Dann schicke ich Euch mal meine Gedanken.
Auch, wenn sie irgendwo "dazwischengeschoben" wirken mögen, so ist das doch auch stimmig.
Weil eben das Leben so ist, wie es ist.
Und das Leben und der Abschied, der Schmerz und die Freude sich immerwährend die Hand geben.
Der Moment des Abschiedes...
Ich habe länger darüber nachgedacht, ob, wo und wie ich meine letzten Stunden, Minuten und Sekunden mit meiner Lilly in Worte fassen möchte und kann.
Diese Ambivalenzen von Annahme und Abwehr, Zweifel und Gewissheit, Realität und Erinnerung, Kopf und Herz, Schmerz und Erleichterung, Trauer und Dankbarkeit... - in diesen schweren Momenten.
Einen Raum, wo es jedem offen steht, sich zu öffnen, auch „nur“ mitzulesen oder seine/ihre Gedanken aus welchen berechtigten Gründen auch immer für sich zu behalten.
Mir haben die nun gefundenen und geschriebenen Worte – zwei Wochen nach Lillys Abschied – geholfen, so schmerzlich sie auch sind.
Loszulassen – ohne die Erinnerungen zu verdrängen, zu verklären oder gar zur „nicht enden wollenden Qual“ werden zu lassen.
Vielleicht spürt ihr ja dieses Bedürfnis des Teilens und der Anteilnahme.
Jenseits der Befindlichkeiten und Erinnerungen, der vergangenen Zeit und des Schmerzes und irgendwann einmal der wachsenden Dankbarkeit.
SchreiberIn und stille ZuleserIn.
...
Am Abend vor Lillys Abschied rief mich Herrchen an, spät in der Nacht und war völlig aufgelöst, kaum zu beruhigen.
Er kam mit ihrer Unruhe, Rastlosigkeit und der Atemnot gar nicht klar und beschwor mich, Lilly zu erlösen.
Ich schob seine Panik erst einmal auf seine Unsicherheit und den Umstand, das er Lilly aufgrund seiner vielen Arbeit in den letzte Monaten ja nicht mehr so intensi versorgte und erlebt hat.
Ich war die Bezugsperson, ich kannte sie, meine Beziehung zu ihr war so innig und verbunden, organisch... ebend "special".
Ich beruhigte ihn und wollte Lilly am nächsten Tag wieder zu mir nehmen.
Am nächsten Morgen rief ich gleich nach dem Aufwachen an und er erklärte mir resolut, diesen Zustand keinen Tag mehr erleben zu wollen.
Wisst ihr, ich bin dann zu ihm gefahren, mit der festen Überzeugung, er dramatisiert und ich hole meine Omi zu mir.
Jenseits dessen ergriff mich ein Gefühl, ein unsäglich trauriges und doch präsentes Bewußtsein, das der Zeitpunkt x ganz nahe ist.
Er „kroch“ mir wortwörtlich und spürbar vom Herzen den Hals hoch bis in den Kopf…
Immer noch mit Zweifeln, immer noch mit dem Gedanken - das kann nicht sein, das geht garnicht.
Als ich bei ihm ankam, begrüßte Omi mich schwanzwedelnd, wenn auch sichtlich erschöpft und geschwächt.
Ich wäre in dem Moment am liebsten sofort wieder gefahren, ganz schnell weg aus diesem Geschehen, dem Unabwendbaren - es war unglaublich schwer, auszuhalten.
Es dauerte von halb 11 bis 18 Uhr abends, bis wir endlich unsere Tierärztin erreichten, die sich dann auf den Weg machte.
Dazwischen eine ganz schreckliche Odysee, ein Telefonieren mit vier (empfohlenen) Tierärzten, ein zermürbendes und grauenvolles Warten...
Unsre Tierarztpraxis hatte Sprechstunde, aber keinen Termin mehr frei, die externe Notfallnummer fiel mir erst viel später ein..
Es war ja Sonntag.
So versuchten wir, empfohlene TÄ zu erreichen, liebe Menschen haben sich für darum bemüht.
