Mich würde nur mal interessieren, wie es euch geht, wenn der Hund mal aggressiv euch gegenüber war.
Und ich würde gerne ein paar "Betroffene" hören, da ich mich mit dem Problem momentan ziemlich alleine fühle.
Mir gegenüber war mein Hund nie aggressiv, aber meiner Familie gegenüber und auch fremden Menschen, was mich psychisch wahnsinnig belastet hat.
Sie hat vor ca. 4 Jahren eine sehr schlechte Erfahrung mit einem damaligem Nachbarn gemacht. Er war Volltrunken, kam grade mit seiner Frau nach Hause und wollte Anju begrüßen. Aus dieser Begrüßung wurde schneller als ich gucken konnte eine feste Umarmung. Mein Hund hat versucht, sich aus seinen Armen zu winden, ich habe auf meinen Nachbarn eingeredet, er solle sie loslassen. Er hat nicht gehört. Mein Hund hat geknurrt. Mein Nachbar hat es ignoriert. Ich habe wieder auf ihn eingeredet. Er hielt sie weiter fest im Griff. Sie schnappt nach ihm, direkt Richtung Gesicht. Er erschreckt sich, lässt sie kurz los. Sie versucht zu mir zu laufen, da hat er aber schon wieder nachgefasst und sie zurück gezogen.
Er hat es gar nicht böse gemeint, konnte gar nicht verstehen, warum sie ihm nun immer wieder Richtung Gesicht schnappte, sie bräuchte doch keine Angst vor ihm haben... Und jede Erklärung meinerseits brachte nix.
Letztendlich mussten seine Frau und ich - nachdem anschreien auch nicht geholfen hat - ihn wirklich körperlich von meinem Hund entfernen. Ich weiß nicht, wie lange er dieses Spielchen sonst noch durchgezogen hätte.
Ich bin bis heute erstaunt darüber, dass Anju trotz der Angst und dem Unwohlsein das sie in dem Moment hatte, ihn nie mit ihren Zähnen auch nur berührt hat.
Das hätte ganz anders ausgehen können und ich bin wahnsinnig froh darüber, dass Anju sich noch so weit zusammenreißen konnte. Ein anderer Hund hätte ihm vermutlich das Gesicht zerfetzt.
Anju war schon immer Unsicher, aber eigentlich nie Menschen gegenüber. Das hatte sich nun geändert. Jeder wurde misstrauisch beäugt. Menschen, die wir öfter beim Gassi getroffen haben und von denen Anju sich früher gerne hatte streicheln lassen, wurden nun weg geschnappt, wenn sie die Hand nach ihr ausstreckten, oder sich in ihre Richtung beugten.
Also habe ich Fremdstreicheln verboten. Kein fremder durfte mehr meinen Hund berühren. Damit kann ich leben.
Dann irgendwann - Wochen später, als ich dachte, die Situation mit dem Nachbarn hätte Anju schon längst verdaut - ein Anruf.
Ich war bei meinen Großeltern zu Besuch, Anju war bei meiner Mutter.
"Dein Hund hat mir ins Gesicht gebissen!" war das erste, was sie zittrig und verweint ins Telefon geschrien hat.
Da sind dann auch bei mir alle Dämme gebrochen. Ich habe nach dem Telefonat heulend unsere Hundetrainerin/Hundeverhaltenstherapeutin angerufen, einen Termin für den nächsten Tag ausgemacht und habe den Besuch bei meinen Großeltern abgebrochen.
Zuhause war dann alles merkwürdig für mich. Zuerst habe ich nach meiner Mutter gesehen. Anju hat die Nase erwischt. Nicht doll, zum Glück. Aber der Schock war für meine Mutter eh das schlimmste. In einem Moment noch gekuschelt, im nächsten sieht man Zähne auf sich zuschießen .
Anju habe ich gar nicht beachtet. Ich wusste nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Das Vertrauen war weg. Ich war wütend und traurig. Vor allem auf mich selbst. Wieso habe ich die zwei alleine gelassen? Wieso habe ich diese scheiß Situation mit dem Nachbarn nicht energisch unterbrochen? Warum habe ich überhaupt zugelassen, dass ein Alki meinen Hund anfasst?
Am nächsten Tag kam die Hundetrainerin. Sie hat sich die Situation zuhause angesehen. Hat meiner Mutter erklärt, dass sich Anju beim "kuscheln" höchstwahrscheinlich unwohl und bedrängt gefühlt hat. Hätte Anju meine Mutter mit Beschädigungsabsicht gebissen, würde ihr Gesicht nun anders aussehen und wenn die Nase beim abschnappen erwischt wurde, war sie eindeutig zu nah über Anjus Gesicht.
