Beiträge von Tucker

    Versteh mich nicht falsch, ich sage nicht, dass man nichts machen kann.

    Es wäre wirklich schlimm, wenn man sagen würde: der darf nie wieder mit Spielzeug arbeiten, Hundekontakte haben, unrettbar für immer von alles fernhalten und wenn Kindern ein Ball auf die Straße rollt die Augen zuhalten... dann wirds absurd.

    Wie schrecklich ist es denn, wenn mein Arbeitshund nicht arbeiten darf, weil er dann halt mal total im Modus ist? Er ist ein Workaholic, darauf wurden seine Vorfahren selektiert, das ist seine Droge...

    Da gilt es zum Einen schiere Symptombekämpfung per Gehorsam zu betreiben, im Sinne der allgemeinen Sicherheit, wenn der Hund bei jedem Ball unstoppable losschiesst ist das einfach gefährlich, Ursache hin oder her.

    Danach stellt sich die Frage, wie mit der Ursache umgehen.

    Die Ursache liegt für mich auf der Hand, da halte ich mich an das was wir darüber wissen wie das Gehirn arbeitet und wie daran Hormone und Neurotransmitter beteiligt sind und wirken.

    Will ich also wirklich an der Ursache arbeiten, muss ich vor diesen Kreislauf kommen und ihn verändern.

    Dafür muss das Setting verändert werden, solange diese Wiese in Sicht kommt und irgendwann sicher jemand einen Ball wirft, schüttet der Hund die Hormone aus, selbst wenn er nicht hinterher darf. Das ist konditioniert, denken wir an Onkel Pavlow, die Hunde sabbern irgendwann auf die Glocke hin, auch wenn kein Futter kommt. Das verhält sich beim Rausch genauso, an einem bestimmten Punkt setzt der Rausch schon vor der Handlung ein, allein durchs Setting.

    Viele Hundesportler kennen das, wenn die Hunde checken es geht zum Hupla und sich im Auto hochbellen vor lauter "es geht los, es geht los, wir arbeiten!!!".

    Und aus meiner Sicht und Erfahrung ist solchen Hunden am besten geholfen, wenn man Arbeits- und Freizeitmodus klar trennt, und den Freizeitmodus vom Setting her so gestaltet, dass der Hund eben nicht reinrauscht. Kommt die Konfrontation plötzlich, wird über Gehorsam abgefangen aber nicht unnötig lange ausgeharrt, sondern die Situation verändert.

    Kontakte mit Artgenossen gerne, aber eben ohne Spielzeug.

    Hier kommen wir dann aber an einen Punkt, wo ich auch klar unterscheide was hundeartig ist und wo dann einfach nur vermenschlicht wird. Das fängt beim Konzept Hundewiese an, darüber will die TE aber nicht diskutieren. Fakt ist aber dennoch, dass wir schon ziemlich lange wissen, dass wild zusammengewürfelte Caniden auf begrenztem Raum kein normaler Sozialverhalten zeigen, woraus die logische Frage resultiert, ob das überhaupt im Sinne des Hundes ist oder ob er da nicht auch einfach nur von Menschen gewünschtes Verhalten zeigen soll, unabhängig von seinen Bedürfnissen.

    Dieser Hund liesse sich ganz leicht aus seiner Problematik befreien, würde man auf die Hundewiese verzichten und Sozialkontakte hundgerechter gestalten. Und er könnte immer noch alles haben, nur eben anders aufgedröselt.

    Dann schlage ich nochmal konkret vor:

    Mach bis zum Umzug das was gut klappt, pack sie bei Besuch mit was zu knabbern beiseite (anderer Raum, Kindergitter, whatever, manage es erstmal, das wird im Umzugschaos noch häufiger so sein und fremde Leute räumend durch die Bude rennen und Du gestresst bist... was immer Du jetzt noch eben anfängst zu üben diesbezüglich, reißen dann die 3 Wochen um den Umzug wieder ein, weil Du da schlecht dosieren kannst, es muss dann einfach nach Plan gehen, und in ein paar Wochen wirst Du kein grundlegend anderes Verhalten (Hund liegt pennend zwischen den Möbelpackern) verfestigen... also Management und am neuen Ort dann richtig mit Training diesbezüglich starten.

