Hallo erst mal!
Du meine Güte, der Ratschlag der Hundetrainerin geht ja mal gar nicht. Du hast da schon den richtigen Instinkt, dass schubsen gegen Unsicherheit nicht hilft. Selber ruhig bleiben, ignorieren und ggf. in Ruhe weitergehen helfen in der Regel mehr.
Aber dein Hund ist nach dem, was du über ihn schreibst - ohne dass ich in der Hinsicht jetzt ein Experte wäre - nicht der "ganz normale" Junghund. Du sagst, er kam schon früh in ein Auffanglager, wuchs die ersten Monate dort auf... viel kennen wird er da nicht, kann er ja gar nicht. Vor allem lernt sein Gehirn, da er womöglich im dafür besten Welpenalter auf verschiedene Umweltreize nicht ausreichend sozialisiert wurde, etwas langsamer und weniger generalisierend als wenn eine umfassende Sozialisierung stattgefunden hätte. Sprich, er muss quasi bei jedem Ding, das ihn verunsichert, einzeln lernen, dass es okay ist. Also nicht "ein fremder Mensch ist okay, also sind alle okay", sondern "dieser fremde Mann mit schwarzem Hut ist HEUTE okay, aber morgen mit Regenschirm vielleicht bedrohlich, jene fremde Frau mit Kind ist nett, aber wenn das Kind im Kinderwagen sitzt, ist die Situation wieder gruuuuselig."
Er wird halt länger brauchen, muss Situationen immer und immer wieder und in unterschiedlichen Variationen als positiv erleben um sie dauerhaft positiv zu verknüpfen, und wie gut er das letztendlich packen wird, hängt ganz stark von dir ab. Wenn du selber verunsichert bist und dir das Verhalten deines Hundes peinlich ist, wird er es schwer haben. Und hier spreche ich wirklich aus Erfahrung, denn ich hab auch so nen Kandidaten, der recht früh als Welpe ohne Mutter in der Tötungsstation sass, und der heute als Erwachsener manchmal auch noch etwas mühsam sein kann, wenn ihm eine Situation, die er nicht einschätzen kann, nicht behagt. Es hat lange gedauert, bis wir richtig Fortschritte machten, was vor allem daran lag, dass ich aus Unwissenheit schlecht mit seinem Verhalten umgehen konnte. Wenn dir jeder erzählt, dass dein Hund ein Flegel und ein Tyrann sei und man es selber nicht besser weiss, baut das im Verhältnis zum Hund ziemlichen Druck auf.
Was auf Dauer wirklich half, war, selber gelassener zu werden (also sich keine Gedanken zu machen, was die Leute denken, oder noch besser: mit den Nachbarn reden, erklären warum der Hund so ist und dass du mit ihm daran arbeitest, und ansonsten so tun, als sei alles ganz normal), und vor allem viiiiel Vertrauen aufbauen, mit dem Hund üben, ihn ruhig und gelassen in neue Situationen führen, in kleinen Schritten. Vielleicht auf dem Hundeplatz erst mal 20 Minuten nur zugucken lassen anstatt gleich mitzumachen. Ihn lernen lassen, sich zu entspannen und neue Sachen erst mal auf sich zukommen zu lassen. Ihm zeigen, dass das alles eigentlich totaaal unspektakulär ist, weil du dich ja schliesslich auch nicht aufregst (das tust du allerdings, wenn du mit Schubsen und Scham auf sein Theater reagierst, denn dann bestätigst du ihn ja darin, dass etwas nicht stimmt).
Schau mal in den thread *Zeigen und Benennen*. Darin geht es darum, dem Hund beizubringen, dass er Sachen, die ihm unheimlich sind, gezielt anschaut und dafür belohnt wird. Könnte mir vorstellen, dass das auch für deinen Hund eine hilfreiche Übung wäre, die ihm sogar Spass macht.
Bleib geduldig, arbeite an einer vertrauensvollen Bindung zu deinem Hund, verschaffe ihm schöne Erlebnisse ("aha, wenn da Kinder rennen, freut sich mein Mensch und versteckt mir einen Keks im Gras, und ein paar von den Kindern kommen sogar her und verstecken Kekse im Gras, ist ja lustig") und freu dich mit ihm über seine Fortschritte. Vor allem suche dir vielleicht eine andere Hundeschule, die sich der Problematik von Sozialisierungsdefiziten besser bewusst ist und gezielt mit euch daran arbeiten kann.
Dein Hund ist nämlich kein Flegel, sondern eher ein Kaspar Hauser, der allmählich auf den Trichter kommt, sich die Dinge, die er nicht versteht, durch Bellen auf Abstand zu halten (und von seinem Menschen unbewusst darin bestärkt wird).
Ich wünsch euch beiden viel Glück und trotzdem viel Freude aneinander. Dein Hund ist noch jung, und eine gute Beziehung kann auch einiges auffangen.