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Einerseits höre ich in diesem Thread, dass die Tierheime so voll sind weil es hier so viele Vermehrer gibt, also Hunde aus D. Andererseits höre ich, dass die Tierheime nicht voll genug sind und deshalb Hunde aus dem Ausland holen, dann wäre doch aber die Vermehrersache nicht so gravierend, oder was verstehe ich da jetzt falsch?
Also, dann:
Im Tierheim meines Vertrauens gibt es Kapazität für rund 100 Hunde. Die Zahlen für 2011 sind noch nicht final ausgewertet, aber meist bewegt sich die Zahl der vermittelnden Hunden pro Jahr zwischen 600 und 900. Dabei ist zu beachten, dass dies ein herausragender Wert ist, der einerseits durch die ländliche Lage und andererseits natürlich durch das phantastische Engagement der Pfleger zustande kommt.
Um Deine Frage zu beantworten, lass uns mal einen durchschnittlichen Tierheim-Bestand anschauen:
Die größte Gruppe wird eigentlich immer von den Hunden gestellt, die nicht mehr gewollt sind: in der Region oder am Tierheim ausgesetzt, in leeren Wohnungen zurückgelassen oder durchs Veterinäramt aus schlimmsten Verhältnissen sichergestellt und natürlich die Abgabehunde. Hier bitte beachten, dass Abgabehunde den allerkleinsten Teil dieser Gruppe ausmachen d.h. die Abgabegebühr wird sehr selten entrichtet (und ist ja sowieso nur ein Bruchteil dessen, was der Hund im Tierheim kosten wird) - unter den Abgabegründen stehen übrigens "Umzug" und "finanzielle Gründe" auf den ersten Plätzen.
In dieser Gruppe sind natürlich immer wieder Hunde dabei, die das Tierheim schnell durchlaufen und bald ein neues zu Hause finden. Im besten Fall ist der Tierheim drei Wochen im Tierheim und es wurden 150 EUR Abgabegebühr + 150 EUR Vermittlungsgebühr entrichtet. Trotzdem ist das Tierheim ja in Fürsorgepflicht und so fällt erst einmal eine tierärztliche Untersuchung an - und mal ganz ehrlich, in fast allen Fällen wurde die Versorgung vernachlässigt und es fallen erst einmal weitere Behandlungskosten an. Damit der Hund in die Vermittlung kann, müssen sich fachkundige Pfleger mit ihm auseinandersetzen und ggf. fällt noch ein bisschen Training an. Es fällt Büroarbeit an - Karteikarte für den Hund, auf die Internetseite stellen, Überprüfung der anstehenden Vermittlung. Das der Hund in den ersten Tierheimwochen vermutlich Schonkost braucht, weil er durch Stress und Umstellung massiven Durchfall (...) haben wird, ist da tatsächlich der allergeringste Kostenpunkt. Auch die anteiligen Kosten an Strom, Unterbringung dürfen nicht vergessen werden. Also sind die 300 EUR verbraucht, bevor der Interessent überhaupt anruft.
Und das war eine Traum-Vermittlung.
Für die wenigsten Hunde wird eine Abgabegebühr entrichtet. Die wenigsten Hunde finden innerhalb weniger Wochen neue Menschen.
Zusätzlich müssen wir uns auch ansehen, wer die Hunde dieser ersten Gruppe sind. Etwa die Hälfte der Tiere sind trotz ihrer oft traumatischen Haltungs- und Abgabegründe noch immer süße und freundliche Geschöpfe, die bedenkenlos vermittelt werden können. Die andere Hälfte sind jedoch wilde, scheue oder sogar problematische Hunde, die durch ihre bisherigen Lebensumstände nicht 0815 weitervermittelt werden können. Es braucht intensive Trainingszeit der Pfleger, um die Vermittlungschancen dieser Hunde suksessive zu verbessern. Es braucht viel Energie und Geduld, die richtigen Menschen zu finden.
