Die unsichtbaren Hunde
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Hallo ihr Lieben,
da ich am Freitag endlich nach langer Zeit wieder Hundemama sein werde, möchte ich allen, die es interessiert, ein kleines Geschenk in Form einer wahren Geschichte machen, die ich selbst verfasst habe. Ich hoffe, sie gefällt euch.
Die unsichtbaren Hunde
Ich kenne zwei Hunde, die unsichtbar sind.
Einer ist schwarz und alt, mit grauer Schnauze und scheuen Augen, und seinen Nasenrücken bedeckt eine Brandwunde. Diese ist ein Teil des unseligen Zaubers, der den Hund unsichtbar macht.
Der schwarze Hund hat Angst. Angst vor Menschen und dem Unbekannten. Deshalb bellt und knurrt er wie besessen, wenn sich Fremde seinem Zwinger nähern. Neben den anderen, den freundlichen, neugierigen, jungen oder bunten Hunden verschmilzt der schwarze Hund mit der Umgebung, sein Gebell wird überhört, seine panischen Sprünge übersehen. Wenn doch einmal ein Besucher den Hund bemerkt, fällt sein Blick zuerst auf die Brandwunde, und seine Augen gleiten vom schwarzen Hund ab wie Wasser von einer Scheibe und fallen auf den bunten, jungen oder exstatisch wedelnden Hund im Nachbarzwinger. Keiner macht sich die Mühe, nach dem unsichtbaren Hund zu fragen, und so weiß niemand, dass die Schwarze eine Hündin ist, und keiner erfährt ihren Namen: Senta. Senta, die Rumänin, die so viel Angst hat, dass sie beißt. Die Hündin, die sich einnässt, wenn jemand auf sie zu kommt, die kein Futter von Fremden nimmt und die noch keine Pfote vor die Tierheimtür gesetzt hat, weil sie sich vor der Leine fürchtet.
Weil ich genau hinsehe, die Unsichtbaren immer bemerke, den geisterhaft silbrigen, majestätischen Schatten eines panischen Hundes ebenso wie den schwarzen Derwisch im Zwinger neben meinem Pflegling, habe ich das Privileg, Senta kennen lernen zu dürfen. Zunächst war sie überrascht, dass ich ihren Namen kannte und sie jedes Mal damit ansprach, wenn ich ihre Nachbarin zum Spaziergang abholte. Dann reagierte sie erschrocken, denn wer ihren Namen kennt, der bemerkt sie, und bemerkt werden ist gefährlich. Doch mit der Zeit, ganz allmählich, gewöhnte sie sich an mich und nahm mit langem Hals und spitzen Zähnen Futter aus meiner Hand, und das, obwohl ich mit dem Feind verbündet war, dem Feind im Hundepelz, ihrer Nachbarin. Wir knüpften ein zartes Band aus Respekt und Futter, und irgendwann freute sich Senta, wenn ich kam, auch wenn es nie war, um sie zu besuchen.
Eines Tages zog meine Pflegehündin in ihr neues Zuhause, wo sie all die Dinge zeigen konnte, die sie bei mir gelernt hatte, und ich bekam eine neue Aufgabe: Senta, der unsichtbaren Hündin, die Welt zu zeigen. Zunächst erschien das unmöglich, denn man sagte mir, sie gehe sehr ungern und äußerst unwillig durch das große Tor hinaus und würde sicherlich beißen, wenn die Leine sich ein wenig spannte. Das mochte ich so gar nicht glauben, kannte ich doch ihre sanfte Seite, die zarte Scheue, mit der sie mir das Futter aus der Hand nahm, und ihre schönen, ängstlichen Augen, inzwischen sehr genau. Egal, wie viele Hunde um sie herum waren, ganz gleich wie jung, putzig oder bunt sie waren, es gelang Senta schon lange nicht mehr, vor meinen Augen unsichtbar zu werden.
Unser erster Ausflug war ein voller Erfolg. Nachdem die Schwarze, auf einmal mit einer langen Leine an mich gebunden, sich vor meinen Augen nicht mehr in Luft auflösen konnte, versuchte sie eine andere Taktik: Sie verwandelte sich in ein Schaf in der Hoffnung, ich würde ohne sie weitergehen. Lange Zeit standen wir am Feldrand neben dem großen Tor und ich sah ihr beim Grasen zu. Irgendwann begriff sie dann jedoch, dass ich ihr das Schaf nicht abnahm, und wir konnten uns auf den Weg machen. Von da an machten wir viele gemeinsame Ausflüge in den Wald, wo mein unsichtbarer Hund noch häufig vor den Augen von Passanten mit dem Erdboden verschmolz und ich plötzlich wie eine Idiotin mit der scheinbar leeren Leine im Nirgendwo stand und beruhigend auf etwas einredete, das außer mir keiner sehen konnte. Das ist die Krux mit einem unsichtbaren Hund: Die Menschen halten dich für verrückt, wenn du mit ihm unterwegs bist.
