Moin,
wir haben ja auch so einen Streuner aus Spanien, der, die für Hunde wichtigste Zeit, auf der Strasse war, anstatt bei Menschen. Der am Anfang kaum bis gar nicht auf Stimme reagierte - eher nach dem Motto "was freut die sich denn so - hat die ne Klatsche?" Null Reaktion.
Bei Diego hat a. unser Ersthund geholfen und b. das ich realtiv fix verstanden hab, das er eher auf Zeichen reagiert, als auf Worte. Finger hoch und "sitz" klappte nach zwei Tagen.... auch heute noch reagiert er viiieel besser auf Zeichensprache als auf Worte. Das bedeutet, er liest aus meiner Körperhaltung (wenn ich wütend bin z.B.) auch genau das heraus, ist schnuppe was ich sage...... wenn meine Haltung wütend ist, dann geht er..... irgendwo hin, am besten unter meinen Schreibtisch.
Ich hab mich damals schlau gemacht, und dabei erfahren, das man a. keinen Hund (besonders Strassenhunde nicht) auf den Arm nimmt, umarmt oder sonst was mit ihnen tut und das man sich nie nie niemals über sie beugt, wenn sie schlafen. Über sie beugen ist schon schwierig, das bedeutet in ihrer Sprache "ANGRIFF" und man weiß nie, was ihnen dann so einfällt. Aber sie im Schlaf berühren bedeutet akute Lebensgefahr......... und sie reagieren instinktiv, nicht bewusst, wie wir das oft glauben.
Wenn Diego auf dem Flur liegt und schläft und es Schlafenszeit ist, dann berühre ich ihn nicht, sondern spreche ihn erst an, wenn ich merke, das er reagiert, dann heißt es "los, Schlafenszeit, komm..." wenn wir soweit sind, kann ich ihn auch stupsen....
Diego hat auch eine ausgeprägte Körpersprache, das bleibt wohl so, wenn er frisst klemmt er immer ein wenig den Schwanz, wenn er sich im Teppich eine Kuhle scharrt auch, das ist unterwürfig und heißt wohl auch "tu mir nix". Oder auch "ich bin grad schutzlos - sieh mich einfach nicht."
Andererseits hat er wenig Distanzverhalten, am Anfang (da gab`s mal einen Thread zu) sprang er mir ständig in den Rücken, wenn er von draußen rein kam und das war sehr unangenehm. Ignorieren brachte gar nichts, am Ende half, sich ihm zuwenden und deutlich signalisieren "komm mir ja nicht zu nahe" drohend aufgerichtete Schultern und so, körpersprachlich..... seitdem klappt`s, er springt nicht mehr.
Er braucht klare Ansagen, und das öfter als viele andere Hunde. Er hat für sich gelebt, sich durchgeschlagen, er ist klug und itelligent (sonst hätte er nicht überlebt) und er hat die Erfahrung gemacht, das er - uns nicht braucht, aber mal so gar nicht...... und das merkt man ihm auch an. Wenn ich meinen Ersthund in den Korb schicke, dann kommt der da erst raus, wenn ich ihn rufe - aber Diego? Geht in seinen Korb und dann dorthin, wo er hin will "ich war doch da - warum bist Du sauer? Und, erklär mir überhaupt mal, was ich da soll, in dem ollen Korb?" Klar, so denkt er nicht, das wäre menschlich, aber so wirkt sein Verhalten auf mich, als wenn er Befehle hinterfragt.... er bleibt nur unter massivem Druck in seinem Korb. Klare Ansagen, aber das sachlich gesprochen, deutlich und körpersprachlich..... kein Geschrei oder Gezerre..... das macht ihn scheu.
Fremde Menschen? Sind doof..... Postboten - oha - die geben Leckerlies, werden aber trotzdem angebellt. Jetzt, nach knapp zwei Jahren darf der Hermes Mann ihn streicheln, nicht, das er das mögen würde - nö - könnt er drauf verzichten, aber der Hermes Mann nicht
. Heute liegt er auf dem Flur, wenn der Hermes Mann kommt und knurrt gar schrecklich, steht aber nicht auf und kommt zur Tür....... nö, das ist er nicht wert, das knurren sagt wohl nur "Ich weiß das Du da bist."
Das sind aber trotzdem Fortschritte. Fremde werden angebellt, nur drinnen - oder draußen ignoriert, aber wehe, die kommen nah oder beugen sich, wie grad vor zwei Tagen einem zu um anzufassen, na dann hat er aber Zähne und knurrt wie ein Löwe... und bellt wie eine Dogge. "Hau ab!" heißt das. Ich denke nicht, das sich das je ändern wird.