    Es ist jetzt lange hell, da kannst auch abends nochmal mit der SL los wenn Dein Mann da ist, und sie zwei- dreimal die Woche noch ne halbe, dreiviertel Stunde mit Dummytraining, Gehorsam, Rückruf an der Schlepp usw. was ihr halt auch gut könnt!, auspowern.

    Und sei verdammt nochmal nicht päpstlicher als der Papst, stressfrei mit Freude aneinander durch den Alltag kommen ist die Devise, nicht das Haar in der Suppe suchen.

    Ich kann zwar die Vorschläge verstehen, Situationen/Kontakte/Orte zu meiden, das würde ich für den Beginn vielleicht sogar für eine gute Maßnahme halten. Aber letztendlich ist das nur eine Problemvermeidung. An der Ursache ändert das nichts. Verfährt man so, wird das restliche Leben des Hundes nur noch gemanagt. Es wird sich nicht am Symptom orientiert.

    Ich habe ja auch einen kleinen Balljunkie zu Hause (allerdings bei Weitem nicht mit der Schilderung der TO vergleichbar) und habe heute Morgen mal einen Test gemacht. Wir spielen vor der Arbeit immer ein paar Minuten mit dem Fußball. Wegkicken, hetzen, apportieren. Es ist aber schon locker ein Jahr her, dass ich meinem Hund abverlangt habe, sitzen zu bleiben und erst auf Kommando loslaufen zu dürfen. Da wir kein Problem mit anderen Hunden und deren Bällen haben, haben wir zwei beide einfach immer entspannt miteinander gespielt. Und siehe da: er konnte es erst gar nicht aushalten, was mir zeigte, dass ich an dem Thema doch mal wieder ein bisschen arbeiten muss.

    Wenn ich mit dem Hund an diesem Thema arbeite, "erkläre" ich ihm ja quasi, was er tun soll und was nicht. Und diese "Erklärung" braucht auch der Hund der TO. Keine Leine, keine Vermeidung des Hundesplatzes, etc.

    Nur ist das nicht mal eben in 5 min erledigt. Der Hund spricht kein Deutsch und hat nicht das kognitive Rüstzeug für eine abstrakte, verbale Erklärung. Das wird viel Übung, viele Wiederholungen und vorsichtiges Herantasten an die maximale Triggersituation bedeuten.

    Da kommst Du immer nur in Gehorsam rein, aber nicht dahin, dass der Hund erlernt selbstständig zu regulieren. Das Belohnungssystem hat sich hier schon durch Nichtregulation verändert, irreversible. Das Gehirn hat die Droge (der Hormoncocktail der da freigesetzt wird entspricht Drogen, körpereigene Drogen) kennengelernt und wie es sie freisetzen kann und das wird das Gehirn tun wenn man es lässt, ganz besonders in stressigen Situationen.

    Das ist die Krux mit Drogen, wenn das Gehirn sie und ihre Wirkung einmal kennengelernt hat und das gefällt, vergisst es diesen Rausch nicht mehr und verlangt danach. Jedes Säugetiergehirn. Deshalb ist Entzug allgemein sehr schwierig, es ist ein Kampf gegen das eigene Gehirn und dessen Befehle (Droge!). Bei Menschen versucht man das über das Ichbewusstsein, sich selber Regeln geben, wegbleiben von Orten und Personen wo die Droge konsumiert wird... Disziplin aus dem steuerbaren Ich heraus. Mit eher sehr mittlerem Erfolg, bei mehr als der Hälfte gewinnt auf Dauer die Droge und das von ihr angesprochene Belohnungszentrum (zentrale Funktion, die ganze Konsumgesellschaft, die ganze Werbung funktioniert übrigens auf der Basis des Belohnungssystems)

    Der Hund seinerseits hat nach unserem Stand gar nicht so ein Ichbewusstsein, der hat nicht das leisteste Interesse daran seine Sucht aufzugeben, er hat da kein Problembewusstsein sondern einfach nur nen geilen Trip. Er wird also nicht selber dagegen anarbeiten, versuchen sich selbst zu regulieren, der steht dieser Sucht, für die er auch nichts kann, er hat Bällchenwerfen nicht erfunden, völlig unbewaffnet gegenüber.