Mit der Zeit jedoch wurden die Phasen der Unsichtbarkeit immer kürzer, die Momente, in denen Senta vom Erdboden verschwand, immer seltener, und mittlerweile gehe ich mit ihr spazieren wie mit einem ganz normalen Hund. Wir sind ein sehr gutes Team, mein nicht mehr unsichtbarer Hund und ich, und das hätte noch lange so weitergehen können, wäre da nicht das liebe Geld, oder eher, der Mangel daran. Sentas Heim muss schließen, und es war klar, dass sie fortgebracht werden würde, in ein anderes Heim, wo sie ganz sicher wieder unsichtbar würde. Das konnte ich nicht zulassen, denn Senta ist alt, und die langen Jahre, die sie dort brauchen würde, um wieder allmählich sichtbar zu werden, bleiben ihr wahrscheinlich nicht mehr. Es wäre furchtbar, meine Schwarze zu verlieren, in mehr als einer Hinsicht, denn wenn niemand mehr ihr strahlendes Lächeln sieht, mit dem sie mich anschaut, wenn sie sich freut, dass ich da bin, oder das stolze Grinsen, das sie mir schenkt, wenn wir gemeinsam an etwas Gruseligem vorbeikommen und sie sich nicht mehr fürchtet, dann wird sie wieder vollkommen von der Bildfläche verschwinden. Deshalb habe ich mich entschieden, nach langen Jahren der Abstinenz entgegen allen Widrigkeiten wieder einen Hund zu adoptieren. Das hatte ich ohnehin geplant, doch ich dachte an einen wilden Jungspund, der mit mir zusammen die Welt unsicher macht, der rennt und läuft und nichts und niemanden fürchtet, einen sportlichen Frechdachs, mit dem ich durch dick und dünn gehen könnte. Statt dessen werde ich eine alte Dame mit nach Hause nehmen, schwarz, grauschnäuzig und mit einer riesigen Brandnarbe auf dem Nasenrücken, einen herzkranken Hund, den die meisten Menschen übersehen, und den sie, wenn sie ihn doch bemerken, als hässlich bezeichnen. Aber auch einen Hund, der für mich das schönste Lächeln der Welt hat und mit dem ich gar nicht mehr anfangen muss, dick und dünn zu suchen, denn wir sind längst dort gewesen, Hunderte von Malen, in Form von Radfahrern, Lastwagen und Bahnsteigen, und wir werden es wieder tun.
Gestern war Senta bei mir zu Besuch, ein aufregender Tag, denn sie hat in ihrem langen Leben noch nie in einer Wohnung gelebt. Entgegen aller Befürchtungen war sie recht entspannt, und es gab nur einen Augenblick, in dem sie sich unsichtbar zu machen versuchte, unten am Fuß der Treppe, die sie nicht steigen wollte. Doch wenn man erst einmal weiß, wonach man suchen muss, findet man sie sofort, auch in den Momenten, in denen sie alles versucht, um mit dem Boden zu verschmelzen. Als die Treppe endlich geschafft war, durchstreifte kein unsichtbarer Hund meine Wohnung, sondern ein munteres, neugieriges Bündel aus wedelndem, schwarzen Fell, das sogleich seinen brandnarbigen Rüssel in alle Ecken steckte, die Tüte mit der zu flickenden Kleidung durchwühlte und schließlich die Badematte als ihren neuen Schlafplatz auserkor. Da lag sie nun, meine zukünftige Mitbewohnerin, und wollte gar nicht wieder aufstehen, um mit ihrer Pflegerin zurück ins Heim zu fahren. Denn gestern war nur ein Test. Die wahre Prüfung wird am Freitag beginnen, wenn ich meine unsichtbare, wunderschöne Hündin endgültig zu mir nach Hause hole. Dann werden wir meine Stadt erkunden, und ich kann mich schon mal an den Gedanken gewöhnen, dass mein Leben ab jetzt viel komplizierter sein wird, denn hier gibt es so viel Neues zu entdecken, das meine Senta erschrecken wird: Da wäre die neue Tierärztin, die große Kreuzung, die wir jeden Tag überqueren müssen, um zum Wald zu gelangen, die Innenstadt und vor allem der Bahnhof mit seinen Zügen, in die wir früher oder später gemeinsam werden einsteigen müssen. Ich bin ein wenig nervös, freue mich aber gleichzeitig sehr, mit dem schönsten alten Hund der Stadt unterwegs sein zu dürfen, auch wenn ich die einzige sein werde, die das weiß – denn für alle anderen wird Senta für eine ganze Zeit unsichtbar sein. Und wenn sie mich alle für etwas verrückt halten, weil ich mitten in der Stadt beruhigend auf einen Fleck Straßenpflaster am Ende einer scheinbar leeren Leine einrede, dann werde ich leise vor mich hin lächeln, denn ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis mein unsichtbarer Hund sich heimisch fühlen und für alle Welt sichtbar werden wird – und dann wissen sie alle, dass mein Hund das schönste Lächeln hat.Der zweite unsichtbare Hund in meinem Leben ist klein, braun und niedlich. Er sieht aus wie ein zu breit gebauter Dackel mit Fledermausohren und einer Stupsnase, und eigentlich müsste jeder Besucher sich spontan in ihn verlieben. Doch jeder, der ihn anschaut und nach seinem Namen fragt, verliert sofort das Interesse, sobald er erfährt, dass der kleine Braune beißt. Es ist, als hätte er eine ansteckende Krankheit, denn wann immer sein Schicksal zur Sprache kommt, wenden sich die Blicke ab und die Besucher weichen vom Gitter zurück, weiter, als sie einem Tiger im Zoo ausweichen würden.