Ein Teil dieser Hunde bleibt für immer hängen. Im Tierheim meines Vertrauens sind das bei einem Volumen von 100 Hunden etwa 10% - also 10 Hunde, die für immer bleiben. 10 Hunde, die eine große Lebensqualität haben und ihren Lebensabend im Tierheim genießen. 10 Hunde, die jedoch tierärztlich versorgt, gewärmt, trainiert und gefüttert werden möchten. Und diese 10% sind ausschließlich "deutsche" Hunde. Denn der gewillte Tierheimbesucher wird sich nicht die zehnhährige Hundedame mit mannigfaltigen Beißvorfällen nach Hause holen - danke an den Vollspaten, der den Hund jahrelang versaut hat. Wir nennen den Hund "Tina" und behalten sie im Hinterkopf, okay?
Wir haben die erste Gruppe untersucht.
An dieser Stelle wird das Tierheim ein reines Verlustgeschäft sein, aber immerhin einen guten Teil der eingehenden Hunde vermitteln können. Es bleiben nur die "Tinas" hängen. Es funktioniert also gerade so.
Nun haben wir aber eingangs gesagt, dass das Tierheim (obwohl es nur gerade so funktioniert) in der glücklichen Situation ist, durch ländliche Lage und engagierte Mitarbeiter sehr hohe Vermittlungen zu haben. In anderen Tierheimen ist das keineswegs der Fall, oft auch völlig unverschuldet ---> z.B. in einkommensschwachen Regionen und Großstädten ist die Lage oft fatal. Da hilft auch kein Engagement der Pfleger. In diesen Tierheimen bleiben nicht nur die "Tinas" hängen - Tierheime sind oft mit 200% und mehr überfüllt, Ansprache und Versorgung sind grenzwertig und eine Chance auf Vermittlung ist denkbar gering.
... und so kommt die zweite Gruppe in unser Beispiel-Tierheim: die Hunde aus einem Partner-Tierheim im gleichen Land. Wenn durch gute Vermittlung etwas Kapazität besteht, werden regelmäßig Hunde aus überfüllten Tierheimen geholt (es findet keinerlei Finanz-Transfer statt, im Gegenteil oft werden sogar noch Futterspenden weitergespendet!) und untergebracht. Im Tierheim meines Vertrauens werden aus ethischen Gründen NICHT die süßesten und jüngsten Tiere ausgesucht. Im letzten Schwung kamen z.B. gleich mehrere Hunde aus 1999 mi - gerade den alten und kranken kann ein heillos überfülltes Tierheim ja nicht gerecht werden. Es wird gewirbelt und getan, geworben und gesucht ... und schließlich kann man auch einen guten Teil dieser Hunde vermitteln. Und das ist dann wirklich TierSCHUTZ. Bitte auch hier nicht vergessen, dass der ganze Versorgungsapparat (s.o.) anfällt.
An dieser Stelle sieht man ziemlich gut, dass sich das Tierheim nicht auf die faule Haut gelegt sondern sich den Alltag noch zusätzlich erschwert hat ---> weil Tierschutz eben nicht nur regional zu sehen ist. Die Tiere kennen unsere Grenzen nicht. Das Tierheim hat Not erkannt und angepackt - dadurch hat es nun selbst sehr viel schwerere Bedingungen, der finanzielle Atem wird wahrscheinlich knapp.
... denn wenn wir uns nach der Analyse der ersten beiden Gruppen den Bestand im Tierheim anschauen, werden die meisten Tierheim-Besucher nicht das finden, was sie suchen. Die zweite Gruppe ist inhaltlich genauso zusammengesetzt wie die erste Gruppe, nur eben aus einer anderen Region. Es gibt nun Rassehunde, Mischlinge, kleine und große Hunde, alle Farben ... aber die meisten Hunde sind (bedingt durch die Umstände von Gruppe 1) nicht ganz problemlos, nicht ganz jung (oft sogar sehr alt), oftmals auch nicht ganz gesund.
