Zu dem Kassensturz-Bericht muss ich jetzt doch mal was sagen - insbesondere weil dabei Kanada und Alberta erwaehnt werden, und ich die "Pferdezene" hier auch ein bisschen kenne. Erstmal vorweg, das Fleisch aus dem "Pferdefleischskandal" stammt aus Rumaenien, hat also mit dem Kassensturz-Beitrag nur indirekt was zu tun.
Im Prinzip ist der Bericht gut recherchiert. Vor allem der Amtstierarzt vom BVET gibt schluessige Antworten.
Es ist tatsaechlich so, dass viele Pferde aus den USA zur Schlachtung nach Kanada (und Mexiko) eingefuehrt werden, seit alle Pferdeschlachthoefe in den USA 2005 geschlossen wurden. Wenn man sich ueberlegt, wo in den USA die hoechste Pferdedichte ist, dann ist es auch klar, dass das oft einen weiten Transport bedeutet.
Im grossen Gegensatz zu Europa sind in Nordamerika Pferde immer noch mehr Arbeits- als Luxustiere. Sehr viele Leute halten Pferde hier, und im Durchschnitt sind die Pferde recht schlecht ausgebildet. Wer von kanadischen Cowboys schwaermt, dem muss auch klar sein, dass der Cowboy bestimmt nicht alle alten und lahmen Pferde aufhebt. Genau das selbe gilt fuer ausgemusterte Rennpferde. Und lahm - "arbeitsunfaehig" - geht beim Pferd nunmal schnell. Eine weitere Quelle fuer Schlachtpferde ist Premarin-Produktion, das sind meistens Kaltblutrassen oder -mixe.
Bis vor der Finanzkrise war es fuer Pferdehalter eigentlich recht einfach, die Tiere wieder loszuwerden. Die Tiere werden ueber Auktionen versteigert, und die, die nicht an Privat verkauft werden konnten, wurden vom Schlachter zu einem ordentlichen Kilopreis gekauft. Hier in Nordamerika wird ganz wenig Pferdefleisch konsumiert, die Haupt-Absatzmaerkte sind Japan und eben die EU. Es gab deshalb viele Farmen und "Zuechter", die jeden Jahr Fohlen hatten - die, die uebrig blieben gingen eben zum Schlachten.
Das alles hat sich seit der Finanzkrise und seit der Schliessung der Schlachthoefe in den USA stark geaendert. Viele Leute, die Pferde hielten, haben ihren Job oder ihr Haus verloren, die Futterpreise steigen, und die Leute koennen sich die Tiere ganz schlicht nicht mehr leisten. Also ab zur Auktion. Weil aber so viele Pferde verkauft werden, und weil die Transportkosten so hoch sind fallen die Preise. Zusaetzlich kommen die Pferde aus den USA nach Kanada. Das erklaert, warum Pferdefleisch momentan so billig ist. Im Moment kann man hier in Alberta auf einer "normalen" Auktion ein erwachsenes Pferd fuer $25 oder $50 kaufen, Fohlen und Jaehrlinge bekommt man oft umsonst.
Wenn jetzt also die EU als Absatzmarkt kommt und sagt "wir wollen nur Fleisch aus ordentlicher und kontrollierter Haltung", dann muss irgendjemand dafuer bezahlen, denn die Pferdehalter hier tun es sicherlich nicht. Oder eben die EU/Schweiz sagt "wir wollen keine solchen Produkte mehr hier verkaufen". In dem Fall ist es wahrscheinlich, dass die Situation fuer die Pferde hier erst mal schlechter wird - denn keiner kann diese Pferde brauchen, und zum Schlachten koennen sie auch nicht, weil der Markt sie nicht mehr will.
Im besten Fall fuehrt das dazu, dass die Anzahl der Pferde hier sich drastisch reduziert und das Pferd auch hier zum "Luxustier" wird. Dann wuerden wenigstens die Haltungsbedingungen besser.
Im schlimmsten Fall fuehrt es dazu, dass Halter die Pferde einfach freilassen, weil sie kein Geld fuer die Haltung haben, und sie auch nicht verkaufen koennen. Das passiert jetzt schon - diesen Pferden geht's dreckig, sie verhungern, werden krank oder werden von Raubtieren gefressen, und dem Oekosystem tut es auch nicht gut.
Das ist also das Dilemma, in dem Alberta zur Zeit steckt. Ich bin auch absolut der Meinung, dass Tiere, die zur Schlachtung gehen, ordentlich gehalten werden muessen, ohne wenn und aber. Es gibt ein Tierschutzgesetz, und das muss auch durchgesetzt werden, keine Diskussion.
Aber es ist auch nicht so, dass die Leute hier aus Spass den Tieren mit Stoecken auf die Koepfe schlagen...