Beiträge von AnnetteV

    Wenn man Willi fragt, bewege ich mich ohnehin immer maximal im Zeitlupentempo :rollsmile:

    Gerade bei solchen Hunden finde ich diese Übung sehr hilfreich. Ich gebe vor wie schnell wir wann und wohin gehen, nicht der Hund. Haben wir uns dann einmal grundsätzlich darauf geeinigt, dass ich das Kommando vorgebe, räume ich dem Hund in manchen Fällen auch ein Mitspracherecht ein. Häufig geht es dabei aber eher darum, wie nahe wir an einer Person oder einem Gegenstand vorbeigehen - Tempo und Richtung liegen dennoch nach wie vor in meiner Hand.


    In so Situationen wie von Julia beschrieben macht Abwarten es bei uns auch nur schlimmer.

    Logisch, das ist der Türklingeleffekt. Er erklärt, weshalb @Juliaundbalous Hund und Deiner im Verhalten schlimmer, anstatt besser werden, wenn die ursprüngliche Strategie nicht mehr funktioniert. Die gute Nachricht dazu: es ist völlig normal.


    Was passiert, wenn Du die Türklingel Deines besten Freundes drückst und es passiert nichts? Du kennst das Haus, Du weisst, dass Du das Klingelgeräusch hörst, wenn Du die Klingel drückst - aber heute passiert nichts. Na? Klar, Du drückst nochmal. Und nochmal. Und probierst es etwas kräftiger. Dann haust Du drauf. Dann kriegst Du vielleicht ein schlechtes Gewissen (Du könntest sie mit der Gewaltaktion vorher ja erst kaputt gemacht haben...). Also drückst Du nun sanft und mit Gefühl... Dann nochmals so, wie Du Dir einbildest, dass Du sie eh drücken würdest, wüsstest Du nichts vom Defekt. Erst dann nimmst Du vielleicht das Handy in die Hand, rufst Deinen Freund an und vermeldest: 'Deine Klingel ist hin!'


    Würdest Du aber ab sofort keine einzige Klingel in der Stadt mehr drücken, nur weil diejenige Deines Freundes kaputt ist? Nein, Deine Schlussfolgerung wäre nicht, dass klingeln ab sofort in der ganzen Stadt nichts mehr bringt, sondern nur, dass die Klingel Deines Freundes gerade kaputt ist. Morgen aber ist sie sicher wieder heile. Gut möglich, dass Du am nächsten Tag, wenn Du wieder da bist, die Klingel erst mal wieder drückst bis Du merkst, dass sie immer noch nicht geht. Vielleicht hast Du es aber auch vergessen und drückst sie deshalb nochmal. In jedem Fall aber wird es - wenn die Klingel zuverlässig nicht funktioniert - immer weniger lange dauern, bis Du aufhörst, sie zu drücken. Irgendwann versuchst Du es gar nicht mehr, weil Du gelernt hast, die Klingel Deines Freundes ist kaputt. Es lohnt sich nicht, sie zu drücken. Diese Strategie funktioniert nicht (mehr) so, wie Du Dir das wünschst.


    Ausserdem ist Lernen kein linearer Vorgang, sondern durchlebt Höhen und Tiefen. Dazu kommt, dass die Löschung eines Verhaltens praktisch nie einfach so vonstatten geht, dass es nach einmaligem Misserfolg nie mehr auftritt. Wäre ja schon blöd, wenn keiner mehr eine Klingel benutzen würde nur weil mal eine defekt war. Um zu lernen, dass die alte Strategie nichts mehr bringt, muss ich diese erst in allen möglichen Formen und Varianten ausprobieren. Erst dann kann eine Löschung (in dieser Situation, dieser Umgebung - und keinesfalls ganz generell!) tatsächlich stattfinden.


    Überlegen wir uns aber, was wäre, wenn die Klingel ab und an zwar verrückt spielt, häufig aber doch zum gewünschten Resultat führt. Auch wenn die Klingel nur in einem von drei Fällen funktioniert, wirst Du nicht aufhören, sie zu drücken, bis sie eben tut, was Du willst. Du wirst Dein Verhalten nicht ändern, weil die Strategie lohnt sich ja nach wie vor. Die Belohnungsrate ist nicht mehr so hoch wie früher, aber dann wird man halt einfach ein bisschen penetranter, drückt die Klingel öfters und wartet bis sie es tut...