    Wenn der einen Ball sieht, wird er einfach von den Drogen geflutet, bumm, ob er will oder nicht. Das ist was man dem Gehirn beigebracht hat und dieses Rauscherlebnis bekommt man nie wieder aus dem Gehirn raus. Das Gehirn befiehlt den Rausch wenn er erreichbar ist. Und der Hund hat dem nichts entgegen zu setzen.

    Hier kann man über Gehorsam einwirken, theoretisch könnte man sich zweimal die Woche am Tennisplatz aufhalten und da quasi UO/Steadiness trainieren. Es ist wichtig, das regulieren zu können, gibt ja auch im Alltag genügend Situationen wo mal irgendwo ein Ball rumfliegt.

    Aber ob ich einen solchen Hund dann zur Hundewiese schleppe um da nichts anderes zu tun als den Rausch zu unterbinden, obwohl ich eigentlich die Hundekontakte meines Hundes fördern will, was aber nicht klappt (weil der Hund die Wiese mit Sicherheit auch schon mit dem Rausch verknüpft hat) und aufgrund der Hirnstruktur und der Vorgeschichte auch nie klappen wird in dem Setting, ist doch fraglich.

    Das geht für mich in die Kategorie unnötige Machtspielchen/Demos, der Hund, der überhaupt nichts dafür kann, dass er ist wie er ist, hat da nichts von. Da kann sich dann höchstens der HH profilieren, wie gut er seinen Hund im Griff hat. Im Alltag wichtig, aber zur Demo auf der Hundewiese den Hund in den Stress schicken (der Gehorsam dann einfach mal ist)... arm.

    Was anderes ist es, zwei- dreimal die Woche gezielt richtig Dummytraining/Apportiertraining zu machen, mit bekannt festen Regeln, den Anlagen vom Hund einen kontrollierten Rahmen geben, in einem Level unter Rausch.

    PS: ich selbst hab übrigens meist nicht mal Leckerchen am Mann, weil mein Hund sich quasi auf alles sofort in den Arbeitsmodus reinjunkt, nur noch anbietet was immer ihm einfällt was er kann (viel) und das penetrant und lediglich unterbrochen von ruckizucki die wichtigsten Geschäfte erledigen...

    Im Grunde genommen sind das alles ganz vernünftige Ansätze, die haben ja auch schon mal Erfolge gebracht- konsequent gearbeitet.

    Dann Krankheit, Baby, bissi schleifen lassen, nie richtig zu Ende gearbeitet... jetzt Frust.

    Dazu kommt, dass die guten Ansätze dann im Detail immer mal so Holperer haben wo man es sich und dem Hund durch mehr Kleinschrittigkeit und mehr Geduld einfacher machen kann und erfolgreicher ist.

    (Ich hatte heute erst ein Kundengespräch mit diesem Inhalt, da ging es darum, ob wir jetzt nicht nochmal probieren sollen oder jetzt, oder jetzt... nachdem der Rückruf drei- viermal prima geklappt hat mit SL. Nein, Geduld und Impulskontrolle für Zweibeiner, trainiere es nicht kaputt... steigere nicht im Übermut wenn der vorige Schritt nicht wirklich unter allen Umständen sitzt... da muss man sich auch oft selber zusammenreißen)

    Nun kommt bei euch nach der Krankheit und der Trainingsunterbrechung die starke Veränderung durch das Baby und die aktuell hohe berufliche Belastung Deines Mannes hinzu. Wenn ihr in zwei Monaten umzieht bist Du da wahrscheinlich auch schon in Vorbereitungen, es geht auf gut deutsch grad drunter und drüber und das wird nun auch noch 3-4 Monate so bleiben.

    Wenn Du Mila behalten willst, halte ich es erstmal für wichtig Entspannung reinzubringen und diesen Frust von Deiner Seite rauszunehmen.

    Dazu gibt es tatsächlich eine relativ einfache Lösung: Ansprüche und Erwartungen runterschrauben.

    Du bist ja nicht nur frustriert, weil der Hund Deinen Ansprüchen nicht genügt, sondern weil Du Deinen Ansprüchen bezüglich des Hundes nicht gerecht wirst - trotz großem Einsatz.

