Beiträge von AnnetteV

    Ich finde es ja generell sinnfrei einem Hund etwas wegzunehmen, das ich ihm vorher gegeben habe.

    Jein. Ich übe schon sehr bewusst mit meinen Hunden, dass ich ihnen jederzeit alles abnehmen kann. Allerdings mache ich das so, dass sie erst gar nie in Versuchung kommen müssen, es vor mir oder irgend jemand anderem verteidigen. Im Gegenteil, ich baue mein Training so auf, dass mein Hund sogar selbständig die Entscheidung trifft, mir sein Eigentum zu überlassen (weil das in den meisten Fällen nämlich grosszügig mit etwas noch viel Besserem belohnt wird).


    Ich finde es schon sehr wichtig, meinen Hunden jederzeit etwas abnehmen zu können. Das bedeutet aber nicht, dass sie während des Fütterns dauernd gestört und in Stress versetzt werden müssen.

    Warum ist übersteigerte Sexualität im Zuge der Domestikation entstanden? Und warum kommt sie gerade bei Retrievern vor?

    Zucht ist (menschliche) Selektion. Man kommt dabei nicht weit, wenn die Tiere, wie das bei wildlebenden Säugetieren nicht selten vorkommt, wählerisch bei der Partnerwahl sind. Hunde - und auch andere domestizierte Tiere - wurden also daraufhin selektiert, sich möglichst oft mit möglichst jedem Partner zu paaren. Hunde sind da keine Ausnahme. Aus diesem Grund werden Hündinnen ja viel früher läufig als Wölfe und durchlaufen ungefähr zweimal, anstatt wie beim Wolf nur einmal jährlich eine Hitze. Auch sind die Welpenzahlen bei Hunden durchschnittlich höher als beim Wolf.


    Dass es da ab und an immer mal wieder Ausreisser gibt, die dann eben eine Hypersexualität an den Tag legen, wird da kaum verwundern. Der Grund, dass gewisse Rassen davon stärker betroffen sind als andere hat wiederum mit der geschlossenen Zuchtpopulation zu tun: da alle Hunde einer Rasse irgendwo verwandt sind, ist es nur logisch, dass gewisse Problematiken da immer wieder und immer häufiger auftreten. Mit den 'rassetypischen' Krankheiten verhält sich das nicht anders.

    Spannend, @Pleistozaen, danke!


    So, und nun erkäre mir nochmal einer, weshalb die Mischung Münsterländer x Berner Sennenhund gar nicht geht, diejenige von Wetterhoun mit einem japanischen Shikoku(!) oder einem Airedale Terrier rechtfertigt. Oder weshalb Cocker und Pudel des Teufels, Brüsseler Griffon mit Australian Silky Terrier oder Mastiff mit Greyhound aber völlig ok ist...


    Damit man mich nicht falsch versteht: ich bin absolut für einen Outcross mit anderen Rassen und finde das sinnvoll und wichtig. Ich bin mir auch sicher, dass die Züchter und Rasseverbandsvorstehenden ihre guten Gründe haben, ihre Tiere mit den hier ausgewählten Rassen zu kreuzen - aber unverwandter (und genau das wird da ja der Punkt sein) gehts ja wohl wirklich nimmer.


    Interessant ist dabei ja auch durchaus, dass der Verwendungszweck völlig egal ist. Kein Gebrauchshundezüchter würde wenn irgend möglich zwei Tiere verpaaren, die nicht zumindest für dieselbe Aufgabe gezüchtet wurden. Hier, wo die Hauptsache ja nur noch sein dürfte, dass die Tiere auch wie 'echte' x oder y aussehen, spielt das offenbar überhaupt keine Rolle.

    Entstanden in einer Zeit, in der es üblich war/ist, Hunde egal welchen Geschlechts am besten schon mit einem halben Jahr zu kastrieren

    Das Buch ist aus dem Jahr 2011. Das ist nun noch nicht so wahnsinnig lange her und die Kastrationspraxis, von der Du sprichst, trifft und traf man ja doch eher im angelsächsischen Kulturraum an. Westeuropa ist und war mit Kastrationen im Vergleich doch eher konservativ.


    ist es sinnvoll und richtig, die möglichen Folgen einer Kastration bezüglich des gesamten Organismus und auch der Psyche aufzuzählen.

    Aufklären ja, Polemik nein. Beim Argument mit der Psyche wäre ich allerdings sehr vorsichtig. Das lässt sich ja beim Menschen schon kaum messen, geschweige denn bei Hunden. Ich zweifle ausserdem stark daran, dass ein Hund sein Wohlbefinden und seine Identität in gleichem Masse von der Präsenz oder Absenz seiner Hoden, bzw. seiner Eierstöcke abhängig macht wie der Mensch.


