Ich habe jetzt eine ganz Weile überlegt, ob ich das Thema kommentieren soll, gerade weil über's Internet viel missverstanden werden kann, und auch weil leider inzwischen oft eine Atmosphäre herrscht, in der man vorsichtig sein muss, was man sagt/schreibt, und ein Teil von mir hat ein wenig Sorge, aber ich bin es auch irgendwie Leid, dass man Probleme nicht mehr ansprechen darf - dadurch wird es am Ende nämlich für alle (!) Beteiligten schlimmer.
Zum Kontext: ich habe Kulturanthropologie studiert, habe in mehreren "Entwicklungsländern" längere Aufenthalte verbracht, dort auch bei NGOs gearbeitet, habe dort monatelang bei einheimischen Familien gelebt, hatte auch mal einen einheimischen Partner, und wurde früher (201x noch) auch von so manchen Freunden als "links-versifft" bezeichnet.
Werde ich nicht mehr. Gibt bestimmt einige, v.a. Menschen, die jetzt "mein" Fach studieren, die mich anno 2023 eher in die rechte Ecke stellen würden.
Warum? Weil ich es wage, bestimmte Vorgänge zu kritisieren.
Was mir in der ganzen "Ausländer-Debatte" ganz stark aufgefällt, ist, dass es v.a. zwei Lager gibt (und ich bin für jeden dankbar, der die Sache differenziert angeht, wie z.B. manche hier in den Posts): entweder man ist allgemein pro Migration und die armen Migranten werden ganz zu unrecht beschuldigt oder man findet Migranten scheiße und die sollen doch alle abgeschoben werden. (Salopp ausgedrückt.)
Beides ist Unsinn.
Es gibt Menschen, die unsere Hilfe wirklich brauchen, die sich in keinster Weise "daneben benehmen" / respektlos verhalten, und denen gegenüber wir - mMn - eine moralische Verantwortung haben.
Und es gibt Menschen, die hierher kommen, weil sie es einfach leichter haben wollen, die keinerlei Interesse daran haben, sich den Umständen anzupassen und die das System gnadenlos ausnutzen.
Und es gibt von beidem Abstufungen.
Würde man jetzt z.B. einfach Grenzen in Form von "Zahl X darf man DE / in die EU kommen" setzen, würden diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen, oft hinter den Zäunen bleiben.
Lässt man aber so gut wie jeden, der möchte, ins Land, ist die gesellschaftliche Aufnahmekapazität irgendwann erreicht und es kommt zu (massiven) Konflikten. Denn bei weitem nicht alle wollen sich integrieren - und Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen haben ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben.
Das ist nicht bös' gemeint, das ist so.
Es gibt Aspekte anderer Kulturen, die ich bewundere, von denen wir Mitteleuropäer uns - mMn - ein paar Scheibchen abschneiden könnten. Es gibt aber auch genug Aspekte, die man nicht unkritisch betrachten darf.
Wenn man jetzt Migranten grundsätzlich als "die armen, die können doch nichts dafür" hinstellt, tut man ihnen Unrecht. Das sind genauso wie wir Menschen, die Entscheidungen treffen, und denen man die Verantwortung für ihr Handeln nicht absprechen darf.
Ja, viele sind auch überfordert von der Situation, genauso wie immer mehr Deutsche. Das wird aber nicht besser, wenn man die Probleme verschweigt. Dann wird nämlich niemandem geholfen.
Und je mehr man den Durchschnittsmenschen böse Absichten unterstellt, wenn sie Probleme ansprechen, desto mehr wird man am Ende in die Arme wirklich rechtsextremer Parteien treiben, erstens weil die Menschen sich dann unverstanden fühlen und verzweifelt werden und zweitens weil sich dann so mancher denkt "Wie? Meine Meinung ist rechts? Hätte ich jetzt nicht so gedacht, aber hey, wenn -ich- [als milde kritisierender Bürger] rechts bin, dann kann rechts gar nicht so schlimm sein. Dann ist rechts gar nicht so extrem und böse wie ich dachte."
Deswegen ist es verdammt wichtig, dass man Missstände ansprechen darf! Wenn nicht, dann werden nämlich immer mehr Menschen entweder resignieren oder wütend werden. Und das schadet am Ende allen.
Das Problem ist, dass man als "normaler Mensch" viele dieser Ursachen nicht beeinflussen kann. Sehr wohl aber unter den Folgen (und ja, dazu zählt auch die Anzahl der Menschen, die von außerhalb in die EU kommen) leidet.
(Was können wir schon gegen die Globalisierung tun? So wenig wie möglich selbst dazu beitragen und es nicht weiter verschlimmern - find ich gut, versuche ich auch. Aber ganz realistisch betrachtet wird es die Situation trotzdem nicht ändern.)
Und leidende Menschen / Menschen, die Angst haben treffen oft nicht die besten Entscheidungen, und gehen dann den Versprechen der falschen Menschen/Parteien auf den Leim. Nicht gut, aber auch nicht verwunderlich.