Ich denke der große Unterschied betreffend Notdienst/Vergütung oder auch genrell angemessen hoher Vergütung zwischen Tiermedizin und anderen Berufen ist der emotionale Faktor. Es geht um's geliebte Tier und um dessen leiden bzw hoffentlich nicht leiden lassen.
Wenn der Klempner, KFZ-Mechaniker oder Dachdecker für Wochenendarbeit nen dicken Zuschlag nimmt, dann findet man das vielleicht scheiße, aber ist ist ja nur Geld, außer dem Portmonee leidet keiner.
Und wenn man das Geld nicht hat, dann kann die Sache oft auch bis Montag warten, wo es billiger ist. Manchmal nicht, dann muss man in den sauren Apfel beißen und zahlen, aber vieles kann man schieben.
Ist der Hund krank, vielleicht sehr krank, dann kann man nix verschieben und muss unter Umständen sehr zügig Entscheidungen treffen über Geld, das man vielleicht gar nicht hat, und das abwägen gegen die Schmerzen und Leiden seines Haustieres oder dessen Lebensqualität für den Rest des Lebens (z.B. wenn man nach einem Autounfall entscheiden muss, ob ein kompliziert gebrochenes Bein für verhältnismäßig wenig Geld amputiert wird oder ob man eine sehr teure, aufwendige OP zur Erhaltung des Beines versuchen möchte... oder wenn es darum geht, ob man eine Therapie versuchen möchte oder euthanasiert) und gegen sein eigenes Gewissen (weil man sich z.B. für die zweit- oder drittbeste Möglichkeit entscheidet, weil die besseren Optionen zu teuer sind).
Das ist eine Situation mit enormem Druck dahinter, für den Besitzer und für den TA, und da wird der TA in den Augen des Besitzers schnell zum Feindbild, weil er derjenige wäre, der helfen könnte, es aber nur dann tut, wenn er nen angemessenen Preis dafür kriegt.
Gott weiß, dass sich die meisten Tierärzte wesentlich öfter breitschlagen lassen, als das sie hart bleiben, weil die meisten Tiere und sogar Menschen
recht gern haben. Aber es geht halt nicht immer.
Und das schwierige an Notdienst ist, dass man am Telefon oder auch, wenn die Leute grade unangemeldet am Schalter stehen, nicht immer einschätzen kann, ob es ein Notfall ist oder nicht.
Das hatte ich zum Beispiel auch gar nicht erwartet, nicht vorher und nicht nach dem Studium. Man denkt immer, Notfälle, das wären diese schlimmen, lebensbedrohlichen Situationen und da muss doch jeder TA bereit zu sein sowas kommen zu lassen, Tag und Nacht, gar keine Frage!
Man denkt sich auch "Man muss ja nicht jeden Quatsch kommen lassen, die eingerissene Kralle oder der Zwingerhusten kann auch bis Morgen warten, die Magendrehung oder Gebärmuttervereiterung darf natürlich sofort kommen!"
Mein erster "Notfall" den ich jemals alleine behandelt hab war auch gleichzeitig ein schönes Beispiel für einen ziemlich typischen "Notfall".
Vorbericht am Telefon: Der 10 Wochen alte Welpe würde stark am Kopf bluten, man wüsste nicht wo und wüsste nicht, was passiert sei, aber es wäre sehr viel Blut! Man wäre schon auf dem Weg, in 10 Minuten wäre man da! Das alles in hochdramatischem Ton, Besitzer fast am hyperventilieren.
Tja, da denkt man schon an große Wundversorgung in Narkose und legt sich schonmal ein paar Sachen bereit...
Was war? Der Hund hatte ne vollgesogene Zecke innen am Ohr, die geplatzt war. Es waren also ca. 2 dicke Tropfen Blut in den weißen Ohrbehang des winzigen Flauschihundes gelaufen.
Kurz durchgeguckt ob wirklich nix anderes ist, Zeckenrest entfernt, Ohr saubergemacht, gar nicht mal so kurze Beratung zur Parasitenprophylaxe, ein Spot-On mitgegeben und auf Wunsch auch noch ein Päckchen Zeckenhaken verkauft und gezeigt, wie man diese anwendet an den weiteren zwei Zecken, die ich auf dem Hund fand.
Kostenpunkt: Um die 50 € - es war Ostersonntag. Berechnet wurden eine Allgemeine Untersuchung zum doppelten Satz und das Spot-on und die Zeckenhaken, beides natürlich zum normalen Preis.
Das war ne Diskussion... der Typ, der beim reinkommen noch fast am heulen gewesen wäre und dem das dann nach 5 Minuten sichtlich peinlich war, wurde auf ein Mal richtig sauer. Ich musste den Chef anrufen. Der hat diesen "freudlichen" Kunden dann zum Glück ziemlich auf den Pott gesetzt und dann wurde auch gezahlt.
Und was wird der Kunde wohl erzählen?
"Reine Abzocke für bloß einmal Zecke rausmachen - Unverschämtheit!!!"
Dann gibt's andere Fälle, die hören sich am Telefon erstmal ganz undramatisch an - Hund ist ein bisschen schlapp, wollte heute Abend nicht fressen, hat vielleicht Fieber (Fieber messen kann/will man nicht, aber der Hund fühle sich so warm an).
Oder: Hund würde so komisch atmen und sei seit 2 Tagen irgendwie müde.
Oder: Pferd hätte ne kleine Macke, sieht frisch aus, hätte aber aufgehört zu bluten, schont das Bein ein bisschen.
Oder: Pferd hätte nen "Klitschauge", Besitzer vermutet ne Bindehautentzündung.
Das waren ne Gebärmuttervereiterung, ne schwere Lungenentzündung, ein Pferd mit ner Knieverletzung mit eröffneter Gelenkshöhle und ein Pferd mit perforierender Hornhautverletzung/ausgelaufenem Auge.
Und dann gibt's noch die Kunden, da kann man am Telefon schon sicher sagen, dass es kein echter Notfall ist, aber die sind einfach so hartnäckig, dass man sie ne halbe Stunde später schon wieder am Telefon hat, und dann wieder, und wieder, weil es "Immer noch nicht besser ist/schlimmer ist/jetzt noch das und das passiert ist/kann ich denn wirklich NICHT kommen, Frau Doktor, ich glaube mein Schnuckipups STIRBT!!!"
Die lässt man dann irgendwann kommen, damit sie einen in Ruhe lassen. Klar, SOWAS wird dann auch bis auf den allerletzten Cent voll abgerechnet.
Naja.
Die meisten "Notfälle" sind sowas wie die geplatzte Zecke.
Vielleicht 3-4 von 10 Fällen sind Sachen, die nicht auch ohne Probleme bis zum nächsten Morgen bzw Werktag hätten warten können oder die die Besitzer mit ein bisschen Grip und Geschick nicht auch hätten selber lösen können.
Und von diesen 3-4 Fällen sind dann vielleicht 1-2 dabei, die wirklich lebensbedrohlich sind oder aus anderem Grund sofortige Behandlung verlagen.
Ist also leider nicht so einfach mit dem "Nicht jeden quersitzendem Pups kommen lassen, sondern nur die richtigen Notfälle".