    Es ist richtig, dass eine Kastration, wie jede Operation, Risiken birgt und die sollte man keinesfalls ausser Acht lassen. Vor dem ersten Lebensjahr sollte man - wenn möglich - keinen Hund kastrieren. Hündinnen können beginnen, inkontinent zu werden (wobei es auch da wieder Risikogruppen gibt) und manche Rassen mit einer gewissen Fellstruktur (z.B. Collies) entwickeln sehr pflegeintensives Kastratenfell.


    Die Mehrheit der Halter ist mit ihrem kastrierten Hund allerdings sehr zufrieden und schon die Tatsache, dass man den allermeisten Hunden nicht ansieht, ob sie intakt sind oder nicht (sonst bräuchte es den typischen Hundewiesensatz 'Ist der kastriert?' ja nicht) spricht gegen eine grossartige Veränderung des Charakters. Die Hunde werden tendentiell etwas ruhiger und leichtführiger, oft aber auch fokussierter und ab und an verfessener, was fürs Training aber ja nur von Vorteil ist. Die Prioritäten verschieben sich eben bei Kastraten und es gibt einen guten Grund, weshalb Assistenzhunde in den allermeisten Fällen Kastraten sind.


    Halter allerdings als gedankenlos und Versager hinzustellen, nur weil sie ihren Hund kastrieren, geht viel zu weit. Auch ein kastrierter Hund erzieht sich nicht von allein.

    Das Ganslosser/Strodtbeck-Büchlein ist leider eines der wenigen deutschsprachigen Bücher zum Thema. Er ist sehr polemisch geschrieben, teilweise unfundiert und Quellenangaben zu so manch mutiger Aussage sucht man im Text häufig vergebens.


    Das Pamphlet, in dem praktisch ausschliesslich von der Kastration abgeraten wird und häufig irgendwelche Horrorszenarien aufgezeichnet werden, hat meiner Meinung nach noch nicht einmal die Bezeichnung 'populärwissenschaftlich' verdient. Ich hätte von zwei an sich kompetenten Autoren wirklich mehr erwartet, denn es gäbe es durchaus international anerkannte, verwertbare - auch kritische - Studien zum Thema.


    Lesen sollte man das Buch nur, wenn man ohnehin schon der Meinung ist, Kastrationen seien grundsätzlich unnötig.

    Man darf von einer Kastration nicht erwarten, dass sie einem einen völlig neuen Hund schenkt.


    Erziehungsfehler werden durch eine Kastration ebensowenig ausgebügelt wie aggressives, (un)soziales, unsicheres oder anderwertig problematisches Verhalten. Man weiss heute, dass eine Kastration zum Beispiel an der Markierfrequenz eines Rüden nichts ändert, das muss man schon erzieherisch angehen.


    Aber eine Kastration kann sehr wohl und sehr viel helfen, wenn Verhalten sexuell motiviert ist.

    Daher meine Frage: hat jemand einen Tipp für mich, wie ich ihr entweder zeigen kann, dass sie keine Angst haben braucht - oder wie ich ihr Selbstvertrauen steigern kann, in der Hoffnung, dass sich das auch auf das Beschwichtigen auswirkt?

    Das Verhalten ist wahrscheinlich mittlerweile ritualisiert. Ob es aus einer Lernerfahrung und 'Höflichkeit' passiert, bzw. weil sie mittlerweile denkt, dass man das so macht, oder aus einer blanken Angst heraus, kann man in einem Forum natürlich nicht beurteilen.


    Es kann durchaus sein, dass Dein Umgang mit dazu beiträgt, dass der Hund sein Verhalten weiter zeigt. Angefasst und angeleint werden kann einen Riesenstress für den Hund sein. Hat sie das jemals gelernt, oder haben Menschen sie einfach angefasst, weil sie es über sich ergehen liess? Ignorierst Du sie, bzw. versuchst Du sie manchmal nicht zu beachten? Auch das kann Stress auslösen.


    Kennst Du Clickertraining? Falls Du Englisch sprichst, bist Du für den Anfang mit den Youtube-Kanälen von Emily Larlham (@kikopup) gut bedient. Richtig durchgeführtes Clickertraining stärkt das Selbstbewusstsein und zeigt dem Hund, was man von ihm will, anstatt ihn für Fehler zu strafen.


