Mein Hund kommt ebenfalls aus Kreta, ich habe ihn bekommen als er etwa 5 Monate alt war. Seine Mutter war bereits ein Straßenhund und er wurde demnach "wild" geboren. Da er eine Parvo (oder ähnliche Durchfallerkrankung hatte) wurde er von Tierschützern halbtot aufgelesen. Noch nie Kontakt zu Menschen gehabt und dann Transportbox, Tierarzt, Tierheim, Flugzeug, Tierarzt, Transportbox, Pflegestelle etc.
Als ich ihn bekam war er zwar körperlich wieder halbwegs fit, aber dafür ein einziges Nervenbündel, er wollte keinen Kontakt zu Menschen, wollte nicht spielen, wollte nicht raus, aber auch nicht drinnen sein, hatte Angst vor ALLEM!
Da er mein erster Hund war und man mich auch seitens der Organisation von der er kam nicht gut aufgeklärt hatte bin ich davon ausgegangen, dass er sich schon beruhigt und dass ich früher oder später genau so mit ihm leben könnte wie wir mit all den Hunden aus meiner Kindheit zusammengelebt haben. Spielen, knuddeln, Gassi.
Es hat ungefähr ein Jahr Stress und Tränen und Verzweiflung gekostet bis ich eingesehen habe, dass mein Hund so nicht ist und niemals so sein wird. Seine Bindung zu mir (und zu Menschen allgemein) ist dünn, er ist sehr selbstständig, stur und egoistisch. Lernt wenn er für sich einen Vorteil sieht, spielt nur wenn er gerade mal Lust hat, Kuscheln mag er überhaupt nicht.
Andere Hunde sind ihm meist zu aufdringlich, auch fremde Menschen geht er an, wenn sie meinen sie könnten ihn einfach so anfassen. Man kann ihn nicht so leicht irgendwo mithinnehmen, ist immer auch ein stückweit isoliert mit ihm. Viele Geräusche machen ihm auch heute noch Angst, ich bin mit vielen Desensibilisierungsversuchen dagegen gescheitert.
Dennoch liebe ich ihn. Er ist jetzt seit 14 Jahren bei mir und ich denke wir haben das beste aus der Situation gemacht. Für mich war dabei der wichtigste Teil von Idealvorstellungen loszulassen und zu akzeptieren dass ein Hund mit so starker Vorbelastung eben unter Umständen niemals ein unkomplizierter Begleiter und Kuschelfreund wird. Ich sehe rückblickend auf die Jahre andere Dinge als Gewinn, seinen Freiheitsdrang und die damit verbundene Lebensfreude, die seltenen Momente von Zuneigung, die Kraft und oft den Humor den er hat.
Ich würde mich also an deiner Stelle grundsätzlich von der Vorstellung frei machen, dass diese Hündin irgendwann völlig normal im Alltag funktioniert (natürlich kann es sein, dass es trotzdem klappt und das darf dann natürlich gefeiert werden).
Dinge erzwingen (einfach Leine dran und sich durchsetzen) bringt aus meiner Erfahrung überhaupt nichts. Mein Hund hat nach solchen Aktionen früher solche Angst vor mir gehabt, dass er sich die nächsten Tage in die hinterste Ecke verkrochen hat und sich eingepinkelt hat wenn ich auch nur in seine Nähe kam. Hier geht für mich Vertrauensaufbau vor, sonst zerstört man sich die einzige Chance auf eine gemeinsame Basis den man hat. Stubenreinheit kommt später (wir haben übrigens locker ein Jahr dafür gebraucht).
Um ihr zu helfen könntest du ihr einen reizarmen Rückzugsort bieten an dem sie völlig ungestört sein kann (bedenke was sie für Stress hat im Moment und dass ihr unter Umständen im Moment kein Ort als sicher erscheint).
Jeden Annäherungsversuch würde ich belohnen (was für sie eine Belohnung ist muss man behutsam rausfinden).
Hast du einen Garten? Dann würde ich noch gar nicht mit ihr Gassi gehen und ihr erstmal nur freistellen in den Garten rauszugehen wenn sie möchte.
Ich kann ansonsten nur sagen, ich denke dass es kein Pauschalrezept bei Angsthunden gibt, du musst selbst sehen was ihr gut tut und womit ihr zurechtkommt. Meistens muss man Kompromisse schließen und viel (!) Geduld haben.
Aber es lohnt sich nicht aufzugeben, auch Angsthunde verschenken ihr Herz, es sind oft kleine Gesten in denen sie es ausdrücken und mit der Zeit lernt man auch diese zu sehen und zu schätzen.
Sie ist erst einen Monat bei euch wenn ich das richtig gelesen habe, gibt ihr ruhig nochmal ein halbes Jahr um überhaupt bei euch anzukommen. Überlebensstrategien aus drei Jahren Tierheim und potenzielle Deprivationsstörungen brauchen sehr lange um in den Hintergrund zu rücken.