Beiträge von Marabea

    Gerade habe ich „Wintermänner“ von J. B. Kold beendet: Sprachlich und inhaltlich ein unglaublich gutes Buch, psychologisch überzeugend, atmosphärisch sehr dicht, bedrückend realistisch (da der Autor historische Fakten überall eingearbeitet hat). Ein Buch über den Krieg, Gräuel und Vernichtung - ein Antikriegsbuch par excellence.

    Ein Rezensent (jomisp) schreib auf Amazon sehr treffend:

    „Eine wirklich sehr bewegende deutsche Geschichte zweier Brüder, die viel hatten und konnten. Nur eines schafften sie nicht: Sich dem Terror und den Verbrechen zu entziehen. Nach dieser Lektüre bin ich jetzt noch vorsichtiger geworden, wenn es darum geht, "wie hätte ich mich damals verhalten?“

    @Brauni2012 : Ich habe beide Bücher von Seethaler gelesen. Sicherlich bevorzuge ich den „Trafikanten“, aber „Ein ganzes Leben“ kann man damit nicht vergleichen: Hier wird eine einfache, schlichte Lebensgeschichte eines einfachen, schlichten Mannes erzählt, eines österreichischen Seilbahnarbeiters. Nichts ist langweilig, nichts gar klischeehaft. Berührend und nachdenklich machend. Ich mochte es wirklich. „Als ob Egger direkt vor einem sitzen und aus seinem Leben erzählen würde.“, schrieb mal ein Rezensent.


    Mach dir selbst ein Bild. Für das Buch muss man in der richtigen Stimmung sein, um die leisen Töne zu hören und die poetische Sprache wahrnehmen zu können.

    Selkie : Du nennst gute Aspekte, die zeigen, wie schwer die Grenze zur phantastischen und surrealen Literatur, zu Fantasy etc. zu ziehen ist. In einer Dissertation zum Thema ‚Magischer Realismus’ habe ich auch zwei Definitionen gefunden, die interessant sind, aber ebenfalls nicht alle Fragen klären:

    „eine narrative Technik, die Fantasie mit roher physikalischer oder sozialer Realität in Verbindung setzt, auf der Suche nach einer Wahrheit, die über das, was im Alltagsleben an der Oberfläche greifbar ist, hinausweist“ (...) „... etwas Irreales, das mit dem Realen organisch verflochten ist, woraus eine andere Realität entsteht.“

    „Er verbindet Realität und Fantasie auf derart natürliche Weise, dass die Fantasie in der Realität und die Realität in der Fantasie aufgeht. Dies hat starke Auswirkungen sowohl auf das Erzählen als auch auf die Emotionen und die Wahrnehmung von Lesern bzw. Zuschauern.“

    @Juno2013 : Gerade jetzt bleiben wir dran, denn es gibt noch so manche Hürden auf dem Weg der Heilung. Schön, dass ihr etwas durchatmen könnt, da die OP vorbei ist. Wir wünschen euch und deinem Vater, dass es jeden Tag einen Schritt voran geht und dass sich auch weiterhin keine Komplikationen einstellen.

    Phonhaus

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    Ja, was den künstlerischen Bereich angeht, stimme ich dir absolut zu. Im literarischen Bereich ist es sicherlich wichtig, dass dieser Begriff in Lateinamerika von großer Bedeutung ist (Stichwort: Mayamythen), dass es aber keine klaren Abgrenzungen zu Phantastik oder Fantasy bzw. Belletristik mit mythischen/mystischen Elementen gibt. Wozu also noch eine Gattung? Dass es Literatur überwiegend nicht um ihrer selbst Willen gibt, sondern dass sie eine Käufergruppe braucht, führte mich zu der o.g. Vermutung.
    Deine Aussage erinnert mich an Mircea Eliade und damit an Studienzeiten - wobei interessant wäre zu untersuchen, ob die Werke der bei Wikipedia aufgelisteten Autoren tatsächlich irgendwelche religiösen Phänomene oder Archetypen bzw. philosophische Deutungen behandeln...

    Kann es nicht auch sein, dass die Übertragung dieser Bezeichnung aus Malerei und Filmkunst auf den Bereich der Literatur nur eine Verkaufsstrategie ist, um Leser/innen wie mich zum Erwerb jener Bücher zu bringen, Leser, die bei den Untergattungen Phantastik oder Fantasy (nicht identisch) sonst gleich abwinken würden?


    Es geht bei diesem Genre ja auch um Träume, Volksmythen, Volkskultur, geschichtliche Überlieferungen, religiöse Traditionen u.ä. In diesem Sinne habe ich z.B. „Marina“ von Zafón nur zu Beginn mit viel Vergnügen gelesen. Auch Haushofers „Wand“, Kafkas „Prozess“ uvm. hinterlassen viele Fragen. Unser Projekt mit dem „Schneemädchen“ von E. Ivey ist ja auch Anlass zu mancher Spekulation gewesen und hat vielfältige Lösungsvorschläge, was die Identität des Mädchens angeht, hervorgebracht.

    Dass Realität und Mythologie nebeneinander existieren, ist im religiösen Bereich völlig klar. Dies zeigen z.B. die Schöpfungsmythen verschiedener Kulturen.

    Im literarischen Bereich also nur eine neue Untergattung für eine größere Lesergruppe?

    Ich bin begeistert von meinem neuen Buch, auf das ich zufällig gestoßen bin: Das Debüt des dänischen Autors Jesper Bugge Kold „Wintermänner“ - ein Erstling, dem der Leser die jahrelangen Recherchen des Schriftstellers anmerkt.


    Fesselnder Schreibstil und ungewohnte Erzählperspektive der Ereignisse ab den 30er Jahren in Deutschland aus der Sicht zweier Täter. Im Vorkriegs-Hamburg der 30er geraten die beiden Brüder Karl und Gerhard nach und nach in den Sog des NS-Regimes. Ich zitiere mal die Verlagsinfos: „...(der Autor schildert) den Werdegang eines ideologiekritischen Unternehmers zum SS-Offizier und den seines Bruders, einem introvertierten Mathematik-Professor, zum Aufseher in einem Konzentrationslager. ... Der Autor vermeidet eine Wertung ihrer Taten oder Untätigkeit. Vielmehr beschäftigt er sich mit den Beweggründen und Folgen ihres Handelns, ohne dabei in Klischees zu verfallen.“


    Während Karl sich im zweiten Weltkrieg durch das Grauen des Krieges in Frankreich und Russland verändert, wird sein Bruder Gerhard sich ebenfalls vor einer emotionalen Verrohung nicht schützen können und schließlich sogar Kommandant eines Konzentrationslagers werden...


    In der Regel befassen sich Romane über den 2. Weltkrieg bzw. den Holocaust mit dem Schicksal von Opfern sowie dem von Mitläufern oder Widerständlern. Hier nun etwas ganz anders, das aber ohne die schriftstellerische Begabung des Autors und seine akribischen Recherchen vor Fertigstellung des Debüts nicht so gelungen wäre.