    Achte in Deiner Körpersprache auf lockere, fliessende Bewegungen, sieh den Hund nicht direkt an (direkter Blickkontakt wird unter Hunden meist als sehr unhöflich empfunden), sei stets freundlich, selbstbewusst und positiv gestimmt. Bewege Dich selbstsicher durch den Raum, ohne aber den Hund je mit Deiner Präsenz zu bedrängen. Jegliche Zögerlichkeit wird den Hund weiterhin verunsichern.


    Ob Du mit dem Hund draussen warst, spielt keine Rolle, ob sie Dir ins Haus macht oder nicht. Der Hund pinkelt ja nicht, weil er mal muss, sondern weil das ein hündischer Weg ist, seinen Respekt dem anderen gegenüber auszudrücken. Das ist also keine Frage der Stubenreinheit und wird mit dieser Art von Training auch keine Besserung bewirken.


    Ich denke, ich würde Dir wirklich die Hilfe eines guten Trainers ans Herz legen, der Dir den richtigen Umgang mit Deinem Hund zeigt. Wo wohnst Du denn?

    Ich weiß ja, dass du einfach generell das System moderner Hundezucht kritisierst aber so zu tun als könnte man eh nix machen ist ja auch nicht richtig.

    Ich glaube, da verstehst Du mich falsch: man könnte durchaus sehr viel tun und das, ohne die Rassen einfach zu opfern und untergehen zu lassen. Es bringt aber nichts, wenn weiterhin jeder einzelne Züchter sein eigenes (Inzucht-)Süppchen kocht. Damit die moderne Hundezucht Sinn macht, bräuchte es eine klare Strategie - aber wer würde sich denn schon gerne 'von irgend so einem Theoretiker' vorschreiben lassen, mit wem er seine Hunde zu verpaaren hat?


    Solange das Thema aber auch unter Züchtern noch so stark tabuisiert, bzw. ignoriert wird, können wir leider noch nicht einmal daran denken, uns eine solche Strategie überhaupt zurecht zu legen. Wichtig wäre es, sich zuallererst überhaupt einmal einen Überblick über die Population und ihre Entstehung zu verschaffen. Das ist aber ohne spezielle Computerprogramme und gekonnte Analysen kaum möglich - ausserdem müssten sämtliche Stammbäume zur Verfügung gestellt werden und schon daran wird es oft hapern.


    Es gibt aber einige Projekte, die am Laufen sind und Mut machen: das des Lundehundes zum Beispiel, auch wenns im Moment nur gerade ein Tropfen auf den heissen Stein ist. Bei manchen Rassen darf auf Antrag immer wieder frisches Blut zugeführt werden, so beim Canaan Dog, bei ISDS gezogenen Border Collies, bei einigen orientalischen Windhunden, etc.


    Aber gibt eben Cousinverpaarungen mit besseren COI/AVK Werten als so mancher Outcross. Das liegt bei uns mitunter daran, dass die Ahnen Lücken aufweisen auf Grund von Importen oder LHC-Einkreuzung. Trotzdem hat die Cousinverpaarung eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Homogenität mit all seinen Nachteilen. Deshalb ist es schon nicht ganz unwichtig, ob der COI in den ersten Generationen bereits hoch ist oder erst weiter hinten.

    Wenn nur so wenige Generationen überhaupt in Betracht gezogen werden, bringt die ganze Übung leider wirklich nur sehr wenig. Dass eine Cousinverpaarung auf dem Papier besser aussehen mag, als so mancher Outcross, mag sein - ob das eine genetische Analyse so allerdings bestätigen würde, wage ich stark zu bezweifeln. Ich kann als Erklärung nur noch einmal auf den bereits von mir verlinkten Post und die darauffolgenden Seiten verweisen.


    So wenige Generationen zu berücksichtigen, als ob man die Geschichtsschreibung vor 1970 komplett ignorierte und zum Beispiel behauptete, so etwas wie die zwei Weltkriege hätte es nie gegeben - man sieht heute ja kaum mehr etwas davon.

    @AnnetteV Doch, es macht schon ein bisschen Sinn das auf die Generationen zu beziehen. Einen COI von 0% auf 4 Generationen und 2,5% auf 6 ist ja was anderes als eine Verpaarung mit 2% auf 4 und 2,5% auf 6. Bei der 2. doppelt sich nämlich schon was weiter vorne, was gesundheitstechnisch schwerwiegender ist, als weiter hinten.

