Therapeutisches Reiten und Longieren

  • Ich versuche mich gerade in das Thema ein zu lesen und bin mit der Informationsflut leicht überfordert ;)
    Außerdem weiß ich jetzt schon, dass ich jede Menge Fragen haben werde. Und bevor ich sie hier groß formuliere wollte ich euch, meine Lieben, fragen, ob hier jemand ist, der Ahnung von der Materie hat und mich vielleicht gar auf ein paar interessante Links hinweisen könnte ;-)


    glg
    Kiwi_Maja

  • Willst du es "anbieten", ein Pferd zur Verfügung stellen oder es in Anspruch nehmen? Sprich welche Seite ist dir am wichtigsten? :smile:

  • Um ehrlich zu sein, keins von beidem direkt. Interessieren tut mich aber die in Anspruch nehmende Seite mehr.
    Ich habe das ein bisschen beim Zivildienst meines Freundes miterleben duerfen und wuerde gerne - jetzt ist es raus ;) - einen kleinen Artikel darueber schreiben.
    Aber wie gesagt, einfach Interesse.

  • ...gibt es bei dir in der Nähe einen Stall, der Therapeutisches Reiten anbietet? da könntest du weiter Informationen/ direkte Erfahrungen bekommen;
    ich hab ein Jahr in einem Zentrum für Therapeutisches Reiten gearbeitet.... was genau willst du den Wissen?


    http://www.dkthr.de/
    <-das ist die offizielle Seite des therapeutischen Reitens, aber die kennst du wahrscheinlich schon? Da müsste so ziemlich alles drauf stehen, was wichtig ist...

  • Okay, danke fuer den Link :)


    Schoen waeren persoenliche Erfahrungen oder Eindruecke.


    Wenns hier also Profis auf dem Gebiet gibt, werd ich sicher noch mit mehr Fragen kommen in naechster Zeit :)

  • ...also Profi bin ich nicht, aber ich hatte während dem FSJ in alle Bereiche einen Einblick bekommen...


    Bei vielen Patienten sieht man Fortschritte, entweder, was die körperliche Einschränkung angeht, oder im Verhalten, wobei ich bei letzterem nur das Verhalten während der Therapie beurteilen kann und was mir von deren Bezugspersonen erzählt wurde.
    Eine Therapieeinheit ist meistens eine halbe Stunde lang und leider übernehmen die Krankenkassen die Kosten nicht (oder nur teilweise). Jeder Patient benötigt eine ärztliche Bestätigung, dass gesundheitlich nichts gegen das Reiten spricht.
    Pro Patient benötigt man einen Pferdeführer und einen Therapeuten (und natürlich einen Pferd :D ). Erstere machen den Job meistens ehrenamtlich.


    Der Pferdeführer läuft meistens hinter dem Pferd und hat dort die Zügel in der Hand. Er trägt die ganze Verantwortung für das Tier und hat dafür sorge zu tragen, dass das Pferd das macht, was der Therapeut für den Patienten möchte (also Geschwindigkeit, viele Bögen oder eben eher gerade, den anderen ausweichen etc... ). Über 3-4 Einheiten seine Aufmerksamkeiten aufrecht zu halten ist manchmal ganz schön anstrengend...


    Der Therapeut läuft neben dem Pferde auf Höhe des Patienten und hält ggf. den Patient fest. Er macht dann die tatsächliche Therapie: Krankengymnastik, pädagogische Arbeit,... er hat dafür sorge zu tragen, dass dem Patienten nichts passiert. Im Notfall (Pferd erschrick sich stark/ Epi-Anfall beim Patienten/...) muss er den Patienten vom Pferd ziehen können (und weich auf sich landen lassen, während er selber unter jenem "begraben" wird :hust: )


    Für die Pferde ist es eine verdammt anstrengende Arbeit, weil va. mehrfach behinderte Menschen nicht unbedingt aktiv in den Bewegungen mitgehen, und sich tlw. unkoordiniert bewegen. Wichtig ist, das die Pferde regelmäßig (am besten täglich) gymnastiziert werden.
    Die Pferde brauchen eine spezielle Ausbildung: sie müssen lernen, das der Mensch da oben unberechenbare Bewegungen macht/ Laute ausstößt, und diese nicht gefährlich sind. Sie müssen die verschiedenen Aufstiegsarten kennenlernen (zB auch von einer Rampe, oder elektrische Hebehilfen) und lernen während der Therapie nur auf den Pferdeführer zu hören und nicht auf die unabsichtlichen Hilfen des Patienten...


