Vermenschlicht?

    Egal welchen Ratgeber, welchen Trainer, welches Internetforum man befragt, immer wieder erhält man den Rat, man dürfe Hunde nicht vermenschlichen.

    Ich empfinde diese Aussage genaugenommen als falsch. M. E. kann man das Verhalten von Menschen gut auf Hunde übertragen. Beispiele:

    Mit 15 Jahren war der Besuch einer Diskothek für mich so verheissungsvoll, dass ich Verbote meiner Eltern umgangen habe. Der Spass beim abendlichen Ausgehen mit Artgenossen überwog die Angst vor der zu erwartenden Strafe. Meine Regelübertritte hatten nichts damit zu tun, dass ich meine Eltern nicht gemocht oder respektiert hätte.

    Der vorm Supermarktregal krakelende und tobende Hosenmatz tut dies nicht, um seine Mutter zu blamieren, sondern weil er an die Schokolade will.

    Menschen arbeiten für eine Bezahlung - und nicht wegen einer guten Erziehung oder Bindung zum Chef.

    Meiner Meinung treffen Menschen genau wie ihre Hunde Entscheidungen auf Grund der Überlegung, ob eine Handlung für sie angenehme (Bezahlung, Spass, Zuneigung, Bewunderung, Selbstbestätigung) oder unangenehme (Strafe, Entzug von Zuneigung, Schmerz, Ablehnung) Konsequenzen hat.
    Viele unserer Handlungen sind (ebenfalls wie beim Tier) instinkgeleitet. Wie z. B. das Umsorgen von Nachwuchs, die Partnersuche, "Nestbau" oder den Wunsch nach Sozialkontakten.

    Würde der Mensch bei nüchterner und realistischer Betrachtung seines eigenen Verhaltens Parallelen zu seinem Hund ziehen, verstünde er dessen Motivation und Handlungsentscheidungen meiner Meinung nach sehr gut.

    Wer von seinem Hund verlangt, Kommandos aus Liebe zum Besitzer oder reiner Gutartigkeit auszuführen, wendet ein Ideal auf das Tier an, dem er selbst nicht gerecht werden kann. Zum Altruismus neigen meiner Erfahrung nach weder der Normalmensch, noch der Normalhund. Ghandi und Lassie sind Ausnahmeerscheinungen.

    Das sind meine Gedankengänge zum Thema "Vermenschlichung". Was meint ihr dazu? Liege ich falsch?

    Gruss
    Annika

    Zitat

    Der Spass beim abendlichen Ausgehen mit Artgenossen überwog die Angst vor der zu erwartenden Strafe. Meine Regelübertritte hatten nichts damit zu tun, dass ich meine Eltern nicht gemocht oder respektiert hätte.


    :lachtot: Erfrischend nett geschrieben- DANKE dafür *sichTränenausdenAugenwischt*

    Ich finde Deine Argumentation bezüglich unterschiedlich motiviertem Verhalten im Grunde richtig.

    Allerdings zeigt sich die "falsche" Vermenschlichung Hunden gegenüber mMn bei anderen Aspekten oder Situationen.

    1. Hund A mobbt im Freilauf einen oder mehrere andere Hunde.
    Aussage HH von Hund A: "Die spielen doch so schön!"
    ->klare Fehlinterpretation. Nur weil es für den Unwissenden so aussehen mag, als hätte hier irgendwer Spass, muss das noch lange nicht der Fall sein!

    2. Hund kommt vom Jagen mit hängenden Ohren und eingeklemmter Rute zum Besitzer zurück. "Der weiß genau, dass er das nicht soll/ was falsch gemacht hat"
    -> Nö :p Der Hund reagiert auf die Stimmung/ das Verhalten seines Besitzers, der recht angesäuert die letzten Minuten seinem Hund wahlweise hinterhergebrüllt oder blöd dagestanden und gewartet hat ;) .

    3. Hund an der Leine zieht zu anderem Hund hin, Mensch meint, die Hunde müssten sich "Hallo sagen" *seufz*


    Klar mag es aus verhaltensbiologischer Sicht Gemeinsamkeiten für die Gründe von Verhalten geben- das aber bei (nahezu) allen Lebewesen.
    Allerdings glaube ich schon, dass es oft fatal sein kann, Hunden allzu "menschliche" Gedankengänge und Verhaltensweisen zu unterstellen. Denn: egal wie sehr ich meinen "Köter" auch mag, er ist und bleibt- ein Hund.
    Und als solchen sollte ich ihn doch bitte auch so behandeln und respektieren, im Alltag und auch im Training.

    Denn es gibt eben schon Verhalten (von Hunden), das sich nicht mit dem von uns Menschen deckt oder als ähnlich interpretiert werden sollte, eben aufgrund von andersartiger Motivation, genetischer Veranlagung usw.

    Lg, Uli

    Ich denke, dass es auf das Wissen der Menschen ankommt. Und es gibt schon Bücher, die genau dieses Thema aufgreifen und zwischen sinnloser schädlicher Vermenschlichung und akzeptabler unterscheiden, z.B. Feddersen-Petersen.

    Vermenschlichung wird so verteufelt, weil sie für viele HH Begründung für Fehlinterpretationen des Hundeverhaltens und oft auch massiven Bestrafungen der Hunde benutzt wird. Bildet sich Mensch ein, dass Hund mit Absicht in die Wohnung gekackt hat und ein schlechtes Gewissen hat, wenn das stinksaure Herrchen heim kommt, dann folgen daraus oft harte und sinnlose Strafen für Hund. Das mal als Beispiel.

    Trotzdem gibt es viele Sachen, die wir Menschen mit unseren Hunden gemeinsam haben, davon bin ich überzeugt ;)

    LG Lily und Happy

    Zitat

    Viele unserer Handlungen sind (ebenfalls wie beim Tier) instinkgeleitet. Wie z. B. das Umsorgen von Nachwuchs, die Partnersuche, "Nestbau" oder den Wunsch nach Sozialkontakten.


    würde ich mal völlig anders sehen ;)

    Der Hund tut Dinge, um Strafe zu entgehen und Vorteile zu haben.
    Er denkt nicht darüber nach, welche Konsequenzen etwas in ferner Zukunft hat, sondern er handelt situationsabhängig für den Moment.

    Ein großer Unterschied zwischen Mensch und Hund

    Zitat

    [

    Der Hund tut Dinge, um Strafe zu entgehen und Vorteile zu haben.
    Er denkt nicht darüber nach, welche Konsequenzen etwas in ferner Zukunft hat, sondern er handelt situationsabhängig für den Moment.

    Ich finde, diese beiden Sätze widersprechen sich. ;)

    Zitat

    Okay.
    Aber damit hat er dann wieder sehr viel Ähnlichkeit mit einem kleinen Kind ;)


    bis zu einem gewissen Alter? ja

    aber nen kleines Kind hat nichts mit den Beispielen einer 15-jährigen etc. zu tun

    Naja, es ging um Ähnlichkeiten zum menschlichen, nicht generell um ein konkretes Alter, oder?

    Das Beispiel mit der 15 -jährigen war ja nur .... ein Beispiel eben :D

    Edit: Und so, wie es meiner Meinung nach durchaus Parallelen gibt, gibt es natürlich auch Situationen, wo ein vermenschlichen des Hundes unpassend sein kann ;)

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