Es sind - hart gesagt - die Restbestände der Republik.
Durch Engagement und Training finden sich - wie gesagt - für die allermeisten dieser Insassen auch wieder Menschen. Nur braucht das Tierheim hierfür finanziellen Atem. Für die meisten Menschen die das Tierheim besuchen werden Hunde aus Gruppe I / II aus verschiendsten Gründen nicht in Frage kommen. Stellt Euch "Tina" bei einer jungen Familie vor. Eine Katastrophe.
... und hier kommt die dritte Gruppe ins Spiel. Das Tierheim meines Vertrauens hat zwei spanische Partner-Tierheime. Hier sitzen die Tiere unter schlimmsten Bedingungen und warten auf einen grausamen Tod, während wir - wir erinnern uns - in Deutschland viele Menschen wieder nach Hause schicken müssen, weil sie keinen geeigneten Hund finden. Nicht jeder dieser Menschen geht dann zum Züchter, sehr viele zum Vermehrer - schon aus Kostengründen. Hier in Spanien (z.B.) haben wir also die Hunde, die gefragt sind ---> jung, süß, und trotz ihrer Lebensumstände noch immer aufgeschlossen und freundlich. Hier in Deutschland gehen jeden Tag traurige Menschen vom Tierheimhof, weil sie genau DIESE Hunde suchen, aber nicht finden.
In Zusammenarbeit mit einer seriösen Organisation werden nun also Hunde wie "Peppino" handverlesen, sorgsam untersucht und auf Kosten der Organisation nach Deutschland gebracht. Das Tierheim erklärt sich bereit die Tiere aufzunehmen und weiterzuvermitteln. Und so wird "Tina" finanziert und kann ihren Lebensabend bei liebevollen Pflegern genießen, weil "Peppino" gleich zwei Tage nach seiner Ankunft seine Menschen gefunden hat. Und wir erinnern uns: für "Peppino" hatte das Tierheim einen finanziell kleineren Aufwand, da er z.B. medizinisch durch die Organisation gut versorgt wurde. Und ganz ehrlich, "Peppino" hat weder "Tina" noch anderen Hunden aus Gruppe I / II debn Platz weggenommen. Viel mehr hat er seine Menschen vor dem Risiko bewahrt, am Ende doch beim Züchter zu landen.
"Peppino" wird gerettet und muss nicht sterben - "Tina" wird ihr Lebensabend in liebevoller Pflege ermöglicht und "Peppinos" Familie ist glücklich - der Vemehrer geht leer aus. Und da es sich um eine seriöse Zusammenarbeit zwischen Tierschutzvereinen handelt, wurde mit "Peppinos" Rettung auch keine dunkle Machenschaft in Spanien unterstützt ---> die Organisation betreibt höchstwahrscheinlich stark Aufklärung vor Ort.
Die Tiere die nach D reisen werden übrigens tatsächlich handverlesen. Und weil das Tierheim meines Vertrauens durchaus ethischen Maßstäben folgt, "schlupfen" auch immer mal wieder ein paar ältere und / oder behinderte Tiere mit nach Deutschland. Auch das gehört eben zum TierSCHUTZ.
Nachdem das Tierheim mit der Aufnahme von Gruppe II ziemlich ins Schwanken geriet, kann es sich durch Gruppe III nun wieder "gerade so" halten. Aber machen wir uns bitte nix vor, es geht immer noch jeden einzelnen Monat darum, ob der Strom / das Fressen (...) finanziert werden kann. Und trotzdem würde jeder Pfleger wohl immer wieder Gruppe II und III aufnehmen wollen. Warum? Weil Tierschutz eben keiner ist, wenn man nur direkt vor der eigenen Tiere kehrt.
Liest wahrscheinlich eh keiner, aber ich wollte mir die Mühe mal machen.