Danke für eure Beiträge, besonders @AnnetteV!
Ich versuche mal zu antworten, bzw muss wohl noch ein bisschen ausführen.
Odin war vom ersten Tag an ein, ich nenne es mal, komplizierter Hund. Ich schätze, die ersten vier Wochen (mit 8 Wochen zog er ein), lief er pausenlos massiv gestresst durch die Wohnung. Und ich meine pausenlos. Er fand keinen Schlaf, hat permanent gehechelt und konnte sich auf uns Menschen null einlassen. Er hat quasi durch uns durchgesehen, ansprache, anfassen usw. hat er ignoriert bzw ist einfach weiter rumgewuselt, ohne auf uns reagieren zu können. Ich habe lange keine Ebene gefunden, auf der ich mit ihm "kommunizieren" konnte. Mit meinem großen Hund hingegen konnte er durchaus agieren. Das Problem bezog sich nur auf uns Menschen.
Damals wurde überlegt, ob er vielleicht taub sein könnte, eine Art Autismus wurde in den Raum geworfen, neuronale Probleme, Schilddrüse, hinher. Unterm Strich steht, körperlich hat er nichts.
Das alles zog sich ewig lang. Seit einem halben Jahr ungefähr, machen wir aber richtig gute Fortschritte und ich empfinde ihn nicht mehr als Elend auf vier Beinen, sondern als jungen Hund, der halt sehr stressempfänglich ist, bzw Stress nicht immer für sich gut auflösen kann. Aber wir haben in den meisten Bereichen Wege gefunden, das zu regulieren. Er hat Strategien gefunden, wie er sich (gut) verhalten kann und das meiste läuft mittlerweile stinknormal.
Solche Hunde sind normalerweise überdurchschnittlich intelligent und agieren anstatt zu reagieren. Will heissen, dass Dein Hund aktiv versucht die Situation herbeizuführen, die er gerne hätte. Das macht diese Tiere nicht gerade einfach, weil sie häufig auch sehr sensibel im Sinne von stressanfällig sind.
Ja, den Eindruck habe ich auch. Also, er will gerade etwas und versucht es halt durch dieses Verhalten (vor mir) in Gang zu setzen. Gleichzeitig war Bewegung (als Welpi ist er durchgehend "rumgewuselt", draußen hat er Anspannung gern durch Rennen kompensiert), immer ein Ventil um mit Stress umzugehen.
Deswegen war ich mir oft sehr unsicher, ob man das Bewegen mit etwas statischem (sitz, platz, anbinden, weißderGeier) ersetzen soll, weil es ihm ja scheinbar doch irgendwie hilft.
Ich hatte ehrlich gesagt auch Angst, dass dieses, ich nenne es mal "deckeln" der Anspannung zu noch schlimmeren Ergebnissen führt.
Mittlerweile schafft Odin es ja in den meisten Situationen, besser mit Stress umzugehen, so dass ich ihn durchaus absitzen und abkühlen lassen kann, ohne dass er dabei platzt. Die Futtersituation ist für mich aber immer noch so ein Grenzfall, wo ich nicht weiß, ob ich ihm das so zumuten darf, (also, das sitzen und warten, meine ich), oder ob es das für ihn noch schwerer macht und vielleicht irgendwann kippt.
Ich finde den Ansatz, das Zimmer zu verlassen und das Futter erst einmal Futter sein zu lassen im Prinzip gut, er erfordert allerdings einiges an Zeit und Disziplin. Einfacher wäre es, wenn Du ihm ein Alternativverhalten anbietest, so dass er erst gar nicht zum Drehen kommt. Du sagst, das Verhalten würde dann noch schlimmer und das ist anfangs auch völlig logisch.
Also soll ich ihn durchaus sitzen lassen?
Meine Handlung abbrechen, wenn er damit anfängt, ist eben nicht immer machbar. Er zieht das auch bis ins unendliche und es wird ihm nicht so schnell langweilig, es doch wieder zu versuchen. Morgens muss ich aber irgendwann zur Arbeit und kann nicht ewig warten, bis wir das durchexerziert haben. Im Endeffekt hat er dann ja doch Erfolg. Futter könnte ich auch mal komplett ausfallen lassen, aber Pipi (also, rausgehen) muss er ja so oder so.
Ich würde den Ablauf morgens fester strukturieren damit er genau weiß was wann kommt. Immer das Gleiche tun- ist ja morgens nicht so schwer. Dann kannst auch du sein Verhalten besser kontrollieren. Zum Beispiel Bad gehen, Füttern, du Frühstück, Gassi.
Vielen überdrehten Hunden helfen so feste Rituale ungemein und sie nehmen sie sehr gerne an weil sie sich damit auch sicherer fühlen.
