@Farah64
Mal anders auf Deine Frage geantwortet: Ich hab hier einen Hund, bei dem Angst zum Wesen dazu gehört. Ich kenne es, ich bin es gewohnt. Und musste - eben um mit diesem (und anderen ähnlichen) Hunden gut arbeiten zu können - Angst als eine Form dessen zu akzeptieren, was im tierischen (und menschlichen) Verhaltensspektrum einfach vorkommt und auch eine gute und sinnvolle Funktion haben kann.
Und ich hab dadurch vermutlich tatsächlich einen anderen Umgang damit, als jemand, für den Angst beim eigenen Hund etwas Unvertrautes und Schreckliches ist. Ich vermute, darauf zielt Deine Frage?
Meine Hündin lernt hier in dieser sehr sicheren Umgebung aus der Überwindung ihrer Ängste. Die Ressourcen dafür hat sie (mittlerweile). Sie macht das gut und ich sehe wöchentlich die Fortschritte. Deshalb gebe ich keine Medikamente. Hätte sie jetzt speziell zu Silvester exteagroße Panik wäre das anders. Hat sie bisher aber nicht. Möglicherweise auch genau deshalb, weil sie Angst kennt. Doch sie kann - auch rein biologisch - ihre Ängste regulieren. Das ist eine wichtige Kompetenz. Ich bin froh, dass sie die hat. Und ja - Medikamente können unter Umständen den Erwerb dieser Kompetenz behindern.
Aber es gibt auch Hunde, die nicht von sich aus aus ihrer Angst rausfinden. Und Umgebungen, die das schwer bis unmöglich machen. Und sobald ein Körper nicht von sich aus Angst herunterregulieren kann, sondern so lange hormonell und neuronal feuert, bis er einfach nur komplett erschöpft ist, gibts keinen positiven Lerneffekt. Im Gegenteil, der Körper kann quasi das „Angst haben“ als Solches verinnerlichen und generalisieren. Und hier setzen Medikamente an. Und können wiederum den Erwerb von Kompetenz im Umgang mit Ängsten erst möglich machen.
Bei Hunden, die erstmal keinen Zugang oder keine ausreichende Strategien zur Bewältigung ihrer Ängste haben - oder die von Außen einfach zu viel Stress ausgesetzt sind, als dass sie gut lernen könnten - ist ein Medikament einfach eine sinnvolle Möglichkeit, Leid zu verhindern. Und dem Lebewesen zu ermöglichen, einen eigenen Umgang mit seinen Ängsten zu finden und ihnen nicht komplett ausgeliefert zu sein.
Da gottseidank nur einmal im Jahr Silvester ist, finde ich auch nicht, dass Hunde lernen müssen, Silvester auszuhalten. Sogar, wenn sie es könnten (was bei Vielen einfach nicht der Fall ist).