Beiträge von Phonhaus

    @Garm

    Um nochmal auf den Beginn der Diskussion zu kommen: Verhaltensbedingte Tötung steht im Raum für sehr gefährliche Hunde. Das meint nicht in dem Sinn gefährlich, dass sie in einer erhöhten Reizlage zugebissen haben. Es gilt nicht für Formen der Aggression, die als der Situation/Art angemessen betrachtet wird. Sondern es betrifft Hunde, die schwer verletzt haben und das wieder tun würden, bei nicht sicher vermeidbaren oder unbekannten Triggern.

    Was macht Dich so sicher, dass diese Hunde aus einer Form von Unüberlegtheit bei der Anschaffung oder Unkundigkeit bei der Haltung kommen, und deren Zahl durch einen Hundeführerschein statistisch signifikant gemindert werden könnte? So sicher, dass Du noch mehr staatliche Regulierung für alle Hundehalter forderst?

    Da stecken zwei Grundannahmen drinnen. 1. Dass es gefährliche Hunde gibt, weil Unkundige (um nicht „Deppen“ zu sagen) einen Hund halten dürfen. Und 2. Dass diese Unkundigen mittels Hundeführerschein so sicher ausgefiltert werden können, dass es den Regulierungsaufwand und den Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung lohnt? Ich wüsste weder für 1 noch für 2 irgendeinen empirischen Beleg. Und so lange es den nicht gibt, muss man sich halt klarmachen, dass man sich im Bereich von Vorurteilen bewegt. Und das ist einfach keine gute Basis für gesetzliche Eingriffe.

    (Zumal die eh nie so ausfallen, wie man sich das im Vorfeld vorgestellt hat).

    Der zitierte „Brandbrief“ ist dafür übrigens ein herausragendes Beispiel. Jede Menge implizite Grundannahmen, keine vernünftig ausgearbeitete Kausalität zwischen der angenommenen Problemstellung und der geforderten Abhilfe, keine aussagekräftigen Belege. Und die unterzeichnenden Vereine, die mir direkt bekannt sind, übernehmen übrigens selbst Tiere aus Ost- und Südeuropa (aber nehmen natürlich an, dass sie es richtig machen im Gegensatz zu anderen, die Deppen Unkundige sind) |) Peinlich ist noch eine recht wohlgemeinte Bezeichnung dafür. Das schreibe ich als Jemand, der viele Jahre aktiv und finanziell Tierschutzarbeit unterstützt hat. Auch einen Verein, der den Brandbrief unterzeichnet hat.

    Es müsste nicht mal eine Gesetzesänderung her, sondern entsprechende Anwendungsverordnungen. Die dem handelnden Tierarzt Rechtssicherheit bieten und gleichzeitig praktikabel sind.

    dragonwog hatte das hier mal verlinkt:

    Vet.thieme.de - Euthanasie aufgrund aggressiven Verhaltens

    Der Artikel bezieht sich auf das deutsche Standardwerk für Recht in der Veterinärmedizin. Es handelt sich nicht um Rechtssprechung, sondern einen umfangreichen Kommentar zu den verschiedenen Gesetzestexten, ich würde es quasi als Empfehlung an Tierärzte lesen, wie sie sicher sein können, rechtskonform zu handeln. Und natürlich wird so ein Werk - käme es zu Gerichtsverfahren - als Referenz auch herangezogen.

    Das Büchlein selbst ist mir ein wenig zu teuer, deshalb kann ich nicht nachschlagen, ob es da Konkretisierungen gibt. Z. B. wer für eine Privatperson ein unabhängiger Sachverständiger sein kann/muss, wie ein vorrangiger Versuch der Vermittlung aussehen muss und was dem Halter dabei zumutbar ist, ob/wie der Tierarzt sich das nachweisen lassen können soll/muss … Das ist schon quasi eine Konkretisierung für die Praxis, lässt aber immer noch reichlich Interpretationsspielraum und offene Fragen.

    Ein Tier selbst zu töten ohne entsprechende Zulassung ist laut TSchG definitiv rechtswidrig. Ein Tier aus vernünftigen Grund von einer Person mit entsprechender Zulassung töten zu lassen nicht. Es hakt an der Frage, wie definiert wird, was ein vernünftiger Grund ist.

    Abgesehen von der ideologisch basiertem Ungleichbehandlung von sogenannten Haustieren vs. sogenannten Nutztieren, die hier schon angesprochen wurde: Belegte hohe Gefährlichkeit (beim gleichzeitigem Fehlen einer adäquaten Unterbringungsmöglichkeit) ist gemäß unserer Rechtssprechung ein vernünftiger Grund zur Tötung gemäß TSchG. Sonst könnte es keine behördlichen Anordnungen dazu geben.

