Letzte Aktualisierung bis auf die Monatsmottos. Für Februar liegen hier die „Sterntagebücher“ von Stanislaw Lem, die nehme ich mir nächstes Wochenende vor. Für Ion Tichy brauche ich die entsprechenden Nerven, denke ich 
Heute fertig gelesen:
13. Lass dein Haustier wählen
Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod
Mit etwas diszipliniertem Dranbleiben ist es mir dann letztlich doch gelungen, in die Gedankenwelt des Autors hineinzufinden.
Baudrillard war französischer Soziologe und hat das Zeitalter der Zeichen und Codes, der Simulation - heute würde man es das digitale Zeitalter nennen - schon in diesem 1976 erschienenen Werk sehr klarsichtig beschrieben. Es ist eine unbequeme Lektüre. Jedenfalls für Jemanden, der sich mit dem „Wie“ des Denkens beschäftigt und dabei immer nich die Utopie vom freien bürgerlichen Menschen im Hinterkopf hat, wie sie im romantischeren Teil der Aufklärung formuliert wurde. Baudrillard setzt sich nicht kritisch/dialektisch mit dieser Utopie bzw. ihrem Verfall auseinander - wie es letztlich viele Theoretiker der kritischen Theorie und auch der französischen Postmoderne getan haben - sie spielt in seinem Buch keine Rolle. Als sei es müßig, daran festzuhalten.
Spannend finde ich die Frage, wieso jetzt fast 50 Jahre später ganz viel von dem, was er postuliert hat, sich gehalten hat bzw. weiter herausgebildet hat, ohne dass die genannte Utopie aufgegeben worden wäre. Irgendwas geht immer noch nicht ganz auf.
Auch schon angefangen und heute fertig gelesen:
38. Lies ein Buch, dessen erster Satz eine Frage ist
Sabrina Qunai: Elfenmagie
Ganz viele Seiten High Fantasy mit ganz viel Elfen drin. Vor etlichen Jahren hätte ich vermutlich darin geschwelgt, aber aktuell wars mir zu ausschweifend und kitschig, konnte die Lektüre nicht genießen.
42. Lies ein Buch, in dem Hauptfigur ca. 20 Jahre jünger oder älter ist als du derzeit
T. Kingfisher - The Hollow Places
Ein wohltuender Kontrast - eine fiese kleine Gruselgeschichte mit Widerhaken, lakonischen Humor und Protagonist*Innen zum Liebhaben. Von dieser Autorin hätte ich gerne mehr gelesen als dieses Häppchen.
48. Lies ein Buch, dessen Titel aus maximal zwei Wörtern besteht
Leonhard F. Seidl: Vom Untergang
Ein interessantes Buch, wenn auch nicht 100% überzeugend geschrieben. Hintergrund ist eine wahre Begebenheit. Der rechtsnationale Denker Oswald Spengler, Autor des zweibändigen - öfter zitierten als gelesenen - Monumentalwerks „Der Untergang des Abendlands“ hat 1922 mit Freunden und Sponsoren den Versuch unternommen, die Lenkung einflussreicher Teile der damaligen Presse im Sinne rechtskonservativer Anliegen zu übernehmen. Das Unternehmen scheiterte schon im Ansatz.
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte und der Ermordung Walter Rathenaus bastelt Seidl einen Kriminalfall in Form einer Kolportage um die Ermordung eines jungen Sozialdemokraten zusammen. Garniert mit viel Spenglerzitaten, dem Streit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, der Einflussnahme des rechtskonservativen Bürgertums und dem aufkommenden Nationalsozialismus. Versatzstücke aus Sitzungs- und Polizeiprotokollen, Briefen, Zitaten und frei geschriebenen Textstücken entsteht eine Collage, die einen Eindruck von der Zeit gibt. Ein sehr ambitioniertes Unterfangen, alleine deshalb schon das Lesen wert, auch wenn ich die Umsetzung im Gesamteindruck etwas holprig finde.
Aber Spengler an sich ist schon eine faszinierende Figur im Zeitgeschehen. Ein Monumentalwerk, dass seinerzeit jeder als sich gebildet betrachtet habende bürgerliche Haushalt erworben hat, dass aber schon wenig später zumindest aus dem offiziellem Gedächtnis gefallen ist. Ein vorgeblich historisches Werk, ohne dass der Autor sich im mindesten um akribisch wissenschaftliches Vorgehen bemüht hat. Dass deshalb im Kanon der Geschichtslehre auch nicht wirklich Platz hat, obwohl sowohl Thesen aus diesem Werk (wie z. B. der zyklische Verlauf der Geschichte und der quasi organische Aufstieg, Fall und Untergang eines Reichs) sich fest ins Populärdenken eingefräst haben und teils auch Geschichtswissenschaftler beeinflusst haben. Dessen Vorhersagen sich zu einem nicht unerheblichen Teil eingetroffen sind (was aber im Wesen dieser Art von Untergangsprophezeihung liegt) und der einen emotionalen Nerv trifft, der heute immer noch zu funden ist und dafür sorgt, dass rechtsnationales Denken über Emotionen auch dort Wurzeln fassen kann, wo man es nicht vermuten würde.
Spengler war nicht der erste und nicht der letzte Untergangsdenker/-prophet mit sentimentaler Anbindung an verloren gedachtes „richtiges“ Empfinden, dessen Vergehen er beklagt. Aber einer der Scharfsinnigsten. Der dem Nationalsozialismus geistig mit den Weg geebnet, ihn selbst aber von Herzen verabscheut hat. Auch etwas, was kein historischer Einzelfall ist.
Er gilt heute in entsprechenden Kreisen noch als einflussreicher Denker. Adorno schrieb in den 50er Jahren „Spengler hat kaum einen Gegner gefunden, der sich ihm gewachsen gezeigt hätte: das Vergessen wirkt als Ausflucht.“ Was mMn keine Hommage an Spengler gewesen sein sollte, sondern das bittere Resümee, dass versäumt wurde, sich dem Gehalt seines Denkens mit allen verfügbaren intellektuellen Kräften entgegenzusetzen. Fraglich, ob es was genützt hätte. Eine Frage, die heute wieder brennend aktuell ist.
Das Büchlein lässt einen nachdenken und ich denke, das war die Absicht seines Autors.