Ein Aspekt zum Thema „im Original lesen“: Auch wenn ich eine Sprache sehr gut beherrsche, wird es ein anderes Leseerlebnis sein als das ein Muttersprachlers. Die Intention des Autors wird ja immer durch das individuelle Leseerlebnis verwaschen; bei einer Fremdsprache kommt das immer als weiterer Wahrnehmungsfilter hinzu.
Ein Beispiel, weil es hier schon genannt wurde: Ich spreche und lese wirklich sehr gut und problemlos Englisch; Harry Potter habe ich auf Englisch gelesen (wie die meiste englische Literatur). Auf Deutsch finde ich das ganz furchtbar, nicht weil die Übersetzung so schlecht ist, sondern weil es auf Deutsch genau wie das Kinder/Jugendbuch wirkt, das es ist. Auf Englisch wirkt es auf mich durch die fehlende frühe Sozialisation mit englischem Kinder/Jugendbuch-Vokabular im Allgemeinen und dem Zaubervokabular im Besonderen viel magischer und erwachsener. Ebenso Games of Thrones - die deutschen Eigennamen kommen mir so lächerlich und kindlich vor, die englischen erwachsen und passend. Kommt einem englischen Leser Theon Greyjoy so simpel und doof vor wie mir Theon Graufreund? Vielleicht, ich kann es nicht nachfühlen.
Spreche ich die Sprache nicht fließend, sondern nur solide, ahne ich stets, wie viel Nuancen mir verloren gehen. Dann lieber die Übersetzung, wenn ich näher an das Werk heran will. Und mehr als eine Näherung kann es auch nicht sein, wenn eine Nichtmuttersprache ins Spiel kommt. Es gibt immer einen weiteren Filter, durch den ich das Werk erlebe. Und manchmal macht der Filter das Werk für mich tatsächlich besser.