Ich hatte beim Lesen auch sofort das Gefühl, dass dich vermutlich das schlechte Gewissen gegenüber Rico plagt - völlig verständlich! Aber ihr habt eine tolle Lösung für alle gefunden, an der ich auch so festhalten würde.
Ja, genau so ist es. Als ich Rico vor neun Jahren aufgenommen habe, hätte ich mir niemals vorstellen können, ihn jemals abzugeben. Er war schon bei mir, bevor ich meinen Mann überhaupt kennenlernte. Ich weiß noch, wie ich meinem Mann (ebenfalls Hundefreund) in der Kennenlernphase erklärte: "Für kein Geld der Welt würde ich mich von Rico trennen!" Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir aber auch nie träumen lassen, dass dieser menschenliebe Hund jemals ein Familienmitglied beißen würde....
Du wirst auch Schuldgefühle haben, wenn du die Wohnung bei euch Zweiteilst und den Hund immer hinter Gitter Organisieren musst. Mir tat mein Oldie damals damit auch Leid. Der war so verschmust und brauchte auch so viel nähe.
Danke für diesen Punkt, da hast du natürlich recht. Ganz optimal ist es bei meinen Eltern auch nicht; die müssen auch managen, weil Rico im Zuge seiner SDU auch eine Ressourcenproblematik entwickelt hat und von der Hündin meiner Eltern getrennt sein muss, wann immer Fressbares im Spiel ist. Außerdem haben sie eine Katze, mit der er sich nicht versteht. Das ist aber immer noch um Längen einfacher, als Rico und ein Krabbelkind dauerhaft zu trennen bzw. permanent sicher zu beaufsichtigen, denke ich...
Aber allein durch die Krankheiten die der hatte, war der nicht mehr wirklich zurechnungsfähig. Die Betriebsblindheit die sich entwickeln kann ist die größte Gefahr.
Genau vor dieser Betriebsblindheit habe ich die größte Angst. Vor dem Zeitpunkt, an dem man nicht mehr zu 110% aufmerksam und wachsam ist, weil es ja schon so lange gutgegangen ist. Aber so kleine Kinder lernen ja ständig Neues dazu bzw. kommen auf neue Ideen, mit denen man nicht rechnet. Und was, wenn Rico noch einmal Zahnschmerzen, eine Ohrenentzündung oder schmerzhafte Alterszipperlein bekommt, die ich nicht schnell genug bemerke...? Mit Kind DARF einfach nichts passieren. Selbst ein "Scheinangriff" ohne Beschädigung könnte unsere Tochter ja schon traumatisieren.
Aber das Training und Handling ging schon vor Geburt los und das Baby ist absolut 0 Problem jetzt.
Das tat es bei uns auch. Wir sind schon seit dem Beißvorfall vor knapp drei Jahren bei einem Tierverhaltenstherapeuten, der uns auch jetzt auf die Zeit mit Kin vorbereitet und uns weiter begleitet. Gewisse Grundsteine sind also durchaus gelegt. Dennoch sind wir unsicher, ob die das Management (und Restrisiko) in Kauf nehmen wollen.
Es ist schon oft ein Struggle und hundeunerfahrenen Leuten rate ich rigoros davon ab sich einen Hund vor den Kindern zu holen..
Hundeunerfahren bin ich nicht. Sowohl meine Hündin vor Rico als auch die Hündin meiner Eltern waren/sind nicht einfach und hatten/haben ebenfalls Aggressionsthematiken (die Hündin meiner Eltern jedoch nur gegen fremde Artgenossen). Ich denke schon, dass ich mich mit Hundeverhalten, Körpersprache und Training inzwischen recht gut auskenne. Dennoch habe ich Angst vor der oben angesprochenen Betriebsblindheit.
Grundsätzlich finde ich es bereichernd, wenn Kinder mit Haustieren aufwachsen und würde es immer wieder so machen.
Ich auch! Wir hatten auch Haustiere, als ich Kind war, und ich möchte das nicht missen! Allerdings kann unsere Tochter ja bei ihren Großeltern Kontakt zu deren Hündin und deren Katze haben. Und bei uns werden evtl. in ein paar Jahren auch Kaninchen einziehen und wenn Rico nicht mehr lebt und unsere Tochter (und evtl. jüngere Geschwister) nicht mehr ganz klein sind, sicher auch wieder ein Hund.
Unser Kind wächst von Anfang an damit auf, dass man grundsätzlich mit Tieren einfach vorsichtig umgehen muss, ihre Grenzen respektieren muss, wie ein Hund sich zeigt, wenn er seine Ruhe haben möchte, was bedeutet es, wenn der Hund knurrt etc.
Wir haben ein Kinderbuch geschenkt bekommen, in dem das Kind der Geschichte zu der Katze geht, die in ihrem Körbchen liegt und sie streichelt - das ist zum Beispiel bei uns verboten und habe ich so oft als Aufhänger genommen, um das zu besprechen. Und wenn wir jetzt zu dieser Seite blättern, dann erklärt mir unser Kind sofort, dass das ein falsches Verhalten ist und dass man Tiere in Ruhe lässt, wenn sie in ihrem Körbchen sind.
Dadurch haben wir diese Phase gut hinbekommen. Von Seiten des Hundes gibt es zum Glück eine großzügige Eskalationsleiter, so dass für mich ausreichend Zeit ist, die Situation zu regeln.
Danke auch für deine etwas andere Sichtweise. So im Prinzip möchten wir das auch handhaben, unabhängig davon, wo Rico langfristig wohnen wird.
Zum Zeitpunkt als unser Kind in die Familie kam, waren die Hunde schon so viele Jahre an meiner Seite und wir waren so ein eingespieltes Team, dass ich den Versuch zusammenzuleben, auf jeden Fall gewagt hätte, egal, ob es einen Plan B gegeben hätte.
Ja, aber was, wenn das Wagnis in einem Erlebnis endet, das das Kind traumatisiert oder sogar körperlich verletzt... Das würde ich mir einfach nicht verzeihen.
Stand jetzt denke ich, dass Rico erst mal bei meinen Eltern bleibt. Wie wir die Situation bewerten, hängt ja auch davon ab, wie unsere Tochter sich entwickelt, wie verständig und verlässlich sie ist. Als Kompromiss könnte ich mir z. B. auch vorstellen, dass Rico uns regelmäßig besucht und ich in dieser Zeit dann eben zu 100% bei Kind und Hund bin. Und er dann eben wieder zu meinen Eltern geht, wieder Ruhe vor dem Kind hat und ich wieder runterfahren kann und nicht pausenlos auf Hab Acht sein muss.