    Das ist in der Psychologie ein bekanntes und wiederholbares Phänomen. Na, klingelts?

    @AnnetteV ja, handhabe ich prinzipiell bei geringerer Aufregung genauso.


    Was mich in Situationen wie gestern hindert? |) Ähm... Balou ist hartnäckig. Er steigert sich rein, anstatt sich zu beruhigen. Er fiept auch 30 Minuten, wenn es sein muss.
    Ich habe das mal ausgesessen mit mehreren Anläufen, sobald er ruhig war. 15 Minuten, bis er mal fünf Sekunden ruhig war. Kaum gingen wir einen Schritt, spulte er sich sofort wieder hoch, knallte in die Leine und fiepte sofort wieder, weil ich ja wieder stehen blieb. Nee, da breche ich lieber ab, als mich da durch zu kämpfen. Ich habe da nie das Gefühl, dass ER da etwas draus lernen würde :ka:

    Da hat @Dackelbenny ganz Recht: so trainierst Du dem Hund die Fieperei und Ungeduld erst an! Konsequent sollte man schon sein, wenn man diesen Weg wählt. Hältst Du das durch - ja, auch 15, auch 30 Minuten - wird es früher oder später besser werden. Eben weil sich das Verhalten nicht mehr lohnt und er damit nicht mehr zum Ziel kommt. Ich nehme da gerne ein Buch mit, oder das Handy und lese zum Beispiel im Dogforum. Das entspannt nicht nur mich, sondern nimmt meinen Fokus vom Hund. Wenn Du dem Hund vermitteln kannst, dass Du völlig relaxed bist und hier auch gerne bis zum Sankt Nimmerleinstag stehen würdest, bist Du auf der richtigen Spur. Zügle Deine eigene Ungeduld und gib dem Hund überhaupt die Chance, etwas zu lernen.


    Ich bin mir sicher, dass Du sehr gut weisst, dass man viele Wiederholungen braucht, bis ein neues Verhalten wirklich sitzt. Das ist auch hier so. Nach nur einmal 15 Minuten Herumstehen darfst Du nicht erwarten, dass Dein Hund a) bereits verstanden hat, was Du von ihm willst und b) mirakulöserweise plötzlich alle Fehler der Vergangenheit ausgelöscht wurden und ihr entspannt zusammen in den Sonnenuntergang spaziert. Oder konnte Dein Hund nach einer einmaligen Trainingseinheit bereits 'Sitz,' 'Platz' oder 'Fuss'?


    Das Verhalten, das Dein Hund zeigt, hat er sich jetzt während mehrerer Jahre angeeignet. Das löscht sich jetzt nicht einfach aufgrund einer einzigen Trainingseinheit von 15 Minuten auf. Dafür brauchts schon ein bisschen mehr. Was Du hier aber schilderst ist sehr erfolgreiches 'Je unruhiger, lauter und mühseliger ich werde, desto schneller komm ich an mein Ziel! Halte Durch!'-Training. Du trainierst nicht das, was Du eigentlich trainieren möchtest.


    Dass diese Methode bei Dir nicht funktionieren will, hat nichts damit zu tun, dass sie nicht wirkt, sondern dass Dir Deine eigene Ungeduld und Inkonsequenz im Wege steht.


    Und bevor jemand auf die Idee kommt, Zeitlupentraining sei der einzige Weg: das ist es natürlich nicht. Es ist nur eine von vielen Varianten und Übungen, die helfen können. Im Prinzip geht es auch da um Impulskontrolle. Nicht jede Übung passt zu jedem Mensch-Hund Team. Ich bin lediglich so sehr darauf eingegangen, weil Interesse bestand. Ruhe- und Entspannungstraining besteht aus so viel mehr als nur den Zeitlupenübungen.

    @AnnetteV also ging es in meinem Beispiel nicht anders, richtig?
    Ich kam von der Arbeit, Hund muss raus. Im Garten macht er nichts, der ist zu klein.
    Hund dreht von einer Sekunde zur nächsten hohl - ab nach Hause?