Andererseits kann jeder von uns mit ihm machen, was er will. Die Kinder behanden ihn wie ein Steifftier und er ist der geduldigste und liebste Hund, den ich kenn..... er kann mittlerweile Dutzende von Kunststückchen und tut für ein Frolicviertel alles..... selbst auf dem Rücken im Arm der Kids liegen wie ein Baby..... die können wirklich alles mit ihm machen. Wenn er nicht mehr mag, geht er und dann wird er auch in Ruhe gelassen.
Irgendwo ist bei Euch der Wurm drin..... Euer Hund ist anders sozialisiert, als Hunde vom Züchter, das wird so bleiben. Wenn er ängstlich ist, mag es wohl sein, das ihr ihn nicht beruhigt, aber Eure Körpersprache sagt etwas anderes und das sieht er und nimmt es auf. Selbst ein liebevolles "hey, was`n los, kein Grund zur Panik" bestärkt ihn vermutlich darin, weiter Angst zu haben. Vielleicht ist Euch auch sein Verhalten unangenehm? Das spürt er und reagiert verunsichert. Ich hab Angst ignoriert, das heißt, wenn es draußen etwas gab, das ihn erschreckte hab ich getan, als habe ich das nicht gemerkt. Das hat ihm Sicherheit vermittelt.... ich hab nicht getröstet, nichts gesagt, nicht reagiert. Aber das hat gedauert..... Diego ist jetzt knapp zwei Jahre bei uns und erst jetzt beginnt er bei Spaziergängen zu hören, wenn ich spreche oder sich ablenken zu lassen. So ein Hund braucht Geduld und noch mal Geduld und noch ein wenig mehr Geduld.
Ungeduld wirft ihn zurück, verunsichert und macht scheu. Medikamente können keine Lösung sein. Drüberweg gehen vielleicht eher. Ich bin der Meinung, "hätteste nicht mein Hund werden sollen, wenn Du das nicht willst" und so gehe ich mit ihm um, aber - ich überanstrenge ihn auch nicht, also Spaziergänge in der City von Hannover wären für ihn derart stressig, das ich das gar nicht erst probiere. Ich erspüre, was er kann und fordere ihn, aber überfordere ihn nicht. Heute machen wir andere Dinge als zu Beginn.
Manche Dinge sind bis heute nicht möglich, Freilauf etwa..... oder kleine Kinder, die kennt er nicht und mag sie nicht.... dann bellt er, so lange bis die wieder vom Hof sind, oder eher, bis ich ihn ins Schlafzimmer (Rückzugsort) gebracht habe, denn das hält keiner aus. Fremde auf dem Hof sind ihm einfach ein Greul. Radfahrer, besonders Rennradler könnt er fressen. Ich denke, die überraschen ihn einfach durch die Geschwindigkeit, mit der sie an einem vorbei sausen. Also bin ich aufmerksamer, sehe solche Radler zuerst und hole ihn ins Platz, sobald der Radfahrer auf unserer Höhe ist, gibts ein Leckerchen. Das klappt gut. Aber das wird für mich auch immer Ablenkung und Voraussicht bedeuten. Ich glaub kaum, das sich sein Verhalten da ändern wird und wenn, nehme ich es als nette Überraschung, aber nicht als Gegeben.
Auch das ständige hinterherlaufen, das beobachten, das nicht aus dem Auge lassen haben wir gehabt. Zu Beginn war das echt lästig, egal wo ich hinging, der Hund kam mit, lag vor der Badezimmertür, in der Küchentür, ließ mich einfach nicht aus dem Auge. Irgendwann wusste ich nicht mehr, ist das Nähe suchen oder Kontrolle? Und hab ihn, rein gefühlsmässig, einfach weg geschickt......... heute lässt er mich gehen..... manchmal kommt er hinterher, meistens bleibt er liegen.
Vielleicht ist ein kompetentet Trainer für Euch doch eine gute Lösung, aber suche einen, der sich mit der Komplexität des Verhaltens von Strassenhunden auskennt, der um ihre Sozialisierung weiß und der damit umgehen kann. Ein "normaler" Trainer wird das nicht können und vielleicht zuviel Druck aufbauen oder falsche Schlüsse ziehen, einfach weil er von einem Hund anderes erwartet als der geben kann.
Liebe Grüße
Sundri