Alles anzeigenAber sicher gab es den - gerade dann! Seit der Gründung des Britischen Empires stand man immer wieder vor der Frage, was die Menschen unterscheidet - was den einen zum Herren und den anderen zum Sklaven macht. Mindestens seit dem Mittelalter ging man in Europa davon aus, dass sich Charakterzüge im Aussehen eines Wesens ablesen lassen. Lavater, ein Schweizer 'Wissenschaftler', hatte die grossartige Idee, dass das auch durch eine anatomische Betrachtung des menschlichen Schädels möglich war und schrieb seine Ideen nieder. Menschen wurden bis nach dem zweiten Weltkrieg relativ skrupellos in Rassen unterteilt. Darwins Veröffentlichungen (und andere Abhandlungen zum gleichen Thema) taten dann ihr Übriges, die Angst vor der Unreinheit des Blutes zu fördern.
Gerade in Grossbritannien herrschte nicht nur die Vorstellung, dass man sich grundlegend als Menschheit immer verbessert, sondern dass man sich durch eine Durchmischung als Gesamtes verschlechtert. Pures Blut war also wichtig - nicht nur in der Königslinie und unter den Adeligen, sondern plötzlich auch bei deren Spielzeugen: den Pferden und Hunden. 'Bastarde' - aussereheliche oder 'fremdblütige' Nachkommen sind in dieser Gedankenwelt kein moralisches Problem, sondern sind unerwünscht, weil sie die 'Reinheit' einer Blutlinie beschmutzen. So wurden Pferde, aber vor allem Hunde (weil sie sich schnell reproduzieren und viele Nachkommen zeugen) zum Spielplatz der Reinblütigkeit: die Inzucht wurde in der Tierzucht als die Stabilisierung des reinen Blutes betrachtet. Fielen dann plötzlich kranke Hunde, wurde das darauf geschoben, dass das ein Produkt des 'unreinen' Blutes ist und einer der Partner eben (noch) unrein. Genauso wurde davon ausgegangen, dass sich 'reinrassige' Tiere niemals mit Mischlingen paaren durften, weil das reinrassige Tier dann für immer und ewig beschmutzt wurde und keine reinen Nachfahren mehr produzieren konnte. Welche - für heutige Verhältnisse merkwürdigen - Ideen bezüglich Verwandtschaft herrschten, zeigte sich zum Beispiel in Gesetzen, die besagten, dass es Inzucht und deshalb verboten sei, wenn ein Mann die Schwester seiner (zum Beispiel verstorbenen) Ehefrau heiraten wollte. Wieder: der Grund ist nicht moralisch, sondern medizinisch.
Ich bin nicht ganz sicher, warum du meinst, mich über die jüngere Menschheitsgeschichte aufklären zu müssen - das ist zumindest in meinem Fall nicht nötig, weil diese Thematik seit vielen Jahren mein Steckenpferd ist und ich darüber denke ich sehr gut Bescheid weiß (ich hab die Entstehung der Arten übrigens gelesen und es ist allgemein bekannt, dass das berühmte Survival of the fittest von diversen Seiten in einem gänzlich falschen Kontext verwendet und entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung interpretiert wurde). Ich dachte, wir reden hier von Hunden, nicht von Menschen. Von einer Registrierung (von Namen, wohlgemerkt) spricht selbst der älteste Rassehundezuchtverband, der KC, erst ab Ende des 19. Jahrhunderts: http://www.thekennelclub.org.uk/our-resources/…he-kennel-club/.
Natürlich existierte die Rassehundezucht bereits vorher - ich hab nicht umsonst Friedrich den Großen erwähnt (18. Jahrhundert!) und natürlich lässt sich da in der Geschichte auch noch bis weit vor Christus zurückgehen (bis zum vordynastischem Tesem). Aber wenn man Vergleiche ziehen will, dann sollte man doch an dem Punkt ansetzen, an dem von entsprechenden Institutionen erstmals in größerem Umfang viele verschieden Rassen registriert und entsprechende Zuchtstandards ausgearbeitet wurden. Und meines Wissens entwickelte sich diese Form der modernen Rassehundezucht, so, wie wir sie heute kennen, erst mit der Gründung des Kennel Clubs bzw. in den darauf folgenden Jahrzehnten. Aus meiner Sicht macht es keinen großen Sinn, hier von Adligen, die ihre hündischen Statussymbole untereinander tauschen und miteinander kreuzen, auszugehen, da die Aufzeichnungen doch sehr begrenzt sind. Auch auf alten Gemälden lassen sich zwar verschiedene Hundetypen feststellen, aber wirkliche "Reinrassigkeit", so wie wir sie heute definieren, lässt sich daraus nicht wirklich ableiten. Oder wie siehst du das?
