Zusätzlich zu der Bewegung würde ich an dem Außenfokus arbeiten. Denn wenn das AUßEN so spannend ist, hängt man meist eher "vergessen" am andren Ende der Leine rum und wird bestenfalls vom Hund als Störfaktor wahrgenommen, wenn überhaupt. Außerdem ist es deutlich leichter für den Hund, sich von Reizen abzuwenden, die ihn überfordern, wenn er gelernt hat, sich auf Dich zu konzentrieren. Er sieht die Reize nicht mehr, sondern Dich, und kann sie daher auch gedanklich ausblenden, wenn zu viel wird (aus den Augen, aus dem Sinn). Und bei Dir kriegt er Halt, Sicherheit ein Leckerli, bei Dir fühlt er sich wohl - NICHT mit dem da draußen. Er wird dann, wenns ihm zu viel wird, Deine Nähe suchen auf Dauer. Geht nicht von heute auf morgen - logisch. Dauert Monate! Aber je mehr man daran arbeitet, desto leichter fällt es dem Hund.
Das Problem ist halt auch: der hat draußen Streß. Streß ist nicht grundsätzlich negativ, aber..... Bei Streß werden Hormone ausgeschüttet. Ich sag nur Adrenalin etc. Die brauchen bis zu einer Woche, um wieder abgebaut zu werden! Wirken also so lange im Körper! Sprich, ist der Hund früh nach dem Gassi auf 180, wird er mittags GENAU SO (sprungbereit durch die Hormone) wieder rausgehen. Auf 180. Laß da dann noch ne kleine Aufregung oder Hundebegegnung dazukommen, ist der nimmer zu bändigen. Weil WIEDER Adrenalin ausgeschüttet wird. Und so geht das immer weiter, bei JEDER Gasirunde wir Adrenalin nachproduziert wegen der Aufregung, der dreht immer höher. So kommt der nie aus dem Streßkreislauf raus. Wobei er ja gottseidank noch viel schläft, wie Du berichtest, also noch ist da kein heftiger Schaden eingetreten. Aber es ist klasse, daß Du drauf achtest, und die Situation so wahrnimmst, und was dagegen tun möchtest! Weil dauerhaft so ein Streß richtet auch Schäden im Körper an.
Erstmal lernen, mit Reizen umzugehen:
Für den Anfang würde ich daher: anleinen, aus dem Haus gehen, nächstmögliche Sitzgelegenheit in ruhiger (!) Lage nutzen, Hund gucken lassen. An kurzer Leine, mit aufgeregtem Rumgehüpfe pusht er sich noch höher. Nix machen, nix sagen, einfach nur gucken lassen und die Reize verarbeiten lassen. Auf dem Weg dorthin und auf dem Rückweg kann er seine Geschäfte erledigen. Nimm Dir ne Decke fürn Hund mit (u.U. Mantel drauf!) und zieh Dich warm an (und nimm nen heißen Kaffee mit *gg). Bleib so lange sitzen, bis du merkst, der Hund hat alles angeguckt, alle Reize für sich einsortiert, empfindet jetzt Langeweile oder sogar Entspannung, weil er zu dem Ergebnis gekommen ist, da tut sich eh nix Wildes, is alles harmlos. "Same procedure as every day" draus machen. Entweder legt er sich dann hin, wenn er so weit ist, oder er wendet sich vom Außen ab und kommt zu Dir, fordert Dich mit nem Anstupsen um Aufmerksamkeit oder Weitergehen, oder beschäftigt sich nur noch mit der Decke oder so. Siehst dann schon, wenn er nimmer starrt, hibbelt etc., wo der Fokus dann liegt.
IMMER erst, wenn der Hund RUHIG ist, ruhig aufstehen und heimgehen. Weil: ist er noch nicht fertig damit, die Reize für sich einzusortieren, stehst an derselben Stelle wie oben beschrieben: Adrenalin, Hund aufgeregt, und geht genau so aufgeregt wieder in die nächste derartige Situation bei der
nächsten Gassirunde.
Ziel ist ja, daß er lernt, sich SELBST herunterzuregulieren, und das kann er nur, wenn Du ihm Zeit dafür gibst. Vielleicht dauert es beim ersten Mal ne Stunde. Am nächsten Tag dann nur noch 30 Minuten. Etc. Du wirst sehen, dann geht es schnell voran, wenn das Prinzip mal klar ist: "ich sitz hier und setze mich mit den Reizen auseinander".
Rausgehen könntest, wenn kleiner Hund, mit Hund aufm Arm. Dann zieht er Dich nicht erfolgreich die Treppe im Haus runter, oder springt und hüpft. Ganz unaufgeregt anleinen, auf den Arm nehmen, draußen absetzen. Oder, wenn Ihr keine Treppen habt, absitzen lassen, anleinen und erst wenn er ruhig sitzt, Türe öffnen. Dann immer noch ruhig sitzenbleiben lassen (sonst verknüpft er "Tür auf=Sprungfedern an"!)- dann darf er gesittet mit Dir rausgehen. (Vorzugsweise für die Pipirunden lieber kurz zum Rausgehen auf den Arm nehmen, weil dieses Prozedere könnte, wenn Hundi dringend muß, zu Pfützen führen *gg das wär dann zu viel verlangt, ruhig zu sitzen, wenn die Base schon drückt!) Und ne kleine Anmerkung dazu: Aufregung beim Losgehen fördert natürlich auch das "mal müssen". Wer kennt das nicht, is ja beim Mensch nicht anders "Ich bin sooo aufgeregt - wart, ich muß nochmal schnell aufs Klo...."
So kann man auch evtl mal ne Pfütze im Hausflur vermeiden, wenn Hundi noch 2 Minuten ruhig bleiben kann. Also lieber bissel zu früh in die nächste Pipirunde gehen, als erst, wenn Hundi schon mit zusammengekniffenen Beinen dasteht, weil dann hat er´s eilig, und keine Geduld, da erstmal ne Runde abzusitzen und runterzufahren.
Zwischendurch Pipi machen lassen würde ich den Hund derzeit einfach mal im Garten/vorm Haus, wenn irgend möglich, um nicht wieder in die Aufregungsspirale reinzukommen. Und halt erstmal immer dieselbe Bank zum Gucken nutzen. Erst, wenn Du bei der Bank ankommst, und der Hund setzt sich gelangweilt mit "nicht schon wiiieder diese oberlangweilige Stelle!! Können wir mal was MACHEN??"-Blick, kannst die Strecke variieren oder verlängern, um zu einer andren Bank zu kommen. Hier wieder dasselbe Spiel. Gib ihm echt die Zeit, die Reize wahrzunehmen (1), zu verarbeiten (2) und eben auch für sich einzuordnen als "ungefährlich" oder "langweilig" oder "normal" (3). Wenn Du jeden Tag da nur 15 Minuten nach der Uhr Deine Zeit absitzt, wird er davon nicht lernen, mit den Reizen umzugehn, weil er dafür gar keine Zeit bekommt. Da isser noch mit Gucken beschäftigt. Der glotzt halt dann ne Viertelstunde, ist immer noch aufgeregt, und geht aufgeregt wieder heim. Damit ist nichts gewonnen.