Warum nicht mehr Herdenschutzhunde?

  • Hi miteinander,


    aus gegebenem Anlass kam bei mir heute die Frage auf... warum gibt es eigentlich das "Problem" mit den Nutzvieh-reißenden Wölfen, wenn man doch Herdenschutzhunde einsetzen könnte?


    Bei der Panikmache der Medien und Nutzviehhaltern mag man fast annehmen, dass die Jagd der einzige Weg zum Schutz der Tiere wäre. Dabei scheinen viele komplett zu ignorieren, dass Menschen doch schon vor Jahrhunderten (?) Hunde über viele Generationen genau für diesen Zweck gezüchtet haben. In anderen Ländern werden diese ja ebenfalls häufiger eingesetzt.


    Wie kommt es also, dass der Einsatz von Herdenschutzhunden hier so selten ist? M.E.n. ist das doch eigentlich die Lösung. Gibt es hier einfach nicht genug ausgebildete Hunde/Züchter, da die Wölfe so "plötzlich" wieder ansiedelten? Möchten sich die Tierhalter von Schaf & Co nicht mit dem Thema auseinandersetzen? Sind die Hunde für Passanten gefährlich? Oder sind Herdis doch nicht so ein effektiver Schutz?


    Ich versteh das nicht so ganz und als Nicht-Hundehalter wollte ich mal hier nachfragen, wieso sie eigentlich verhältnismäßig selten zum Einsatz kommen. Danke!


    Liebe Grüße,
    StarrySky

  • Da rufe ich doch mal @Chris2406 , denn sie hat Herdenschutzhunde im Einsatz und weiß da sicherlich Bescheid.

  • - manche HSH sind Listenhunde
    - Hunde dürfe nicht hinter Elektrozäune gehalten werden
    - die Kosten sind enorm man braucht je nach Größe der Herde und Läufigkeiten der Tiere 3-8 oder mehr Hunde
    - wenn Wölfe anfangen in Rudeln zu Jagen reichen 2 Hunde pro Teil der Herde nicht mehr ( also sagen wir 50 Tiere hier 50 Tiere dort etc.)

  • Und, wo sollen wohl die gut ausgebildeten Hunde herkommen? Die fallen ja nicht vom Himmel... Und, wer soll sie wohl ausbilden? Der Schafhalter, der u. U. gar nix mit Hunden am Hut hat? Ist ja nicht mit: einfach Welpen in die Herde stellen getan....

  • Und man muss sie ausbilden. Man kann sich leider keinen HSH auf die Weide stellen und der macht das dann schon. Das dauert bis zu 3 Jahre und sollte eigentlich passieren bevor der erste Wolf auftaucht.
    Abgesehen davon ist die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht wirklich da. Große beeindruckende Hunde die ohne menschliche Kontrolle am Zaun bellen, scheinen einigen Wanderen nicht genehm zu sein.

  • Hier in Deutschland ist es schon für den Wolf fragwürdig, inwiefern er in so dicht bebauten Gebiet an der richtigen Adresse ist. Genau die gleiche Frage stellt sich für den HSH. Ich überlege ja nun auch, was ich tun werde, wenn der Wolf hierher kommt. Aber ich habe ehrlich gesagt auch enorme Angst vor der Verantwortung mit einem HSH. Es sind ja Hunde, die ihre Herde bis aufs Blut verteidigen und die machen keinen Unterschied, ob es nun der Wolf ist oder ein Wandersmann. Wir haben hier nunmal kein weites Land, in dem sich Wolf, Hund und Mensch aus dem Weg gehen können. Irgendwann stößt man unweigerlich zusammen.
    LG Maren

  • Ich denke, der HSH ist der verkehrte Ansatzpunkt, Meinem Empfinden nach wird es mehr bringen wenn Schäfer wieder ( wie früher üblich) mit ihren Herden ziehen und die Herde nicht hinter einem Elektrozaun "abgestellt" wird.

  • warum gibt es eigentlich das "Problem" mit den Nutzvieh-reißenden Wölfen, wenn man doch Herdenschutzhunde einsetzen könnte?

    Weil es das Problem mit den nutzvieh-reißenden Wölfen auch gibt, wenn man HSH einsetzt.
    HSH bedeuten NICHT, dass es keine Wolfsübergriffe auf die Herden mehr gibt, es bedeutet lediglich, dass mit etwas Glück, Geschick und guten Hunden die Riss-Zahlen deutlich geringer sind.


    Mit nicht soviel Glück hat man gerissenes Vieh UND gerissene Hunde.



    In anderen Ländern werden diese ja ebenfalls häufiger eingesetzt.

    S. o.


    In anderen Ländern haben Schäfer auch kein Zahnarzt-Bonus-Heft, bewegt sich die Bevölkerung per Pferdegespann von A nach B und auch in anderen Ländern wurde noch nicht DIE effektive Herdenschutzmaßnahme erfunden, die Hirten dort plagen sich genauso mit Wolfsübergriffen herum, wie hier auch, ob mit oder ohne Hunde.
    In anderen Ländern werden Touris ausgelacht, wenn sie "mimimimi, der Hund hat mich angebellt" quäken - hier wird ihnen der Bobbes gepudert.



    Wie kommt es also, dass der Einsatz von Herdenschutzhunden hier so selten ist?

    Es ist eine grosse Verantwortung, die man trägt, es ist teuer, die Erfahrungswerte in D sind noch nicht so ausgereift, unsere Bedingungen mit einer exorbitanten Anzahl an verschiedenen Freizeit-Natur-Nutzern sind doch weng anders als in den Karpaten z. B. - heisst: die Anforderungen an die Hunde sind unglaublich hoch, der Druck für die Tierhalter ist riesig, die Beschwerdementalität der Bevölkerung ebenfalls.
    Es gibt keine Rechtssicherheit für den Einsatz von HSH - man muss also auch für die ganzen Idioten da draussen im Fall X mithaften.