    Hm, doch, durchaus. Was hindert Dich daran, einfach stehen zu bleiben und zu warten bis der Hund sich beruhigt hat? Gerade wenn Du draussen stehst, hindert Deinen Hund ja im Prinzip nichts daran, sein Geschäft zu verrichten? Ich belohne keinen Hund mit Action und einer Rückkehr nach Hause wenn er 'hohl' dreht. Solange er unansprechbar bleibt, geht es, vorausgesetzt ich, die Umwelt oder der Hund ist nicht in akuter Gefahr, gar nirgendwo hin, bzw. in schwierigen Fällen an einen Ort, den wir vorher als 'Safe Space,' als sicheren Platz aufgebaut haben. Da beruhigen wir uns - und zwar sowohl der Hund wie auch ich. Wenn wir unsere Fassung zurück gewonnen haben, entscheide ich, wohin es als nächstes geht.


    Wichtig ist, dass Ruhe halten sich wie ein roter Faden durch das ganze Zusammenleben zieht. Meine Hunde wissen, dass Ruhe halten sich immer lohnt und sie genau dahin bringt, wo sie sein möchten.

    @AnnetteV kannst du das an einem Beispiel erklären? Ich kann mir das so schlecht vorstellen.


    Bei uns war es heute so: wir gehen raus und er ist normal aufgeregt wie immer. Nicht drüber. Wir gehen über die Straße, alles ok. Dann hat er irgendeinen Geruch entdeckt, die Nase klebt auf dem Boden und das Gewusel und Gezerre geht los, er ist nicht ansprechbar. Ich habe mit viel Ruhe und Geduld einige Meter innerhalb vieler Minuten erkämpft und dann kapituliert. Ab nach Hause. Könnte ich in solchen Situationen anders handeln?

    Gerne, das Beispiel lieferst Du ja gleich selbst. Bei Gassisituationen sorge ich wenn möglich dafür, dass der Hund entweder bereits versäubert ist (im Garten) oder sicher noch nicht bzw. nicht mehr dringend muss. Ich möchte ja nicht daran arbeiten, dass der Hund besser einhalten kann, sondern nur an der Aufregung, die Gassi mit sich bringt, arbeiten. Wichtig ist, dass der Hund erst zu seinem Ziel kommt, wenn er ruhig ist. Es gibt kein Losstürmen, kein Winseln, einfach nur Ruhe. Bei zu starker Erregung drehe ich - stets freundlich, ruhig und positiv gestimmt - um und versuche es gegebenenfalls später noch einmal. Es spielt überhaupt keine Rolle wie weit und ob wir überhaupt aus der Tür kommen, wichtig ist einzig, dass alles in Ruhe passiert.


    Ziel wäre, dass der Hund schon bei sehr geringer Aufregung in die Ruhe gebracht wird, nicht erst, wenn er nicht mehr ansprechbar ist. Dann ist es bereit viel zu spät. Ich möchte es dem Hund zunächst ja relativ einfach machen und zeigen, was ich von ihm will. So kann man Zeitlupenspiele auch gut zuerst im Haus auftrainieren. Ich nehme gerne die Leine dazu, damit diese zum Signal für die Ruhe wird. Wenns mir Recht ist, macht @flying-paws in Bezug auf ihr Leinenführigkeitstraining etwas Ähnliches.

    Wenn ich jemandem was beeindruckendes zeigen möchte, dann die Pignon - Brüder. Freiheitsdressur, einer nur mit Stuten, der andere nur mit Hengsten.

    Na die beiden haben mir ja gerade noch gefehlt. Was zumindest von einem der beiden im Bezug auf Gott, Mensch und Tier zum Besten gegeben wird, findet man auch eher in der bibeltreuen, christlich verklärten und weniger der wissenschaftlichen, verhaltensbiologischen Ecke...

    Natürlich kommt 'dieses' Video von Parellis Frau immer wieder. Sollte es auch. Denn was da abläuft ist weder 'natürlich,' noch 'horsemanship' oder gar pferdefreundlich und gewaltlos.


    Ich verstehe aber wirklich nicht, weshalb derartige Diskussionen ständig darauf hinauslaufen, einen Guru (hier Roberts) zu verteufeln und einen anderen (hier: Parelli, Rashid) in den Himmel zu loben. Von Roberts' Frau ist mir bisher zumindest noch kein Prügelvideo untergekommen.


