Sehe ich nicht so.
Ich zitiere mal Prof. Dr. Irene Sommerfeld-Stur :
Vorbeugen ist besser als heilen Am einfachsten ist die Situation, wenn in einer Population noch ausreichend genetische Varianz vorhanden ist. Moderne molekulargenetische Methoden ermöglichen es, das zu untersuchen. In diesem Fall stehen den Züchtern alle Methoden der klassischen Tierzucht zur Limitierung des Inzuchtanstiegs zur Verfügung. Die einfachste und effizienteste Maßnahme ist eine Deckzahlbeschränkung für Rüden. Damit wird einerseits ein rascher Anstieg des Inzuchtniveaus verhindert und gleichzeitig das Risiko der Verbreitung von möglicherweise vorhandenen Defektgenen reduziert. Eine weitere wirksame Strategie ist die Berücksichtigung der Verwandtschaft bei der Auswahl von Paarungspartnern. Durch Berechnung des zu erwartenden Inzuchtkoeffizienten der Nachkommen bestimmter Paarungen kann man für eine Hündin denjenigen Rüden auswählen, der für seine Nachkommen in Kombination mit der Hündin die größtmögliche genetische Vielfalt erwarten lässt. Eine der Ursachen für Genverluste in Populationen ist die Durchführung von Selektionsmaßnahmen, wobei insbesondere die hohe Gewichtung von Ausstellungserfolgen und Formwertkriterien oft dazu führt, dass Hunde auf Grund von Bagatellfehlern nicht zur Fortpflanzung kommen. Damit gehen aber der Population alle Gene dieser Hunde verloren, was nicht nur die genetische Vielfalt ganz allgemein einschränkt, sondern auch zum Verlust von speziellen Genen, die für die Rasse von Bedeutung sind, führen kann. So könnte der Zuchtausschluss eines Hundes wegen eines fehlenden Prämolaren (ein Backenzahn) dazu führen, dass auch die Gene, die für die gesunden Hüften oder das ausgeglichene Wesen dieses Hundes verantwortlich sind, verloren gehen. Eine weniger scharfe Selektion, bei der ein Zuchtausschluss nur bei schwerwiegenden Fehlern verhängt wird, wäre also auch im Sinne der Erhaltung genetischer Vielfalt von Bedeutung.
Und wenn man die Ergebnisse der Studie von PEDERSEN bedenkt, dann wäre in jedem Fall eine Berücksichtigung von Leistungskriterien bei der Zuchtwahl eine weitere Möglichkeit, vorhandene Varianz zu erhalten. Und wenn es zu spät ist Das Schlimme an Genverlusten in geschlossenen Populationen ist, dass sie irreversibel sind. Gene, die einer Population verloren gegangen sind, kommen nicht von selber wieder. Sie sind für immer fort. Genetische Varianz in geschlossenen Populationen kann daher immer nur noch geringer werden. Die einzige Möglichkeit, die genetische Vielfalt einer geschlossenen Population wieder zu erweitern, ist die Immigration, also die Einführung neuen Genmaterials. Im allgemeinen züchterischen Sprachgebrauch bezeichnet man diese Maßnahme als Einkreuzung. Fatalerweise ist die Einkreuzung unter Rassehundezüchtern jedoch absolut negativ besetzt. Das Dogma der Reinrassigkeit ist in der Hundezucht sakrosankt, und wer es in Frage stellt oder gar dagegen verstößt, wird von der Züchtergemeinschaft verstoßen. Dieser Dogmatismus ist bedauerlich, verwehrt er doch Rassepopulationen, die in die Sackgasse der Genverluste geraten sind, die einzig wirksame therapeutische Maßnahme. Und bei aller Anerkennung der Gefahren, die Einkreuzungen auch mit sich bringen können – insbesondere der Gefahr der Immigration von fremden Defektgenen – die Öffnung von geschlossenen Zuchtpopulationen durch Immigration ist die einzige Möglichkeit, die genetische Vielfalt einer Rasse wieder zu vergrößern und damit auch die genetische Fitness und Anpassungsfähigkeit der Rasse zu verbessern. Es kann doch nicht sein, dass Rassezüchter lieber das Aussterben einer Rasse in Kauf nehmen, als alle Möglichkeiten zum Erhalt der Rasse zu nützen. Dabei kann Aussterben einer Rasse auch bedeuten, dass die Nachfrage so stark sinkt, dass Züchter für Ihre Welpen keine Abnehmer mehr finden. Züchter und Zuchtverbände sind somit in jedem Fall gut beraten, sich mit dem Thema der genetischen Vielfalt gründlich auseinanderzusetzen und für die jeweilige Rassepopulation Strategien zu erarbeiten, die eine effiziente Erhaltung oder Erweiterung der genetischen Vielfalt zum Ziel haben.
Genetische-Vielfalt-v.-Sommerfeld-Stur.pdf