Als relativ frisch gebackene Schäferhundbesitzerin hier mal mein Senf dazu: Du verschätzt dich gewaltig in dem Hund.
Ich bin als Kind mit einer Hündin aufgewachsen und habe als einzige in der Familie als ich dann alt genug war den Hund erzogen. Da war ich dann so 12 und der Hund 7 Jahre alt. Ich hab alles ohne Ahnung gemacht und es hat erstaunlich gut funktioniert, aber nicht weil ich so ein Genie bin sondern weil mein Hund damals einfach sehr sehr lieb und sehr sehr dumm war - der hat nicht, wie ich meinte, auf meine Kommandos gehört sondern einfach versucht Ärger aus dem Weg zu gehen und meine Körpersprache lesen gelernt. Und meist richtig erraten was ich von ihm will.
Ich also gut vorbereitet in Projekt erster eigener Hund (so mit allem drumherum, als Kind bekommt man eh nur die Hälfte mit davon was eigener Hund bedeutet), gleich mit Ausbildung als Assistenzhund und gleich eine, sagen wir nicht übliche Rasse, nämlich ein Schäferhund. Keinen deutschen, aber das ist hier egal.
Dein Hund zeigt jetzt erst Ansatzweise seinen Wachtrieb, das bedeutet, was ihr da an Meldungen habt mitten in der Nacht wird NICHT weniger, sondern mehr. Wenn ihr nicht gegenarbeitet. Wenn ihr gegenarbeitet, wird er möglicherweise reagieren und das reduzieren, aber es wird mehrere Phasen geben in denen er das trotz gelerntem Reduzieren wieder von sich aus hoch fahren wird. Wenn ihr bis dahin nicht ganz stabile Führung habt, könnt ihr das nicht händeln und der Hund entscheidet, wann und wen er meldet. Egal ob ihr schlaft oder sonstwas, ggf sogar grade dann. Das tut er nicht, weil er euch ärgern will oder "nicht gehorcht", sondern weil sein Trieb ihm sagt, dass er euch damit seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, er möchte damit FÜR euch arbeiten. Wenn ihr sowas nicht wollt von dem, also 100 Prozent gar nicht, gebt ihn weg.
Wenn der Hund sich selbstständig macht, könnte das sein Jagdtrieb sein. Schön, dass er wieder kommt, aber er darf nicht jagen. Wenn das so ist, gilt hier das gleiche: Das sind erste Ansätze, mehr nicht. Das kann sich gut und gerne vervielfachen wenn er erwachsen wird - bis dahin, dass ihr ihn gar nicht ohne Leine lassen könnt, nicht weil ein Schäferhund dazu tendiert immer abzuhauen, sondern wieder, wenn ihr es nicht schafft, den Kerl zu führen.
Der WILL geführt werden. Führung bedeutet, ihr müsst ihm eure Sprache beibringen - und zeigen, dass ihr das ernst meint, was ihr ihm sagt. Und ihr könnt mit so einem Hund die nächsten 2 Jahre mindestens NICHT entspannt im Wald herum laufen und euch mit etwas anderem als dem Hund beschäftigen. Ihr müsst immer ein Auge darauf haben, wie der Hund sich bewegt, wohin er schaut, ob er steif wird, ob er etwas oder jemanden fixiert, ob er einer Fährte folgt, und wenn ihr das nicht tut, dann werdet ihr und euer Hund das ausbügeln, weil jedes Mal wenn ihr nicht reagiert auf so etwas sich das dann folgende unerwünschte Verhalten bestätigt und festigt - JEDES Mal wenn so etwas passiert, könnt ihr 10 Trainingseinheiten rechnen um das auszubügeln. Davon bestimmt bei euch 2-3 bezahlt mit Trainer, also rechne pro Fehler 150 Euro. Das mag am oberen Rand liegen, ist aber keinesfalls unrealistisch. Einfach weil euch offensichlich der Zugang zu dem Hund fehlt, ihr müsst erstmal verstehen, was in dem Kerlchen passiert.
Schäferhunde sehen recht früh erwachsen aus, aber glaub mir, dein Hund ist nicht erwachsen und bis dahin vergeht noch eine lange, lange Zeit.
Die viel gerühmte Treue des Schäferhundes bedeutet nicht, dass er an eurer Seite bleibt wenn er lieber jagen gehen möchte. Sie bedeutet etwas anderes: Der Hund wird, wenn ihr irgendwann eine Bindung habt, die jetzt noch schwach bis nicht vorhanden zu sein scheint, euch seine Fähigkeiten zur Verfügung stellen wollen. Das ist etwas, was ich vorher auch nicht verstanden habe, wie das funktioniert. Der Hund bietet euch dann an, für euch zu arbeiten. Beim Schäferhund kann diese Arbeit sein, euch zu beschützen - klingt toll, ist es aber nicht. Bedeutet im Klartext ihr habt viel Arbeit damit, dem Hund zu kommunizieren, dass ihr dies nicht braucht, denn sonst beißt er früher oder später jemanden den ER als Bedrohung einschätzt, nicht ihr. Es kann sein, dass er euer Heim bewacht - klingt auch toll, ist es ebenfalls nicht: Er wird Besucher entfernen wollen. Es kann sein, dass er für euch jagen geht - muss ich euch nicht erklären, wie das aussieht. Es können 20 andere Sachen sein, die ihr vermutlich nichtmal erkennen würdet - nicht weil ihr doof seid, ich hab sie bei meinem auch nicht erkannt, sondern weil er eben Hundesprache spricht. Aber für den Hund bedeutet das, er versucht euch etwas zu sagen und ihr beschimpft ihn dafür weil dieses "sagen" unfassbar nervt. Und er wird entweder aufhören und seinen Frust irgendwo ausleben (wollt ihr nicht) oder er wird weiter machen bis eure Nerven versagen und ihr gewalttätig werdet oder ihn wegsperrt. Wollt ihr auch nicht.
Und jetzt stell dir das Leben des Hundes vor. Er hat keine Arbeit, obwohl er für euch arbeiten will, und alles was er euch anbietet aus lauter Treue, lehnt ihr ab und verbietet es ihm, gebt ihm aber keine Alternative. Glaubt ihr, er wird glücklich? Klug und Treu ist genau das, was ihr NICHT braucht. Ihr habt die Beschreibung einfach missgedeutet. Ihr braucht eigentlich harmlos, lieb, bisschen dumm, am besten klein. Sorry, falls das gemein klingt
Ich meine das nicht böse, meine erste Hündin war unfassbar dumm, aber lieb und der perfekte Familienhund.
Nehmt euch Zeit und schaut realistisch auf die nächsten 2 Jahre. Kein Rausgehen ohne Training. Kein Besuch ohne Training. Kein Tag ohne Training, weil alles Training ist für den Hund. Ihr müsst ihm alles zeigen, ihm vermitteln was ihr von ihm wollt und was nicht, und wenn ihr alles was ihr nicht wollt weg habt, muss eine Arbeit für den Hund übrig bleiben. Und wenn das nicht drin ist in eurer Zeit/Geduld/Geld Planung, gebt ihn ab. Für den Hund, nicht für euch. Je länger ihr ihn habt, desto mehr Stress bereitet ihm der erneute Wechsel, Schäferhunde mögen das nicht, die Bezugsperson zu wechseln. Und ihr bekommt ggf Schwierigkeiten den los zu werden wenn erstmal Verhaltensweisen richtig etabliert sind, die niemand will.
Realistisch: Ihr wollt diesen Hund nicht. Nicht so, wie er ist. Ist wollt etwas anderes.