Um weitere Emotionen in der Diskussion zu vermeiden, habe ich nochmal ganz von vorne angefangen, Deinen (Lars) ersten Beitrag gelesen, und mir den Hund und seine Beschreibung auf der Tierheimseite angeschaut (ich vermute stark, dass es dieser ist).
Was ich Dir dazu schreibe, schreibe ich aus meiner mehrjährigen Erfahrung im Resozialisieren von Gefahrhunden heraus. Es ist meine persönliche Einschätzung, soweit ich das aus der Ferne sagen kann, die natürlich nicht stimmen muss, die ich Dir aber gerne begründen werde. Ich formuliere bei der "Faktensammlung" erstmal bewusst neutral, sage auch nur "der Interessent", weil ich das möglichst objektiv anschauen will.
Was wissen wir über den Hund:
- unsicher
- zwei Beißvorfälle in der Vergangenheit
- DSH-typsich lernbegeistert, bewegungsfreudig
- bindet sich nach Eingewöhnung sehr stark an einen Menschen
- kommt mit Kindern gar nicht klar
- sucht eine Einzelperson
- Haus mit gesichertem Garten wäre von Vorteil
Was wissen wir über den möglichen, zukünftigen Besitzer:
- männlich, 25 Jahre alt, Student
- intaktes soziales Umfeld, Eltern, Freunde
- ab und zu mal einen Tag außer Haus
- sportlich und bewegungsfreudig
- etwas Erfahrung als Gassigänger im Umgang auch mit schwierigen Hunden
- teilweise angewiesen auf öffentliche Verkehrsmittel
Wo sind die Gemeinsamkeiten, wo könnte es schwierig werden:
Toll ist:
- Interessent ist sportlich und sorgt für ausreichend körperliche Auslastung für den Hund
- Interessent arbeitet mit dem Hund, ist also nicht voreingenommen bezüglich der Beißvorfälle, und sorgt auch für geistige Auslastung
Konfliktpotential ist vorhanden:
- Hund braucht zwingend eine einzige Bezugsperson ohne viel "Publikumsverkehr", Interessent möchte den Hund häufiger zu Freunden und Familie mitnehmen, auch mal fremdbetreuen lassen
- mit 25 Jahren ist beim Interessenten innerhalb der nächsten 10 Jahre Nachwuchs durchaus denkbar, Hund kommt mit Kindern nicht klar
- aktuelle Wohnsituation des Interessenten und Bedürfnis nach Abstand zu anderen Menschen beim Hund
- Unsicherheit gepaart mit Stress bei Fremden und Beißvorfällen vs. gelegentliche Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
Jetzt schau ich mir an, was ein Hund, egal welcher, braucht, um stabil durchs Leben gehen zu können:
- gemeinsame Bewegung
- geistige Beschäftigung
- Regeln und Grenzen
- Ruhe
- Sicherheit und Verlässlichkeit
- Zuneigung
Das sind lauter Säulen, auf die ein gesundes "Hundelebengebäude" aufgebaut ist. Manchmal bricht bei einer ungünstigen Hundehaltung eine (oder sogar mehrere) dieser Säulen weg. Was passiert: manche Hunde verpacken das irgendwie, andere werden verhaltensauffällig.
Nun zu genau diesem Hund. Welche Säulen waren weggefallen zu dem Zeitpunkt als er gebissen hat? Über Bewegung und Beschäftigung in der Zeit wissen wir nichts. Es fehlte:
- Ruhe (Kinder lärmen, schmeißen mit Plastikflaschen, usw)
- Regeln und Grenzen (Hund verteidigt die Ressource Frauchen gegenüber Herrchen)
- Sicherheit und Verlässlichkeit (sonst hätte er sein unsicheres Verhalten nie aufbauen müssen)
Ok. Wie sieht es also aus, wo liegen die besonderen Stärken im vielleicht neuen Zuhause, wo die Schwächen?
die Stärken:
- gemeinsame Bewegung
- geistige Beschäftigung
- Zuneigung
- Regeln und Grenzen
die Schwächen:
- Ruhe (Freunde + Familie, gelegentliche Fremdbetreuung, evtl. irgendwann Kinder, Wohnsituation)
- Sicherheit und Verlässlichkeit (Interessent wird den Hund einfach aufgrund der Lebenssituation manchmal in Situationen bringen, die aus Hundesicht diese Verlässlichkeit untergraben, ihm die Sicherheit nehmen. Z.B. Fahrt (auch nur gelegentlich) in öffentlichen Verkehrsmitteln, Freunde (evtl irgendwann mit Kindern) + Familie, usw)
Ab jetzt rede ich nicht mehr nur allgemein vom Interessenten, jetzt kommt meine Einschätzung dazu:
Das Ding ist, ausgerechnet die Säulen, die der Hund zwingend braucht, bei deren Wegfall er nämlich früher auffällig geworden ist, sind in Deinem Alltag auch nicht unbedingt an diesen Hund angepasst. Alles andere ist ok, aber reicht das? Bei einem Hund, der aus genau diesen Gründen bereits verhaltensauffällig geworden ist, würde ich sagen nein.
Deine Fragen waren:
Nein, er wird nicht menschenfreundlicher werden. Er kann lernen, Menschenbegegnungen Dir zu überlassen, aber dazu braucht er Dich als kontinuierlichen, zuverlässigen Menschen - Tag für Tag. Eine auch nur gelegentliche Fremdbetreuung sollte da nicht in Frage kommen müssen.
Frag Dich, ob der Hund, so wie er jetzt gerade ist, in den kommenden 10 Jahren in Deinen Alltag passt, auf alles andere (ändert sich der Hund vielleicht noch) darfst Du dem Hund zuliebe ein Zusammenleben nicht aufbauen.