Es ist ein Mythos, dass alle Hunde bis vor kurzer Zeit noch eine Aufgabe ausserhalb des Hauses hatten. Schosshunde gab es schon bei den Ägyptern, den Römern und wahrscheinlich noch viel früher. Die Frage ist, wie man 'Funktionalität' definiert. Meiner Meinung nach ist 'Schosshund' oder 'Familienhund' durchaus eine ernst zu nehmende Aufgabe und die dafür benötigten Eigenschaften können durch Zucht beeinflusst werden. Nur leider ist der Ruf des 'Familienhundes' offenbar kein guter und nur wenige scheinen aktiv daraufhin selektieren zu wollen - selbst wenn ihre Rasse von 95% der Besitzer genau so gehalten wird.
Dass vor hundert Jahren hauptsächlich die Funktionalität im Vordergrund stand, war die Aussage von Getier, nicht meine, ich habe dem lediglich widersprochen.
Der Begriff wird hier im Forum gern als Abgrenzung der Gebrauchshunde- von der Schönheitszucht verwendet, auch wenn das nicht meine persönliche Wahl wäre. Getier hat den Begriff, sofern ich sie richtig verstanden habe, auch dahingehend ausgelegt, eben im Sinne von "arbeiten", als Jagdhund, Hütehund etc., dementsprechend habe auch ich ihn verwendet. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass das Begleithundedasein völlig anspruchslos wäre. In meinen Augen ist das definitiv eine große Aufgabe und das hab ich hier im Forum auch schon mehrfach betont.
Bei 'echten' Gebrauchshunderassen sicher. Aber im Falle des Neufundländers: Gebrauch wofür? Sobald der Neufundländer kommerzialisiert und im grossen Stil nach England gebracht wurde, war Schluss mit Fischnetzen einsammeln - es ging rein darum, 'so einen' Hund zu halten. Dasselbe passierte mit dem Bernhardiner, der in seiner heutigen Form eine komplett englische Kreation ist. Kein Mensch hatte auch nur das geringste Interesse daran, einen Neufundländer oder einen Bernhardiner zum 'arbeiten' nach England zu holen. Es ging um nichts anderes als um das, worum es heute in den meisten Fällen auch geht: man will genau 'einen solchen' Hund - aber sicher nicht zum arbeiten. Arbeit ist für den Pöbel - nicht für einen Rassehund.
Beiträge von Dreamy
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Und es gab damals bereits sehr viele Rassen, die keine spezielle Funktion hatten (außer eben nett anzuschauen). Man denke nur an die Windspiele vom alten Fritz oder die Doggen von Bismarck.
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Ende des 19. Jahrhunderts gab es diesen Reinheitswahn in der Form sicherlich noch nicht, obwohl es zu dem Zeitpunkt bereits erste Rassezuchtverbände gab. Aber bereits zu dem Zeitpunkt wurde auf Schönheit und spezifische optische Merkmale hin selektiert (man schaue sich z.B. Fotos von Bulldoggen aus dieser Zeit an, bereits da ist Übertypisierung ein Thema, wenn auch nicht so stark wie heute). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand bei vielen Rassen nicht nur die Funktionalität nicht mehr im Vordergrund, bei manchen spielte sie sogar gar keine Rolle mehr, siehe diverse Schoß- und Begleithunde.
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Ich finde das auch so noch schwierig - gibt es genügend Dokumentationen über anatomische Fehlstellungen vor 100 Jahren? Ich kann mir da schon vorstellen, dass sich bei der einen oder anderen Rasse was getan hat - bei manchen moderassen ging es aber auch ins Gegenteil.
Die Trendbeispiele hast du ja schon erhalten, wo siich definitiv was verbessert hat. Und die sind ja auch nicht abschliessend, sondern das ist jetzt im Gange, bei vielen Rassen....
Bei einem solchen Zeitraum bleiben natürlich nur Fotos, evtl. noch ein paar frühe Videoaufnahmen, die man für einen Vergleich heranziehen kann. Rein auf den Phänotyp bezogen fällt mir jedoch keine einzige Rasse ein, die durch die moderne Rassehundezucht profitiert hat. Ein paar haben sich optisch kaum verändert - die meisten wurden dagegen "verschlimmbessert". Und zwar zum Teil derart krass, dass Fotos hinreichend sind, um diese Veränderungen festzustellen.
