen Gründen nicht weiter gezüchtet wurde. Genetisch gesehen hat man beim Toller nun also die Meisterleistung geschafft, den Genpool so stark zu verkleinern, als ob es nur gerade zwei (ja, zwei) Gründertiere gegeben hätte. Man darf sich also überlegen, wie die Zuchtpraxis ausgesehen hat und es - bewusst oder unbewusst - immer noch tut. Wer sich schon jemals gefragt hat, wie das in der Bibel mit Adam und Eva und ihren Söhnen (und Töchtern) als erste Menschen auf dieser Welt weiter gegangen ist, muss bloss einen kurzen Blick in die Hundezucht werfen... Nur dass Adam, Eva, Kain und seine Schwestern (der arme Abel wurde ja vorzeitig um die Ecke gebracht und die genetische Varianz auch hier unnötig verkleinert) Gott sein Dank (pun intended) eine Legende sind, während unsere Hundezucht bittere Realität ist und war.
Es gibt etwa 29'000 Toller auf dieser Welt. Aber jeder einzelne davon trägt die genetische 'Vielfalt' (ich hoffe, es fällt jedem Leser hier auf, wie zynisch es ist, das Wort in diesem Zusammenhang überhaupt zu gebrauchen) von nur genau zwei Gründertieren in sich. Da kann ich also aus Japan importieren, so viel ich will - ich mixe weiterhin gleiches mit Gleichem.
Wir wissen seit Jahrtausenden, dass Inzucht keine gute Idee ist. Adelsgeschlechter haben uns das immer wieder anschaulich vorgeführt. Man denke an die Ägyptischen Pharaonen, die Habsburger, die Wittelsbacher, die europäischen Könige... Manchmal kam es - zumindest nach dem, was damals beobachtbar war - 'nur' zu ausgeprägten körperlich sichtbaren Merkmalen, wie die Habsburger 'Lippe', öfters aber zu vererblichen Störungen, die sich in Wahnsinn, Epilepsie und Immunkrankheiten äusserte. Na, kommen diese Problematiken vielleicht gerade jemand anderem auch noch bekannt vor?