    Agilere Patienten/ Patienten mit einem sicheren Sitz werden je nach Therapieziel auch longiert, tlw. ist der Therapeut dann auch gleichzeitig Pferdeführere.


    Vor allem für Kinder, wird auch gerne Voltigieruntericht genommen: hier hatten wir dann sowohl Kinder mit also auch ohne Behinderung in einer Gruppe. Die Pflege des Pferdes, vor und nach dem Volti gehört dann selbstverständlich dazu.



    Eine schöne Abwechslung zu den verschiedenen Therapiearten ist der Pferdesport: die Reiter benötigen -wenn überhaupt- beim Putzen und Satteln der Pferde hilfe, Reiten tun sie von alleine. In meinem Stall waren regelmäßig Kurse für gehandicapte Reiter: ich fand es immer wieder eindrucksvoll, wie gut sie ihr Handicap kompensieren können auf dem Pferderücken...




    wenn du noch mehr Wissens möchtest, kannst du gerne Nachfragen :)

  • Mensch, du bist echt ein Schatz! Vielen Dank! Hab bereits ein besseres Bild.


    Ich wuerde gerne "herausfinden", worin genau die Therapie bestehen kann. Das ist natuerlich schwierig, weils unzaehlige moegliche Therapien mit und auf dem Pferd gibt.
    Trotzdem moecht ich sozusagen auf den Punkt bringen, was genau das Pferd beizutragen vermag - was die "therapeutische" Rolle des Pferdes ist.


    Mal sehen, ob ich mir da zu viel vorgenommen hab ;)


    Glg

  • ...also einmal ist das die Bewegung des Pferdes, die sich direkt auf den Reiter überträgt. Die Patienten sitzen ja meistens auch nur auf einem dicken Polster (schont den Pferderücken) direkt auf dem Pferdrücken. Die Bewegung des Pferdes ist 3 Dimensional: der Rücken schwingt hoch und runter und er bewegt sich nach links und rechts. So wird die Rumpf und Beinmuskulatur aktiviert/aufgebaut. Selbst, wenn der patient sich "nur" targen lässt und nicht selber verscuht aktiv mit den Bewegungen mitzugehen, werden die Muskeln beansprucht.
    Meine Chefin hat mir zu einem Patienten (geistig u. körperlich behindert) erzählt, das als Kleinkind von den Ärzten festgestellt wurde, das er (wenn überhaupt) nur mit Hilfe wenige Schritte wird gehen könne. Inzwischen sind 15 Jahre vergangen, der Patient kommt immer noch regelmäßig zur Therapie und kann ohne Hilfe kurze Strecken laufen: zwar seeehr wackelig und am besten doch mit Hand am Geländer, aber die Lebensqualität ist dadurch natürlich deutlich höher...


    Dann einfach der Spaß-Faktor und der Kontakt zum Pferd, der sich positiv auf die Psyche auswirkt. Für viele ein tolles Erlebnis des Team-Gefühls.
    Erfolgserlebnisse sind auch relativ schnell zu erreichen: In der ersten Einheit wird vllt. nur Kontakt zu dem Tier aufgenommen, das ohne Vorurteile sich für den Menschen und nicht für die Behinderung interessiert und die ersten Runden im Schritt gewagt: das erste Erfolgserlebnis ist hier cshonmal, dass die Angst vor dem unbekannten überwunden wurde und der Muskelkater am Abend zeigt auch sofort, dass die Muskeln auf die Therapie reagieren :D
    In der nächsten Einheit traut sich der Patient vllt auch mal eine Hand vom Gurt zu nehmen oder gar freihändig zu Reiten...
    Nach und nach kommen dann verschiedene weitere Übungen hinzu, die ein immer besseres Körpergefühl, einen besseren Gleichgewichtssinn benötigen, und irgendwann wird auch mal eine schnellere Gangart ausprobiert...


    Welche "Stufen" erreicht werden hängt natürlich stark von der Behinderung ab, und das Therapie Ziel ist immer die Lebensqualität/ die Muskelfunktionen zu verbessern, zu erhalten oder zumindest den Abbau zu verzögern.

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