    Wenig. Vielleicht kannst Du Dich an meinen Beitrag vor einer Weile mit der Allegorie zu den blauen und den roten Kugeln erinnern. Da habe ich das schon einmal zu erklären versucht. (Hier findest Du ihn: Klick!) Was einmal an Genmaterial verloren gegangen ist - egal ob das vor zweihundert oder vor vier Generationen war - kommt auch durch geschicktes Verpaaren nicht wieder zurück, das ist ohne Fremdblutbeimischung einfach weg.


    Ich weiss, dass Züchter das gerne mit 'so und so viele Generationen Rückblick sind genug' rechtfertigen, leider lügen sie sich aber so selber in die Tasche. Ich bin sogar davon überzeugt, dass viele - eigentlich gute - Züchter steif und fest daran glauben, nicht inzuzüchten und sich ehrlich Mühe geben, klug zu verpaaren. Das nützt aber eben leider einfach alles nichts, wenn man nicht bis in die frühsten Generationen zurück geht.


    Eine Population, die aus einem Geschwisterpaar hervorgegangen ist, ist nicht weniger ingezüchtet, weil ich nach Generationen irgendwelche Cou-cou-cousins miteinander verpaare - es ist und bleibt die gleiche homogene Suppe, in der ich rühre.


    Darf ich mal vorsichtig anfragen, was das "vernünftig gezogenen, sozialisierten und gehaltenen" mit der Genetik zweier im Wesen, Eignung, Leidenschaften...GENETISCH völlig unterschiedlicher Rassen bewirken soll?

    Gerne: in sich stabile, wesenssichere und mit ihrer Umwelt vertrauten Hunde werden sich leichter in ihrer Umgebung zurecht finden als solche, die bereits aus unsicheren, untersozialisierten Eltern stammen und in einem dunklen Schuppen aufgewachsen sind.


    Ich denke, wir dürfen das mit dem genetisch völlig unterschiedlich nicht übertreiben. Wir sprechen immer noch von Hunden, nicht von einer Kreuzung von Polarfüchsen mit Giraffen.


    So Jekyll-und-Hyde-Hunde habe ich noch nie angetroffen. Auch nicht letzthin im Border-Collie x Greyhound Wurf, nicht im Akita x Labrador Wurf und schon gar nicht in irgend welchen Doodles. Die einzigen, die tatsächlich solche Probleme zeigten, waren Wolf-Hund-Kreuzungen. Aber ich habe eine Menge Hunde kennen gelernt, deren Aufzuchtbedingungen und Erziehung mehr als grottig waren, an die unrealistische Erwartungen gestellt wurden und die deshalb nicht mit der Umwelt zurecht kamen. Diese angebliche Rassenschizophrenie halte ich wirklich für eine Erfindung des Dogforums.

    Bei läufigen Hündinnen bzw kurz davor oder danach ist er extrem gestresst, fiept durchgehend, nimmt kein Futter, hechelt, tigert, leckt alles auf. Leider hatten wir das in den letzten drei Wochen zwei Mal, ohne, dass ich davon wusste. Sonst hätte ich die Situationen auf jeden Fall vermieden :verzweifelt: Seitdem ist sein übersexuelles Verhalten aber leider noch verschärft.


    Draußen leckt er (wenn ich ihn lassen würde) Pipistellen auf, klappert mit den Zähnen, schäumt, riecht sich eeeeewig fest und hört dann auch nichts mehr. Markieren tut er nicht übermäßig viel, dafür scharrt er wie ein Besenkter...er scharrt auch auf fremde Stellen ohne selbst zu markieren :???:

    Ja, das halte ich für ein ungesundes Stresslevel und würde mir eine Kastration oder zumindest den Chip überlegen. Ich sehe nicht, weshalb ein Hund sein Leben lang leiden sollte, nur weil sein Mensch zu stolz ist, die nötigen Massnahmen zu ergreifen. Man kann bis zu einem gewissen Grad erzieherisch dagegen vorgehen - ob man das aber als Halter eines Hundes, der eh nie in die Zucht gehen wird (und es bei dieser Problematik auch nicht sollte...!) tun will, sei dahingestellt. Für mich ist in solchen Fällen relativ klar, dass ich meinem Hund diesen Stress künftig erspare und ihn kastrieren lasse. Aber ich bin mir bewusst, dass das der aktuellen Auf-keinen-Fall-kastrieren-lassen-Mode nicht entspricht.


    Und ja, wie @Lionn schon sagt: Du musst mit dem Hund leben, die nicht die anderen.


    Hypersexualität ist übrigens ein Domestikationsmerkmal und bei gewissen Rassen (u.a. bei Labradoren und Golden Retrievern) kein seltenes Phänomen.