warum wird dem eignen Hund gleich was "angetan", wenn mal ein Rüpel daherkommt?
Das kommt wohl sehr auf den Hund an, der von dem Rüpel ins Visier genommen wird. Wenn ich so überlege: Kaya zum Beispiel war für einen Silky sehr klein und zart, und so stabil sie psychisch war, so leicht hysterisch war sie, was ihren Luxuskörper anging. Wenn da ein anderer in aller Regel deutlich größerer Hund rüpelhaft oder auch nur grobmotorisch dahergekommen wäre bzw ist, ja, dann wurde ihr etwas angetan. Sandor, mein echtes Montagsmodell, hat seine eigenen psychischen und auch gesundheitlichen Probleme - für ihn sind schon "normal aufdringliche" Hunde absolut schrecklich, ein Rüpel geht da einfach gar nicht. Bei Kaya hatte ich das Glück, einen hoch sozialkompetenten Glenny als "Bodyguard" dabei zu haben, der unglaublich versiert alles mögliche gesplittet, deeskaliert, umgelenkt hat. Hätte ich ihn nicht gehabt, dann wäre des öfteren Land unter gewesen, und Kaya früher oder später einer dieser hysterischen Zwerghunde. Es sei denn natürlich, ich wäre eine dieser schrecklich harmoniebedürftigen HH gewesen und hätte sie davor bewahrt. Kurz gesagt: Genau die Tatsache, dass sie da eben NICHT alleine durch musste, hat dafür gesorgt, dass sie entspannt und selbstbewusst durchs Leben gehen konnte.
Was also traut man seinem Hund zu? Wieviel darf er auch mal aushalten lernen und wo ziehe ich die Grenze?
Um nur aus meiner eigenen Erfahrung zu sprechen: Mein Hund "darf" nur so viel aushalten lernen, wie es ihm für SEINE Entwicklung auch gut tut. Also Dosierungen, die er auch gut verkraften und etwas konstruktives daraus lernen kann. Und diese Grenze ziehe ich mittlerweile lieber einen Meter zu früh als einen Zentimeter zu spät.
Es gibt so einiges, was ich in dieser Hinsicht bedauere, und das meiste davon wäre etwas, wofür du
@Cindychill mich wohl eher gelobt hättest: Pünktchen, meine erste Hündin, habe ich die meiste Zeit über in Hundebegegnungen komplett allein gelassen, und fühle mich heute noch furchtbar deshalb. Klar, sie hat dadurch gelernt, irgendwie klarzukommen. Also alles paletti? Mir tut es eher heute noch furchtbar leid, durch wie viele für sie schlimme Situationen sie dadurch mal eben durch musste. Bei Glenny und Kaya habe ich schon deutlich mehr gesteuert, vor allem als sie klein (also im Sinne von jung
) waren, und es hat ihnen sehr gut getan. Und bei Sandor bin ich sehr schnell von der Weisheit, die ich in meinen Anfängerzeiten im Verein gelernt hatte - beispielsweise "wenn es zu einer direkten Begegnung kommt, gib den Hunden Raum damit sie frei kommunizieren können" - abgekommen. Er kam damit nämlich rein gar nicht klar, konnte das schlicht nicht und ist komplett eskaliert. Da hieß es komplett umdenken, viel anleiten und ihm in kleinsten Schritten die Welt erklären. Interessante Beobachtung: Erst seit ich sogar dazu übergegangen bin, ihm wirklich jede Fremdbegegnung radikal vom Hals zu halten, und ausschließlich gesteuerte Begegnungen mit mir bekannten und sicheren Hunden zuzulassen, hat er angefangen, eine gewisse für ihn mögliche Sozialkompetenz zu entwickeln. So dass er heute mit ihm bekannten Hunden problemlos frei laufen und kommunizieren kann, und draußen auch an pöbelnden Hunden ohne einen Mucks vorbeigeht.
Klar läuft es für andere Hundetypen wieder ganz anders, da kann es absolut problemlos sein, sie einfach nur machen zu lassen. Aber ich finde es je nach Tonlage schade bis überheblich, jeden als hysterisch abzuwerten, der das eben für den eigenen Hund nicht will.
Die Frage ist - warum ist das so? Warum gibt es inzwischen? soviele Hunde, die sofort ziemlich eskalieren und anscheinend keine Grautöne mehr kennen?