    Ich habe nichts gegen die Natural Horsemanship Methode als Trainingskonzept. Zumindest nicht, solange die Leute wissen, was sie da tun, welche Lernmechanismen sie dabei anwenden und dazu stehen können. Und da scheints in vielen Fällen leider zu hapern.

    AnnetteV: Das klingt interessant mit dem Zeitlupentraining - bezieht sich das auf normale Alltagshandlungen oder auf Training mit dem Hund?

    Auf beides. Bei aufgeregten, nervösen Hunden schalte ich gerne einen, zwei, drei Gänge runter. Ganz bewusst. Je mehr dann gehibbelt wird, je weniger der Hund die so kreierte Ruhe ertragen mag, desto mehr Stress ist im Organismus. Wer stressfrei ist, kann entspannen und nimmt das Angebot gerne an. Wessen System auf Alarmstufe rot steht, zeigt Dir beim Vorschlag zu entspannen den Vogel und protestiert, motzt und wehrt sich.


    Zeitlupentraining zeigt also schön, in welchem Zustand der Hund sich gerade befindet und ob er ein Entspannungsangebot überhaupt annehmen kann. Das Schöne ist: Entspannung kann man trainieren. Ich mache so etwas deshalb auch gerne immer wieder mal mit meinen eigenen Hunden. Es ist eine wunderbare Möglichkeit zu zeigen, dass Hektik einen nirgends hinbringt. In der Ruhe liegt die Kraft - bei Hund und Mensch.


    Und wenn ich dann dabei merke, bei xy wid der Hund ungeduldig - dann versuche ich das in Zukunft mit mehr Ruhe zu machen?

    Dann lasse ich den Hund erst in die Ruhe kommen, bevor ich irgend etwas anderes mache. Nicht in Zukunft, sondern jetzt gleich. Ziel ist, den Hund erst gar nicht in eine Situation kommen zu lassen, in der er das Ruhe- und Entspannungsangebot nicht mehr annehmen kann.

    Was konkrete Tipps betrifft:


    Zur Ruhe kommen kann man schlecht beibringen, wenn man es selbst nicht ist und vorlebt.


    Hibbelhunde sind sensibel, ja häufig sogar hypersensibel. Also (über-)reagieren sie auch auf unsere eigene Stimmung. Schnell kommt man mit solchen Hunden in einen Teufelskreis, weil einer den anderen hochpusht. Irgendwann ist man nicht mehr but einfach gestresst, sondern auch genervt - was seinerseits den Stresspegel nochmal erhöht.


    Ganz bewusste Auszeiten vom Hund können da Mensch und Tier sehr helfen. Meditation kann ebenfalls einen sehr guten Effekt haben, der sich auf den Hund übertragen kann.


    Nur mit und in Ruhe kann ich diese überhaupt trainieren. Kurze Sequenzen sogenannten 'Zeitlupentrainings,' währenddessen man ganz bewusst alles mit halber Geschwindigkeit tut - auch im Umgang mit dem Hund, kann zeigen ob und wo Stresstrigger liegen. Werden Hund oder Mensch dabei ungeduldig und frustriert, wird sichtbar, wo noch mehr Ruhe hineingebracht werden muss.

    Ich frage mich, woher die User hier immer dieses allumfassende genetische Wissen zu haben scheinen, um beurteilen zu können, dass ein festhalten an der Weiterzucht genetisch sinnfrei und verantwortungslos ist :ka:

    Das ist, wenn man in den entspannende Kreisen verkehrt, nicht wirklich schwierig.


    Ich verlasse mich gerne auf reproduzierbare Studien, die sich auf nachprüfbare Quellen stützen. Da kann mir einer lange erzählen, sein Hund sei inzuchtfrei oder als Rasse tatsächlich noch ohne Fremdblut zu retten. Ich werde das nicht glauben müssen, wenn ich stattdessen harte Fakten (sprich, bis zu den Anfängen rückverfolgte Pedigrees) anführen kann. Wenn sich bei so einer Sachlage dann einer immer noch lieber an seiner eigenen Überzeugung festklammert, bin ich nicht der, der sich in dieser Diskussion disqualifiziert...