Auch diesen unsichtbaren Hund habe ich entdeckt, weil ich genau hinsehe, die scheinbar leeren Zwinger betrachte, bis ich die Bewohner finde. Zunächst freundeten wir uns aus der Ferne an, und irgendwann kam er mir immer näher, suchte meinen Kontakt und legte sich direkt an meinen Rücken, wenn ich, gegen das Gitter gelehnt, im Zwinger meines silbrigen Schattenhundes saß. Besonders im Winter war das sehr angenehm, denn einen kleinen, wurstförmigen und warmen, atmenden Rückenwärmer hat nicht jeder. Die Schattenhündin wärmte meine Finger mit ihren samtigen Ohren, und an meinem Rücken strahlte der unsichtbare Kleinhund Hitze aus. Wer kann da noch frieren, selbst im tiefsten Winter? Als Dank für seine Wärme erhielt der Kleine Ödi, dessen Namen jeder sofort wieder vergisst, sobald sein Schicksal ausgesprochen wurde, Leckereien von mir, die ich von denen des Schattenhundes abzweigte, und wenn er es wünschte, auch Streicheleinheiten. Hinter seinen Fledermausohren wird er besonders gern gekrault, aber das weiß kaum jemand, denn die meisten Menschen denken, er würde ihnen die Finger abbeißen, wenn sie ihm zu nahe kommen. Ich verstehe das, denn es ist schwierig, unsichtbare Hunde mit erschreckender Vergangenheit zu lesen, und der kleine Ödi hat nie gelernt, zu knurren. Für diejenigen, die genau hinsehen, ist es leicht, einen bevorstehenden Ausraster zu erkennen, denn der Blick in seinen frechen, braunen Kulleraugen verändert sich, verrutscht auf eine kaum zu beschreibende Weise, und sein kleiner Körper wird steif. Dann ist es Zeit, die Finger wegzunehmen. Wer das berücksichtigt, kann eine innige Freundschaft mit ihm anknüpfen. Das haben wir getan, meine Freundin und ich. Wir haben uns angefreundet mit dem kleinen „Beißer“, der eigentlich gar nicht beißt, sondern nur warnend und drohend schnappt, wenn ihm etwas nicht gefällt. Mich hat er ein einziges Mal verwarnt, aber meine Finger hatten kein noch so winziges Loch.
Als ihr geliebter Schmusewolf in ein neues Zuhause zog, war meine Freundin zunächst am Boden zerstört, doch dann kam eine unerwartete und glückliche Wende: Sie sollte sich um Ödi, den unsichtbaren Schnapper, kümmern. Da sich der Kleine aufgrund seiner unerfreulichen Vergangenheit nicht anleinen ließ, mussten wir das zunächst auf dem Hof hinter dem hohen Zaun üben, bevor wir das große Tor mit ihm passieren konnten. Es dauerte keine zwei Tage, da stand der Zwerg ruhig vor meiner Freundin, wenn sie sich tief hinunterkauerte, um die Leine an seinem Halsband zu befestigen. Er war nicht begeistert – was ich auch nicht wäre, wenn man versucht hätte, mich zu strangulieren und nun wieder einer kommt, der mir an den Hals will -, ließ es aber ergeben über sich ergehen. Schon nach dem fünften Spaziergang stand er jedoch freudig wedelnd vor meiner Freundin und präsentierte ihr mit erhobenem Kopf das Halsband, um sich endlich auf den Weg machen zu können.