    Locker spazierengehen, leichtes Gehorsamstraining, vernünftig an der Leine laufen - wenig, aber ordentlich. An drei Tagen Woche schaut Dein Mann eine halbe Stunde aufs Baby und Du kannst 30min. mit SL ein bissl sauberes Gehorsamstraining und Dummyarbeit machen. Nix Neues, nix mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, einfach versuchen die Basics weiter zu stabilisieren, Signaltreue herzustellen und vor allem auch mal zufrieden miteinander zu sein, Erfolg sammeln, kleinen Erfolg, aber besser als großer Frust.

    Und wenn ihr umgezogen seid und euch da eingespielt habt und auch wieder eine gemeinsame Basis habt, könnt ihr da dann nochmal die nächsten Schritte angehen.

    Zur Leine: vielleicht wäre mit Baby was mit einer mittleren Länge angenehm für euch, so 3m oder 3,5m? Noch gut zu handeln aber doch mit mehr Radius zum schnüffeln und gucken als eine Führleine.

    Die Technik leuchtet mir soweit ein, im Kern ganz klassisch, erstmal einen guten Moment erwischen wo der Hund safe kommt und dann Belohnen. Bis dahin okay, dann gehts aber los, da seh ich reihenweise wie sich anhäuft, was euch jetzt so frustet.

    Ich schreib mal farbig in Dein Zitat zu den entsprechenden Passagen.

    Wenn ich das so lese, finde ich auch, dass ihr ein Riesentrara um Erziehung, Training und Auslastung macht. Ich kann total gut nachvollziehen, dass Du das Gefühl hast, Du machst doppelt und dreifach soviel wie andere und trotzdem funktioniert alles immer nur manchmal ein bisschen.

    Das Ding ist, dass man unheimlich viel machen kann aber wenn die Dosis nicht perfekt passt, die Ausgewogenheit nicht sehr gut abgestimmt ist, kann das bei bestimmten Typen Hund schon krasse Wirkungen haben.

    Und besonders wichtig: diese Hunde müssen Ruhe erst lernen, sie finden sie nicht einfach von alleine wie andere Hunde. Sie KÖNNEN sich nicht einfach rausnehmen, sie müssen wirklich rausgenommen werden, liebevoll, freundlich aber konsequent und beständig. Es dauert, bis sie das selbst schaffen und sie brauchen dabei auch zeitlebens immer mal wieder Unterstützung, sie steigern sich einfach schnell rein wenn sich der Raum bietet.

    Drastische Reduktion der Gassizeiten, nix mehr machen ist ein sehr extremer Tipp, so als Kontrastprogramm zu zuviel dann gleich gar nix.

    Präzision ist aber das eigentlich Wichtige mit so einem Hund, die genaue Mischung macht es aus. Dabei ist weniger, dafür gut strukturiert und genau gearbeitet oft mehr als sehr viel.

    Deshalb wäre es wichtig genauer zu wissen wie ihr trainiert, wie eure Übungen aussehen, die Trainingsdauer usw. Das sind die Rädchen die gedreht werden müssen.

    Du schreibst, Du möchtest Balance für Deinen Hund durch Hundekontakte. Dein Hund will aber gar keine Hundekontakte sondern sucht ständig Menschen die Bällchen werfen, wozu sich auch immer jemand erbarmt.

    DU willst dort bleiben und deshalb dieses Verhalten von Deiner Hündin in den Griff kriegen.

    Warum?

    Sie wird nie die Kontakte wichtiger finden als den Ball, das kannst Du halt nicht reinerziehen. Du kannst allenfalls Steadiness und Gehorsam so optimieren, dass Du sie halt ins Kommando kriegst auf der Hundewiese, aber die entspannten Kontakte Deiner Träume werden immer enden, sobald ein Ball auftaucht.

    Das ist so, als würdest Du mit einem Alkoholiker der entziehen will dreimal die Woche in eine Bier- oder Cocktailbar gehen wo alle sich fröhlich einen trinken, nur er soll trocken bleiben, weil er halt süchtig ist. Das geht nicht gut.

    Ich würde aber auch nicht jeden Tag Dummtraining machen, 2-3x die Woche gezielt, gerne auch mal mit Ball statt Dummy aber bei gleicher Aufgabenstellung, 30 Minuten strukturiertes Training, vielleicht mal einen Kurs zum Rückruf belegen, dann seid ihr auch draußen freier, z.B. auch für Spaziergänge mit 1-2 befreundeten Hunden (ob die Leute arbeiten müssen oder nicht, deren Hunde müssen ja auch raus) ohne Spielzeuge...