Das wir keine gefunden haben, stellte sich im Nachherein als richtig und stimmig heraus.
Aber es war für uns eine endlose Qual, in dem Wissen, jemanden zu finden, der uns unsere Lilly nimmt...
Die dritte TÄin meldete sich gegen 12 Uhr über die Sprechstundenhilfe an, um uns dann nach drei Stunden schrecklichen Wartens telefonisch mitzuteilen, das es ja klar war, das sie nicht mehr kommen könne...
In dem Moment war ich wild entschlossen, Lilly wieder nach Hause zu nehmen.
Ich konnte mir gar nicht vorstellen, einen Notdienst zu rufen, der Lilly dann "einfach so", völlig bezugslos und unpersönlich, einschläferte.
Ich war am Ende meiner Kräfte, fiel zwischendurch immer wieder in einen hypnoseartigen, unruhigen Schlaf...
Herrchen war aufgrund meines Vorhabens kurz vorm Zusammenbruch.
Zwischendurch immer wieder Lilly – tapp, tapp, Streicheleinheit abholen, kuscheln und wieder ins selbstgewählte Exil, den Raum nebenan.
Einmal noch mit Ach und Krach runter, direkt vor der Tür pinkeln und sofort wieder hoch.
Ich hatte kein Zeitgefühl mehr.
Der Schmerz war allgegenwärtig und ich habe mich auch nicht mehr gewehrt – ging gar nicht.
Ohne Nachzudenken, irgendwann, rief ich die Notfallnummer unserer Praxis an.
Schicksalsartig war unsere behandelnde Ärztin im Dienst und versprach sofort, wissend und mitfühlend, schnellstmöglichst zu kommen…
In diesen verzehrenden sieben Stunden des Wartens und der Ungewissheit, des immer noch aufkeimenden Zweifelns lief Oma rastlos und hilflos durch die Wohnung.
Sie war unglaublich schmusebedürftig, kam immer wieder, ließ sich ununterbrochen streicheln.
Spürte sie etwas von dem, was vor ihr lag?!
Selbstverständlich nahm sie energetisch unsere Anspannung und Traurigkeit, das viele gemeinsam Weinen wahr.
Aber wusste sie, das es Zeit war... – ich weiss es nicht, bis heute nicht...
Dann wieder zog sie sich zurück, ohne Ankündigung und legte sich weit weg von uns, völlig alleine in die hinterste Ecke.
Diese Stunden erschienen mir endlos.
Herrchen und ich haben Lilly sogar noch eine halbe Tafel Schokolade gegeben, die sie noch mit Appetit verschlang...
Ich kann Euch nicht wirklich beschreiben, wie ich mich gefühlt habe.
Im Nachherein erscheinen mir diese Momente wie ein Film, das geschieht jetzt nicht wirklich... und ich werde diese Stunden nie vergessen.
Ich bin mir sicher, das uns diese Zeit noch zum Abschiednehmen geschenkt wurden, so schmerzlich und grauenhaft sie mir in dem Moment erschienen.
Diese Ambivalenzen von "....lass es doch endlich vorbei sein...!", "...Nein, das ist alles nicht wahr, nicht wirklich..." und "...jeden Moment aufsaugen, den ich noch mit meiner Maus habe, wo sie mich anschaut, atmet..." sind nicht wirklich zu beschreiben.
Irgendwann legte ich mich mit einer Decke zu ihr hin, um wenigstens meine Hand bei ihr halten zu können.
Ihr immer wieder zuflüstern zu können, wie sehr ich sie liebe.
Das das, was geschieht, geschehen muss und wir es aus Liebe tun.
Gleichwohl kam in mir ein Gefühl der Distanz auf, - und eine tiefe Ruhe, die mir irgendwie nicht von dieser Welt erschien.
Diese innere Ruhe, dieser leere Raum mit nix als dem, was ist...
Da wusste ich, das der Moment gekommen ist.
Vor dem ich so viel Angst hatte, den ich so bedrohlich und grausam endlich fürchtete.