Gemeinsam mit meiner unsichtbaren Hündin erkundete Ödi nun die Welt, und es dauerte nicht lange, da gehörte sie ihm ganz allein. Zwar fürchtete er sich zunächst vor lauten Fahrzeugen und fremden Menschen, doch nachdem Senta ihn dafür einige Male herzhaft ausgelacht hatte, nahm er sich zusammen und wurde mutiger. Leider ist Ödi nicht auf den ersten Blick unsichtbar. Wie ich schon erwähnte, sieht er zum Verlieben aus, und das schienen besonders die älteren Menschen zu finden, denen wir im Wald begegneten. Es war ein hartes Stück Arbeit, all die Senioren zu blocken, die den im Boden versinkenden Kleinhund unbedingt betatschen wollten, und ihn vor ihren Augen wieder unsichtbar zu machen. Nicht einmal die magischen Worte „Der beißt!“, die sonst einen sofortigen Rückzug zur Folge haben, wollten bei der älteren Generation fruchten. Die meisten gaben zur Antwort, ein so niedlicher Hund könne doch nicht beißen, und während meine Freundin ihren verängstigten Zwerg zu beruhigen versuchte, baute ich mich mehr als einmal vor einem älteren Menschen auf und erklärte ihm mit sehr deutlichen und nicht gerade freundlichen Worten, dass er seine Finger bei sich zu behalten hätte, wenn er sie nicht verlieren wolle. Erst dann wurden die Störenfriede blass und Ödi wieder unsichtbar, und wir hatten unsere Ruhe.
Auch der kleine Ödi drohte uns zu verlassen, weil sein Heim schließen muss, und als „bissigem“ Hund hätte ihm früher oder später der Tod gedroht. Ebenso wie ich entschloss sich meine mutige Freundin, es mit der Bestie aufzunehmen und ihren Pflegling zu sich zu holen. Die Bestie war in dem Fall jedoch nicht Ödi, sondern ein Berg von Widrigkeiten, die sie aus dem Weg zu räumen hatte, angefangen bei ihren Eltern, die zustimmen mussten, bis zu ihrem eigenen Kleinhund, von mir liebevoll „Terrorfluse“ genannt, ganz und gar nicht unsichtbar und niedlich bis zur Aufdringlichkeit, mit dem sich Ödi vertragen musste. Wir machten Spaziergänge mit beiden und stellten nicht nur fest, dass Ödi und der Flausch sich offenbar ganz sympathisch sind, sondern auch, dass der notorisch Niedliche ein echter Trumpf ist, wenn wir Ödi unsichtbar halten wollen: Jeder, der beide Hunde sieht, verfällt sofort dem plüschigen Charme der Terrorfluse, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, und übersieht schön brav ihren Begleiter, den fledermausohrigen Möchtegern-Dackel, der sich lieber im Hintergrund hält.
Nun, da auch dieser nicht mehr so ganz aber lieber doch unsichtbare Hund gerettet ist, möchte ich gern eine Lanze für alle unsichtbaren Hunde brechen, die irgendwo in Heimen warten, von denen die Blicke der Besucher abgleiten wie von Teflon, entweder, weil sie alt, schwarz, narbig oder ängstlich sind oder weil ihre Vorgeschichte von ihrem charmanten Äußeren ablenkt und zur Unsichtbarkeit verdammt. Sie sind die wahren ungeschliffenen Diamanten, die in den Tierheimen dieser Welt verbleiben, weil es immer die bunten, jungen, freudigen und charmanten Hunde neben ihnen gibt, die alle Blicke auf sich ziehen. Wenn man jedoch genau hinschaut, kann man in so manchem scheinbar leeren Zwinger doch noch einen Bewohner ausmachen, einen unsichtbaren Hund, der sich seiner Umgebung angepasst hat wie ein Chamäleon. Manche verrät ein Schatten, der sich in der Ecke bewegt, manche ein halb geleerter Futternapf oder eine eingedrückte Decke, und es ist leicht, sie zu übersehen. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, nach ihnen Ausschau zu halten, der wird sie finden, und wer sie einmal bemerkt hat, dem fallen nach und nach die schönen, liebenswerten Eigenschaften dieser Hunde auf, die es unmöglich machen, sie jemals wieder zu übersehen.
Ich bin froh, dass ich genau hingeschaut habe, und meine Freundin ist es auch, denn so haben wir Schätze gehoben, die kein Anderer gefunden hat: eine unsichtbare Hündin mit einem sichtbaren Lächeln und einen nicht ganz unsichtbaren Hund, den wir hinter einem Charmeur verstecken müssen. - Vor einem Moment
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