Gentests sind dagegen ein großer Gewinn für die Zucht, da stimme ich uneingeschränkt zu.
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Wie willst du denn feststellen, wie der genetische Zustand vor 100 Jahren war?
Oder anders gefragt, wie willst du beweisen, dass sie vor 100 jahren schlechter dran waren? Da wusste man doch nocht nicht mal, ob der Hund eine Erbkrankheit hatte, geschweige denn, ob er das betreffende Defektgen trägt....
Man kann natürlich Trends sehen. So wurde bei einigen Rassen die HD-Bewertungen im Schnitt besser. Hovawart fällt mir da ein, gibt aber noch mehr. Das kann man als Verbesserung auf anatomischer und genetischer Ebene sehen.Oder stellvertretend für viele heute verfügbaren Gentests: es muss kein ESS mehr an Fucidosis erkranken, weil heute ein Gentest zur Verfügung steht, und man risikofreie Verpaarungen vornehmen kann, ohne den Genpool ungebührlich einzuschränken. Die Stoffwechselkrankheit verläuft immer tödlich und befällt typischerweise Hunde zwischen 1.5 und 4 Jahren. Natürlich weiss niemand, wie verbreitet die Krankheit vor 100 Jahren war, aber ich würde schon sagen, dass die Rasse von der Elimination profitiert.
Gut, hätte ich differenzierter fragen sollen. Anatomische Veränderungen ZUGUNSTEN des Hundes in den letzten hundert Jahren. Generelle gesundheitliche Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten im Sinne von Trends und Tendenzen.
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Welche heutige Rasse hat denn anatomisch und/oder genetisch durch die moderne Rassehundezucht profitiert? So im Vergleich zu dem jeweiligen Modell von vor hundert Jahren? Bin sehr gespannt.
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Dann sind wir ja offensichtlich einer Meinung. :-)
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Also können wir festhalten, dass man auch im VDH sehr genau hinsehen muss. VDH allein ist also kein ausreichendes Qualitätsmerkmal, wie es hier im Forum gern immer wieder dargestellt wird. Wenn wir es also mal auf einen Satz runterbrechen: Was sagt es über einen Verein aus, der sich Gesundheit und Verantwortungsbewusstsein auf die Fahnen schreibt, bei dem man aber ganz legal kranke Tiere erwerben und die Vermehrung von Qualzuchten unterstützen kann?
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Vom selben Züchter?Falls ja...finde den Fehler...
Im VDH gibt es doch so strenge Kontrollen und Gesundheitsvorschriften, ist doch der allgemeine Tenor hier. Demzufolge sollte es eigentlich keine große Rolle spielen, bei welchem VDH Züchter man kauft. Wenn das offensichtlich doch nicht der Fall ist, stellt sich doch die Frage, wofür dieses angebliche Qualitätssiegel überhaupt gut ist...
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Ich weiß nicht was es bringen soll die Schuld vom einem zum andern zu schieben (außer das man selbst fein raus ist ).
Fakt ist nunmal das Hundezucht in unserer Gesellschaft Hobby ist.Die Züchter und Richter von heute , waren die welpenkäufer von gestern, die jetzt ihre Schönheitsideale ansetzen und sie an Kunden verkaufen die das genauso sehen . Denn sind wir mal ehrlich, wenn niemand diese Hunde schön finden würde , gäbe es sie nicht .
Dem kommt man nicht durch Reglements bei , sondern nur durch eine Änderung des Bewusstseins für Funktionalität und Gesundheit .. Das ist meiner Erfahrung nach nämlich Noch nicht wirklich bei vielen vorhanden .
Nein, das eine geht nicht ohne das andere. Aufklärung ist wichtig, erreicht aber letztendlich niemals alle. Wenn der VDH behauptet, im Sinne des Hundes zu handeln (was er derzeit NICHT tut), dann muss er auch entsprechend eingreifen. Es kann doch nicht sein, dass man sich vor entsprechenden Reglements drückt, aus Sorge, einige Mitglieder zu verlieren. Natürlich werden dann einige in die Dissidenz abziehen, nämlich genau die, die ohnehin kein Einsehen haben und an ihren Vorstellungen festhalten. Ist doch in keinster Weise schade um solche Leute. Und letztendlich geht es hier um Lebewesen, die leiden...ich kann nicht verstehen, wie man da nun noch seelenruhig ein paar Jährchen in Bewusstseinsänderung investieren will. Tut mir Leid, aber das allein wird rein gar nichts bringen. wei