Schweine in der Region noch immer verstrahlt
Der atomare Super-Gau in Tschernobyl ist 25 Jahre her. Nach wie vor sind auch die Wildschweine in unserer Region verstrahlt. Etwa ein Drittel der geschossenen Tiere wandert deshalb in die Tierkörperentsorgung statt auf den Teller.
Von Susanne Glas
Rehau - Der drohende atomare Supergau in Japan weckt Erinnerungen an die bislang schlimmste Atom-Katastrophe, das Unglück im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl im April 1986. Zumindest bis jetzt galt es als schwerste nukleare Havarie und als eine der schlimmsten Umweltkatastrophen - mit langwierigen Folgen. Die Auswirkungen bekamen damals nicht nur die Menschen vor Ort zu spüren. Die radioaktive Wolke bescherte auch Deutschland - und hier vor allem Bayern - eine hohe Strahlenbelastung.
Bis heute werden hierzulande Jäger, Förster und Veterinäre tagtäglich an die Katastrophe erinnert: Knapp 30 Prozent der Wildschweine landen in der Tierkörperentsorgung statt auf dem Teller. Ihre Belastung mit dem radioaktiven Cäsium 137, einem Abfallprodukt der Kernenergie-Gewinnung, überschreitet die gesetzlich vorgeschriebenen Maximalwerte oft sogar um ein Vielfaches.
Häufige Überschreitung
100 Wildschweine haben Michael Grosch und seine Kollegen im Jagdjahr 2010/2011 erlegt. "30 von ihnen durften wir nicht in den Handel bringen", erklärt der Leiter des Forstbetriebs Selb auf Anfrage der Frankenpost. Zulässig sei ein Wert von 600 Becquerel pro Kilogramm Fleisch. Becquerel ist die Maßeinheit für die Aktivität eines radioaktiven Stoffes. "Dieser Wert wird regelmäßig überschritten", erzählt Michael Grosch. Oft läge die Belastung pro Kilogramm bei 2000 Becquerel pro Kilogramm.
Weniger schlimm sei die Lage beispielsweise bei Rehen. Grosch begründet das mit der unterschiedlichen Art und Weise der Nahrungsaufnahme. Wildschweine ernähren sich gerne von Pilzen, die bekanntermaßen wesentlich höher belastet sind als Pflanzen, die Hauptnahrungsquelle anderer Tierarten.
Was die Belastung der Rehe betrifft, sei nach der Katastrophe in Tschernobyl der hohe Fichtelgebirgsbereich ein Schwerpunkt gewesen. "Aber in den vergangenen zwei Jahren gab es dort keinen Fall mehr, in dem die zulässigen Werte überschritten wurden."
Das Prozedere für die Behandlung von Wildschweinen sei genau vorgeschrieben. Hat ein Jäger eines erlegt, muss er es zu einer sogenannten qualifizierten Messstelle bringen. So eine gibt es beispielsweise in Hof, und der Forstbetrieb in Selb verfügt über eine eigene.
Für Menschen wie Michael Grosch gehören diese Vorschriften seit Jahren zum Alltag. "Zum undramatischen Alltag", wie er sagt. Der Grenzwert von 600 Becquerel sei nach dem Tschernobyl-Unglück verhältnismäßig willkürlich festgelegt worden und nicht so dramatisch wie er klingt. Zumindest im Vergleich mit anderen Strahlenbelastungs-Situationen. "Wenn Sie ein Wildschwein-Steak essen, das in dieser Größenordnung belastet ist, dann bekommen Sie in etwa die gleiche Menge Radioaktivität ab wie bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria", sagt Grosch.
Wie lange die Schweine der Region noch belastet sein werden, sei ungewiss. "Da erzählt jeder Fachmann etwas anderes." Aber fest stünde: Die Halbwertzeit von Cäsium 137 beträgt etwa 30 Jahre. Dann zerfalle es in das ungefährliche Barium.
Verhängnisvoller Regen
Mit der Verstrahlung von Wild hat es Grosch übrigens erst seit seinem Amtsantritt als Leiter des Forstbetriebs in Selb im Jahr 2005 zu tun. Vorher war er als Forstwirt im Frankenwald beschäftigt, "wo das Thema keine Rolle gespielt hat". Aus einem einfach Grund, wie er erklärt: "Als die atomare Wolke damals über unser Land gezogen ist, hat es im Fichtelgebirge geregnet, im Frankenwald dagegen kaum." Wer sich für die Strahlenbelastung des heimischen Wildes interessiert, findet auf der Internetseite des Landesamtes für Umwelt unter http://www.lfu.bayern.de viele gut verständliche Hintergrundinformationen. Eine ist, dass Jagdpächter und Waldbesitzer für ein kontaminiertes Stück Wild finanzielle Entschädigung beantragen können. Eine andere, dass sie belastetes Fleisch zwar nicht in den Handel bringen dürfen. Wenn sie es aber selbst, etwa im Kreise ihrer Familie, verzehren wollen, müssen sie es vorher nicht einmal auf Strahlenbelastung prüfen lassen.