Er ist da, angekommen und alles wird gut.
Als dann die Ärztin klingelte, bleib mein Herz stehen.
Und doch - ich wußte, das es gut war, richtig war.
Lilly stand sogar auf und begrüßte sie mit Freude und Neugier.
Bis sie den Koffer roch, mit den Spritzen und den Fläschchen.
In dem Moment zog sie Ohren und Schwanz ein und drückte sich verängsigt in die Ecke an die Wohnungstür.
Dieser Moment war fast unerträglich für mich.
Ich hätte in dem Moment wirklich alles, alles gegeben, um die Entscheidung rückgängig zu machen, Lilly diesen Weg zu ersparen...
Als sie das Beruhigungsmittel bekam, legten wir beide uns zu ihr, um sie zu halten.
Sie sackte zusammen und lag in unseren Armen.
Ich bangte wie verrückt, das sie irgendwie noch etwas wahrnahm oder die oft beschriebenen Muskelzuckungen einsetzten.
Aber unsere tapfere Omi war ganz ruhig.
Sie bekam eine Überdosis Narkosemittel und dann die "finale" Spritze.
Das zähe Kämpfer-Herzchen wollte nicht aufhören zu schlagen...
Es dauerte und dauerte, bis es endlich stillstand.
Es war geschehen.
Die Zeit, bis der Bestatter kam, lag ich bei meiner Maus, vergoß ein Meer von Tränen, hielt sie fest, küsste sie unendlich oft.
Wünschte ihr eine wundervolle Reise, ins Regenbogenland – zu Andor, Cookie und all den anderen, die auf sie warteten.
Ich war so dankbar, Euch bei mir, gedanklich hinter zu wissen, wie hier jemand (?) so tröstend geschrieben hatte.
Da kam dann der Moment, wo ich sie ansah und ihre unglaubliche, jenseitige Schönheit und Entspannung wahrnahm.
Ich habe nie eine so friedvolle, wunderschöne und geschmeidige Lilly gesehen.
Dieser Anblick war nicht von dieser Welt.
Meine geliebte Maus hatte endlich ihre Ruhe gefunden.
Sie lächelte.
Ich bin mir ganz sicher.
Dieses Bild ist, im Gegensatz zu den irrealen und "filmischen" Erinnerungen an diesen Tag, in meinem Herzen geblieben.
Es hat sich festgebrannt und ich bin so sehr dankbar, dafür.
Es ist das letzte und das schönste, was ich mit ihr erleben durfte.
Ihr Lieben,
verzeiht mir, wenn ich jetzt nicht anders konnte, als all das aufzuschreiben, weiter zu geben.
Es ist sicherlich nicht einfach, da mit zu lesen, mit zu fühlen und diesen Moment im Gewahrsein ankommen zu lassen.
Ich habe beim Schreiben bitterlich geweint.
Und doch waren es Tränen der Dankbarkeit, der Erleichterung und der nie versiegenden Erinnerung.
Das - auch als Antwort an Dich, liebe Verena - ist ein Teil meiner Verarbeitung, der Konfrontation und der Auseinandersetzung mit Lillys Leben hier und ihrem Abschied.
Das der Tod mit dem Leben verschmilzt, eins wird.
Beides ein Geschenk an uns sein kann.
Auch, wenn mir mein Engel so unglaublich fehlt.
Ich kann meinen Weg weitergehen, in der Erinnerung und auch in der Gewissheit, das meine Maus zur richtigen Zeit als "Sternenstaub" Anna wieder ein Stück zu mir zurückkehrt.
Ich habe sie losgelassen, wie sie mich losgelassen hat.
Und sie doch immer mein Seelenhund, meine Lilly bleiben wird.
Leb wohl, mein über alles geliebter Engel.
PS: Ich werde jetzt den Versuch starten, noch etwas zu arbeiten.
Eigentlich eine Kamikaze-Aktion.
Aber wenn ich etwas von Lilly gelernt habe, dann das es sich lohnt, zu kämpfen.
Für jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde.
Danke Euch fürs Zulesen. 