Das hängt vielleicht wirklich mit der enorm hohen Hundedichte zusammen. Ich kann hier nichtmal eine mini Löserunde um den Block drehen ohne gleich mehrere Hundebegegnungen. Von normalen Wegen ganz zu schweigen. Wenn Hunde permanent so vielen meist komplett fremden Hunden ausgesetzt sind, dann müssen sie einfach Strategien entwickeln, irgendwie effizient damit umzugehen. Wie diese Strategien aussehen, das ist dann wohl vom individuellen Charakter des jeweiligen Hundes abhängig. Diejenigen, die offensiv eskalieren, fallen dabei halt auf. Aber mal ganz ehrlich: Viele "freundliche" Tutnixe reagieren kein bisschen differenzierter, wenn sie jedem anderen Hund "um den Hals fallen", egal was dieser signalisiert. Oder diejenigen, die sofort in hektisches Gerenne verfallen, egal mit welchem Hund sie es zu tun haben. Auch das ist im Grunde nicht wirklich sozial kompetent, auch wenn es eben als "lieb und nett" wahrgenommen und von daher von vielen Menschen geschätzt wird.
keinen Kontakt zu wollen bedeutet eben nicht, nicht oder nicht richtig nachzudenken, sondern u.U. auch, dabei einfach nur zu anderen Schlüssen zu kommen, weil der eigene Hund anders tickt und andere Bedürfnisse hat
Danke!! Genau so ist es. Und so wie ich es niemandem verbieten will, seinen Hund in große Gruppen zu bringen und dort machen zu lassen, so möchte ich auch respektiert wissen, wenn ich umgekehrt sage, hier sind für meinen Hund die Grenzen. Habe ich einen Hund wie Sandor, meide ich Hundewiesen komplett, erwarte aber auf "normalen" Wegen, dass mein Wunsch nach kein Kontakt respektiert wird. Wäre ich mit Glenny und Kaya in ein Gebiet wie das im Video gegangen, dann hätte ich mir dort einen Bereich mit eher ebenfalls entspannten Hunden gesucht, und wäre reichlich bedient gewesen, wenn ein unkontrollierter Mali im Egowahn über die Hecke gesprungen und in meine Hunde reingekracht wäre. Denn:
Mir wäre es lieber gewesen, man hätte uns diese Situation nicht aufgezwungen.
Genau das ist der springende Punkt. Natürlich kann immer mal was passieren, shit happens. Auch bei freiem Spiel, auch unter an sich super verträglichen Hunden. Aber wenn ich explizit gesagt bzw. durch Anleinen und möglichst weiträumiges Ausweichen signalisiert habe, dass kein Kontakt gewünscht ist, und das einfach komplett ignoriert wird, dann werde ich echt sauer. Vor allem in Hinblick darauf, dass der andere eben NICHT einschätzen kann, was für meinen Hund aus welchen Gründen auch immer ein Problem darstellt und was nicht. Und es ist ja nicht so, dass ich den anderen meine Ansicht aufzwinge und meinetwegen darauf bestehe, dass alle Hunde immer angeleint sein müssen. (Ich würde z.B. auch niemals auf die Idee kommen, die Chaostreffs auf unseren Siedlungswiesen bei der Wohnungsgesellschaft anzuschwärzen.) Wenn mir aber umgekehrt andere dann ihre Vorstellungen von "ohne Leine passiert da schon nix" aufzwingen wollen, dann ist eine klare Grenze erreicht. Leben und leben lassen ist nun mal keine Einbahnstraße.
Der nächste Hund, der hier einzieht, wird kein kleiner mehr sein. Dazu ist die Hundedichte inzwischen zu hoch. Und tatsächlich wünsche ich mir auch, einfach ganz entspannt spazieren gehen zu können - so, wie es momentan nur in Begleitung großer und respekteinflößender Hunde möglich ist.
Und ist es nicht ein Unding, dass man mittlerweile in solchen Kategorien des "Hunde-Wettrüstens" denken muss, nur um unbelästigt seines Weges gehen zu können? Müsste das nicht ein selbstverständliches Recht sein?
Du siehst, nervenschonender ist das auch nicht - nur anders.
Diesen Gedanken hatte ich beim Lesen des HH-Nervthreads auch schon oft. Früher dachte ich auch ganz naiv, dass das Problem bei den HH mit den unterlegenen Hunden hängen bleibt, während die mit den stärkeren Hunden sich einfach entfalten können. Mittlerweile sehe ich es eher so, dass sich die HH-Welt (und nicht nur die) vor allem in die Kategorien verantwortungsbewusst vs. "Platz da, hier komm ICH!" teilt. Erstere sehen es so: Im Zweifel ist es mein schwächerer Hund, der die Zeche zahlt, bzw. im Zweifel ist es mein überlegener Hund, der die Auflagen bekommt. Während zweitere einfach machen, was ihnen am besten passt, und wenn es schief geht, war selbstverständlich der andere schuld, ist doch klar!