Jugendliche U-Häftlinge arbeiten mit Hunden -
- Modellprojekt -
Eine Schule für Mensch und Hund / Im Freiburger Gefängnis haben jugendliche Untersuchungshäftlinge mit Hunden gearbeitet und dabei viel gelernt
Das mit dem Kinofilm, sagt Gefängnisleiter Thomas Rösch, sei reiner Zufall: "Wir hatten die Idee mit den Hunden schon viel früher!" Seit kurzem läuft "Underdogs" in den Kinos, ein Spielfilm über Häftlinge, die im Knast Welpen zu Blindenhunden ausbilden — und nebenbei lernen, mit ihrer Neigung zur Gewalt besser umzugehen. Schon seit Anfang Juli bekommen auch in der nicht-fiktionalen Freiburger Justizvollzugsanstalt jugendliche Untersuchungshäftlinge Besuch von Hunden: Ein Modellversuch, der auf jeden Fall fortgesetzt werden soll.
Sven Alexander Altmann läuft durch die Sporthalle im Freiburger Gefängnis. Der 21-Jährige führt Tipota an der Leine, eine kleine, neugierige Mischlingshündin. Das heißt, eigentlich führt sie meist ihn: Tipota läuft hierhin und dorthin, beschnüffelt die anderen vier Jungs, die auf einer Bank am Rand sitzen, und rennt wieder los. Sven zieht ein bisschen an der Leine, lacht und läuft hinter ihr her. "Jetzt geht sie mit dir spazieren, Sven", sagt Thomas Kern.
Kern ist Hundetrainer aus Emmendingen, "Verhaltensschule für Mensch und Hund" steht auf seinem T-Shirt. Zum fünften — und vorerst letzten — Mal ist er heute im Freiburger Gefängnis zu Besuch. "Wir wollten einfach sehen, wie das funktioniert" , sagt er. Wir, das ist außer ihm vor allem Angelika Musella. Die Freiburger Strafverteidigerin, die viel mit gewalttätigen Jugendlichen arbeitet, hat das Projekt angestoßen, nachdem sie von ähnlichen Versuchen zum Beispiel in den USA gelesen hatte. "Außerdem habe ich seit klein auf Spaß an Hunden" , sagt sie. Tipota gehört ihr, auch ihren anderen Hund, die bärenhaft gemütliche Leonberger Hündin Claudine hat sie mit ins Gefängnis gebracht.
"Laufen an der Leine" heißt die heutige Trainingseinheit. "Eine ganz schwierige Aufgabe" , sagt Thomas Kern, "dabei kommt es extrem auf die Körpersprache an." Jetzt ist Richy F. dran, er hat Claudine an der Leine. Sie neigt nicht zum Herumtoben wie die kleine Tipota. Sie bleibt gerne stehen. "Du musst wissen, wo du hinwillst, und ihr das zeigen" , sagt Kern. Wie Musella arbeitet er ehrenamtlich an dem Versuch mit. 22 jugendliche Untersuchungshäftlinge bis 21 Jahre warten in der Freiburger JVA auf ihren Prozess, die meisten sind wegen Gewaltdelikten hier.
Sieben von ihnen haben sich freiwillig für das Hundetraining gemeldet, zwei sind wieder abgesprungen, die fünf anderen sind noch dabei — und traurig, dass sie schon wieder Abschied nehmen müssen von den Hunden. "Wir wollen auf jeden Fall weiter machen" , sagt Anstaltsleiter Thomas Rösch. "Uns geht es nicht darum, nur eine Show zu veranstalten." Man arbeite an einem größeren Konzept unter dem Titel "Freiburger Justiz gegen Gewalt" , das im Hebst beginnen soll. Ein Förderverein sei bereits gegründet, "und Geld haben wir auch schon locker gemacht" , sagt Rösch.
Die ersten Erfahrungen bei der Arbeit mit den Hunden sollen jetzt mit Hilfe des Freiburger Kriminalpsychologen Helmut Kury und seiner Studentin Lily Merklin ausgewertet werden. Merklin hat ihre Diplomarbeit über Tiere im Strafvollzug geschrieben und sagt: "Die Stimmung im Gefängnis verändert sich ganz deutlich — sie ist weniger gewalttätig" . Im Training könnten die Häftlinge üben, sich auf die unterschiedlichen Tiere einzulassen und ohne Aggression deutlich zu machen, was sie wollten.
Denis I. soll zum Ende des Trainings Eddi deutlich machen, dass jetzt Zeit für Ruhe ist. "Wenn Du ihn an der Leine hast, ruhig neben ihm sitzt und ihn ignorierst, hört er auch auf, herumzutoben" , sagt Kern. Sven sitzt mit Tipota neben ihm: "So eine hübsche Lady kann ich doch nicht ignorieren" , sagt er und grinst. Die beiden haben Freundschaft geschlossen, zwischendurch ist sie sogar eine Weile einfach mit ihm mitgelaufen — ein Erfolg. "Man muss sich voll auf die einzelnen Hunde und die Körpersprache konzentrieren" , sagt Sven. Früher habe er sogar Angst gehabt vor Hunden — und hätte nie gedacht, dass sie so umgänglich sein können, wenn man sich mit ihnen beschäftigt. "Das war richtig viel Arbeit" , sagt er. "Aber sie haben wirklich was gelernt."
Thomas Goebel , 4.8.2008, BZ