    Das Problem für Privatpersonen ist, wie sie den Beleg erbringen wollen/sollen/können, wenn noch kein Sachverhalt vorliegt, der die zuständige Behörde zum Eingreifen veranlasst hat.

    Ich weiß nicht, was Du mit „rechtlicher Stellung“ meinst? Ich will hier tatsächlich überhaupt nichts „wahren“, bin bei dieser Diskussion emotional relativ unbeteiligt.

    Meine sehr begrenzten Erfahrungen habe ich aus ehrenamtlicher Tierschutzarbeit. Und aus Bekanntschaft mit Menschen, die tatsächlich einen solchen Hund halten und sich entschlossen haben, ihn zu behalten. Mit entsprechenden Ressourcen und der Kompetenz dafür. Und mit Menschen, die sich entschlossen haben, ihren Hund aus Verhaltensgründen einschläfern zu lassen. Tatsächlich reicht mein Weltbild dafür, beides zu verstehen :ka:

    Okay - und jetzt stell Dir mal vor, da wäre keine Pflegestelle, an den Du ihn zurückgeben kannst, kein Verein, der ihn übernehmen wurde, keine Privatperson mit der nötigen Kompetenz und den Möglichkeiten. Und Du wärst vielleicht nicht nur einmal schon im Krankenhaus gewesen. Hättest ggf. ein Kind oder eine betreuungsbedürftige ältere Person im Haus.

    Solche Hunde gibt es und nicht immer liegt die „Schuld“ beim Halter bzw. hätte dieser es absehen können. Und sogar dann würde ich niemanden ein solches Leben wünschen, bei dem er das irgendwie aushalten muss, wenn er es nicht selbst für sich wählt.

    Öhm, wenn ich jetzt ernsthaft möchte, dass mein Hund stirbt ohne jegliche medizinische Instanz, dann kann ich es zur Not auch selber tun und nicht einer Fremd Person diese Bürde aufhalsen (was ich auch extrem unfair finden würde).

    Genau deshalb möchte ich keines dieser Tierchen, denn ich suche meine Hunde nach Verträglichkeit aus :smiling_face_with_hearts:

    dragonwog

    Nimm den Facepalm nicht persönlich

    Du hattest noch nie einen Hund an der Leine, der Dir bei einem ungünstigen Trigger nahtlos an den Hals gegangen wäre, oder?

    Ich nehme das nicht persönlich. Ich vermute nur, Du kannst Dir die Situation, in der Halter eines hochgradig aggressiven Hunds stecken, schlicht nicht vorstellen.

    Ich wollte ehrlich gesagt nicht in der Haut einer Tierärztin stecken, vor der ein völlig verzweifelter Mensch steht, dessen Hund die eigene Unversehrtheit bzw. die der Familie ernsthaft bedroht (ggf. auch von betreuungsbedürftigen Familienangehörigen), der aber keinen gescheiten Platz für diesen Hund findet. Und jetzt erwägt, den Hund töten zu lassen.

    Wie gesagt: Es muss ein vernünftiger Grund vorliegen. Wenn die Tötung aus einem vernünftigem Grund erfolgt, ist sie nicht tierschutzwidrig. Was genau ein vernünftiger Grund ist, ist bei verhaltensbedingten Tötungen Ermessen im Einzelfall, das Risiko trägt der Tierarzt. Aus meiner Sicht ein Unding, aber alle denkbaren Lösungen sind da nicht schön.

    Eine Behörde kann die Tötung anordnen, wird das aber in den meisten Fällen erst tun, wenn schon etwas passiert ist. Tierschutzvereine haben die Möglichkeit, es über eine Ethikkommission zu regeln. Als Privatperson kann man nur hoffen, dass der Haustierarzt das Risiko trägt. Oder andere Möglichkeiten finden.

    Die Hürden hängen aus gutem Grund hoch, aber auch das bringt nunmal Probleme mit sich.

    Das TSchG spricht von „Vernünftigem Grund.“

    Ob eine verhaltensbedingte Tötung auf Veranlassung einer Privatperson auf einem vernünftigem Grund beruht oder nicht, das Risiko, diese Einschätzung zu treffen, trifft in der Regel den Tierarzt. Sehr unschön geregelt. Der Tierarzt, der Rechtssicherheit haben möchte, sollte es daher ablehnen.

    Nichtsdestotrotz ist es nicht prinzipiell verboten.

    Rein gesetzlich haben Tierschutzorgas da i. d. R. rechtssicherere Möglichkeiten als eine Privatperson. Über verhaltensbedingte Tötung entscheidet eine Ethikkommission.

    Das scheint nach dem, was ich höre, heute zwar auch deutlich schwerer zu sein als noch vor 20 Jahren. Aber die rechtliche Möglichkeit besteht.

    Es wird nur - aus unterschiedlichen Gründen - nicht oft umgesetzt.