Ja, hm. Einerseits ist er ein Hund, dem Rituale sehr gut helfen. Bei allem. Mal als Beispiel das Kommando "sitz": macht er 1a mit Sternchen vor dem Futter, beim Anleinen, beim Ableinen, vor dem Auto... überall dort, wo es immer gleich ist. Laufe ich mit ihm die Strasse lang, bleibe einfach mal unvermittelt stehen und fordere ein Sitz, guckt er mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Er ist dann sichtlich verunsichert und weiß nicht, was er tun soll. Er kann das dann nicht richtig abrufen.
Zum einen sind diese Rituale also gut um ihm Sicherheit zu geben, zum anderen habe ich mir damit das Dreh-Problem aber auch irgendwie rangezüchtet. Er hat schon die Erwartungshaltung, weiß dass es (gleich) passiert, versucht es herbeizuführen und dreht.
Beim nachmittäglichen Rausgehen ist es z.B. anders. Da muss er zum einen nicht dringend und zum anderen bin ich für ihn da unvorhersehbar. Mal gehen wir früher, mal später, mal gibts einen Ausflug, mal nur Garten... da hat er gar nicht die Erwartung, dass gleich etwas kommt und zeigt deswegen auch keine unguten Verhaltensweisen.
Übersprungshandlungen (wie das von Dir geschilderte) sind nicht zielgerichtet, sie sind einfach nur ein Ventil. Das heißt, der Hund will damit nichts erreichen, er fordert damit auch keine Aufmerksamkeit, er hat bloß einen Weg für sich gefunden, einen "Energie-Stau" los zu werden.
Ja, naja, irgendwie haben sie ja doch ein Ziel
Er dreht ja nicht unvermittelt aus Langeweile, sondern schon situationsbedingt, wenn er das Rausgehen oder Fressen von mir erwartet. Er beobachtet mich dabei genau und bricht es auch sofort ab, wenn ich entweder an ihm vorbei gehe, oder doch zum Futtersack.
Der einzige Weg aus Übersprungshandlungen raus zu kommen ist, Ersatzhandlungen an zu bieten. Eben z.B. sich hin zu setzen / zu legen.
Ja, wie gesagt, war ich mir da unsicher, ob das wirklich richtig ist. Ich ersetze ja nur eine Handlung, die Ursache ist damit nicht behoben. Oder ist es doch so einfach, dass ich dem Hund helfe, indem ich ihm freies Handeln abnehme?
Ich lese ja in eurem Foto-Thread mit und muss gestehen, dass mir diese Gedanken in Bezug auf Odin auch schon öfter durch den Kopf gegangen sind.
Ja, neu ist mir das ja auch nicht... er ist halt in allem sehr komplex. Ich will auch nicht nur rumheulen, wir haben ja wirklich schon viel geschafft und er kann viele Dinge entweder von alleine lösen oder durch Hilfe meinerseits. Vermutlich hat auch sein steigendes Alter dazu beigetragen.
Ich weiß gar nicht, wie lang das Drehen schon auftritt. Wuselig direkt vorm Füttern war er quasi schon immer, das hat sich halt durch rumhüpfen, Nase in die Tüte stecken, schubsen... was so ein junger Hund halt versucht, geäußert. Ich habe ihn dann weggeschickt oder sitzen lassen und das Gehabe an sich auch nicht als unnormal empfunden.
Dass er nun schon im Vorfeld des Fütterns (oder des Rausgehens) Terz macht, bzw dreht, ist wohl ungefähr seitdem ich regelmäßig morgens arbeiten gehe. Früher habe ich spät oder unregelmäßig am Tag gearbeitet, seit einigen Monaten ist es aber immer die selbe Zeit am Morgen, so dass er absehen kann, dass gleich etwas passiert.
Sonntags ist mir übrigens wurscht, was die Hunde morgens machen. Sie werden zwar zu meiner Werktagszeit wach und kommen mal gucken, aber wenn ich liegen bleibe, gehen sie auch wieder und schlafen. Ich füttere dann nach Lust und Laune auch mal um 9 oder so, anstatt zwischen 5 und 5:30. Da zeigt Odin dieses Verhalten dann nicht so massiv, bzw erst, wenn es wirklich los geht.
...
Ich habe den Rest der Woche Urlaub und kann die Morgene anders gestalten.
Wird nicht reichen, um eine 180° Wendung hinzulegen, aber nach euren Anregungen habe ich mir nun folgendes gedacht:
Ich stehe zu einer anderen Zeit auf, damit Odins innere Uhr nicht sein Verhalten bestimmt.
Wenn ich aufgestanden bin und ich merke, dass er mich belagert, schicke ich ihn weg. Insbesondere an Küche und Haustür hat er nix verloren. (Auf seinen Platz schicken kann ich ihn nicht, das habe ich meinen Hunden nie gezeigt. Sie können aber "weg da", was bedeutet, sie sollen aus meinem Dunstkreis verschwinden und sich anders beschäftigen. Meistens gehen sie dann auf ihre Plätze.)
Wenn ich füttern will (möglichst, bevor es eine Pirouette gibt), lasse ich ihn sitzen und erst, wenn sein Napf bereit ist, darf er los.
So in Ordnung?