Wir mussten den ganzen Umgang mit Anju komplett überdenken. Ich habe einen ziemlich intensiven, lehr- und vor allem hilfreichen Crashkurs in Hundesprache bekommen, wir wurden geschult, wie wir Anju nun zu berühren hatten und vor allem wie nicht. Auch für draußen gab es Training, gegen die generelle Unsicherheit, die sich nach dem Vorfall mit dem Nachbarn verstärkt hatte.
Es war wirklich anstrengend und nervenaufreibend. Das Vertrauen zu Anju war lange weg und auch ich habe mich unsicher gefühlt, obwohl mir gar nichts passiert ist.
Vor allem war das Vertrauen weg, weil Anju auf mich unberechenbar wirkte. Ich konnte so schlecht einschätzen, warum sie nun geschnappt hat, wenn sie es getan hat. Ganz schlimm war es bei meinem Opa. Ich vermute, dass es mit daran liegt, dass er groß und breit ist und durch seine Unbeweglichkeit im Knie, wirkt er sehr grobmotorisch.
Sie beäugt ihn auch heute noch sehr misstrauisch. Auch denke ich, dass sie es nicht mag, wenn er nach Bier riecht.
Die Jahre vergingen, wir sind wieder zusammengewachsen bzw. ich habe wieder Vertrauen gefasst, aber das Schnappen ging nie ganz weg. Es wurde weniger, je mehr die Menschen akzeptiert haben, dass sie sich Anju gegenüber wirklich vorsichtig und leichtfüßig verhalten müssen, aber letztendlich musste ich erkennen, dass Anju ganz einfach nicht mehr gestreichelt werden wollte.
Es war so schwierig für mich zu akzeptieren, dass nun auch die Familie Streichelverbot hat, das wirklich ALLE außer mir Streichelverbot haben.
Aber seitdem ich das durchgesetzt habe und sich die meisten auch daran halten, ist es extrem selten geworden, dass Anju die Notwendigkeit gesehen hat, sich durch schnappen Raum zu verschaffen.
Das ich wieder Vertrauen zu Anju aufgebaut habe, verdanke ich meiner Hundetrainerin. Sie hat uns quasi wieder zusammengeschweißt. Ohne ihre Hilfe hätte ich Anju vielleicht gar nicht mehr, denn da ich damals noch mit meiner Mutter zusammenwohnte und sie Schwierigkeiten hatte, sich an die neuen Umgangsformen mit Anju zu gewöhnen, stand auch das Thema Abgabe immer mal wieder im Raum.
Es war eine wirklich schwierige Zeit. Ich habe wahnsinnig viele Tränen vergossen, war psychisch angeschlagener als eh schon und ich hatte sehr lange Zeit Schuldgefühle und das Gefühl, auf ganzer Länge versagt zu haben. Vermutlich wäre mir das hier auch noch bestätigt worden, weshalb ich es hier damals nie ganz angesprochen hatte. Hier wird immer von einfach, einfach, einfach gesprochen. Einfach am Problem arbeiten. Ja, aber einfach ist es halt nicht und den richtigen Trainer für sowas zu finden leider auch nicht immer. Im Forum wissen es die meisten oftmals besser und gefühlt wäre für jeden total klar, was nun zu tun ist und man geht da völlig ohne Emotionen ran..
In der virtuellen Theorie klingt das immer super, in der reellen Praxis scheitert es meist daran, dass man Gefühle nun mal nicht abstellen kann.
Jetzt habe ich Abstand zu dem Thema. Das war halt unsere dunkelste Zeit, aber danach sind wir stärker zusammengewachsen, als wir es vorher waren und ich kann mittlerweile auch sehr gut damit leben, dass niemand mehr mit Anju kuscheln kann, außer mir und teilweise auch meiner Mutter.
Das bedeutet auch gar nicht, dass niemand mehr mit ihr interagieren kann. Im Gegenteil. Wenn sie von sich aus ankommt, ist Kontaktliegen/Sitzen völlig okay, solange man seine Griffel bei sich behält. Leckerlis nimmt sie von jedem und auch spielen tut sie gerne und ausgiebig mit jedem, der ein tolles Spielzeug parat hat.
Ich weiß nicht, ob dir unsere Geschichte irgendwas bringt. Du bist auf jeden Fall nicht alleine, hier gibt es Menschen, die deine Sorgen und Ängste teilen und verstehen.