    M.E.n. ist das doch eigentlich die Lösung.

    Ja, so denken viele. Mein Wanderverein hier auch - der schreibt "Landwirte können Herdenschutzhunde einsetzen" auf die Info-Tafel an der Wolfsgrube und jetzt darfst Du einmal raten, wer sich am meisten über eingesetzte Herdenschutzhunde (keinen Kilometer von der Wolfsgrube entfernt) aufregt?
    Richtig - der Wanderverein. Mimimimimi.....


    Möchten sich die Tierhalter von Schaf & Co nicht mit dem Thema auseinandersetzen?

    Nein, die bohren lieber in der Nase.
    Was ist denn das für eine merkwürdige Frage?
    Bis auf die üblichen schwarzen Schafe, die es in jeder Branche gibt, beschäftigen sich die meisten Tierhalter in D mit Herdenschutzfragen.
    Man bloss gibt es Gesetze und Verordnungen, das popelige Baurecht z. B., die manch eine sinnvolle Herdenschutzmaßnahme im s. g. Aussenbereich schlichtweg verhindern.



    Sind die Hunde für Passanten gefährlich?

    Denken die Passanten, ja.
    Sind sie aber nicht, nein. Herdenschutzhunde sind Vergrämer und Verteidiger, aber keine Angreifer.



    Oder sind Herdis doch nicht so ein effektiver Schutz?

    Herdenschutz mit Hunden ist weit mehr, als ein paar Hunde in die Herde zu schmeissen.
    Die Effizienz ist abhängig von Anzahl und Qualität der Hunde, deren Bindung an die Herde, ihren richtigen Einsatz. Letzteres hängt ab von Alter und Erfahrungsstand der Hunde, der Art der Fläche (Übersichtlichkeit z. B.), der Herdengröße, der Jahreszeit, dem grundsätzlichen und aktuellen Wolfsdruck.


    Und auch, wenn man all das beachtet, bedeutet das nicht, dass es nie zu einem Riss kommen wird.


    Ich versteh das nicht so ganz und als Nicht-Hundehalter wollte ich mal hier nachfragen, wieso sie eigentlich verhältnismäßig selten zum Einsatz kommen

    Weil Deutschland nicht die Karpaten ist.
    Weil die Bevölkerung sowas von entfernt von leidlich natürlichen Vorgängen ist, dass ihr das Verständnis für massive Herdenschutzmaßnahmen völlig abgeht.



    - manche HSH sind Listenhunde


    Je nach Bundesland und Aufteilung der "Liste" können auch Listenhunde im tatsächlichen Herdenschutz eingesetzt werden - den Bedarf zur Haltung kann man ja problemlos nachweisen, der Wesenstest ist für diese Hunde ein gespielter Witz, wenn er dem Herdenschutz angemessen ausgelegt wird.
    In BY z. B. werden auf mehreren Betrieben Mastines eingesetzt, das sind hier
    Kat II-Hunde.
    "Listi-Steuer" entfällt in vielen Gemeinden, für an der Herde arbeitende Hunde.


    - Hunde dürfe nicht hinter Elektrozäune gehalten werden

    Das Gerücht hält sich immer noch - ist aber bereits vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten dramatisch abgeschwächt worden, wenn es im den Einsatz von HSH bei Nutzvieh geht. In der Tierschutzhundeverordnung spiegelt es sich zwar noch nicht wieder - das wird auch noch weitere 50 Jahre dauern, aber auf die Handlungsempfehlungen für Amts-Vets können die Tierhalter mit HSH sich berufen, wenn einer das noch nicht mitgekriegt hat.


    Es sind ja Hunde, die ihre Herde bis aufs Blut verteidigen und die machen keinen Unterschied, ob es nun der Wolf ist oder ein Wandersmann.

    Doch, die machen Unterschiede und zwar ganz gewaltige.
    Um in den "bis aufs Blut verteidigen"-Modus zu kommen, muss die Herde erst einmal angegriffen werden.
    Das tun die wenigsten Wanderer - auch wenn viele Wanderer sich für die Hunde, die alles unter dem Gesichtspunkt Herdenschutz bewerten, überaus verdächtig verhalten. Solche Wanderer werden dann halt vehement verbellt. Bis ein HSH im Einsatz einen sich der Herde gegenüber aggressiv verhaltenden Wanderer ernsthaft verletzen würde, hätte der Wanderer viele, viele Chancen, sein Verhalten zu überdenken und den Rückzug anzutreten, sprich, man muss sich als Wanderer schon richtig ins Zeugs legen, um die Hunde zu sowas zu provozieren.


    Die Schweizer Herdenschutz-Jahresberichte zeigen leider, dass es tatsächlich solche Wanderer gibt - dort gibt es Pfefferspray gegen HSH, Steinwürfe und Co. Und auch bereits erfolgreiche Initiativen von Tourismus-Verbänden gegen HSH im Einsatz.
    Und wenn man diese Jahresberichte richtig liest, stellt man fest, dass bei den durchschnittlich 20 durch HSH bei Wanderern verursachten Verletzungen im Jahr (200 Hunde sind dort plus-minus im Einsatz) fast ausschliesslich um Bagatellverletzungen handelt (Hämatome, Abschnappverletzung ohne Gegenbiss, Kratzer) - richtig interpretiert bedeutet das, dass sich die HSH auch bei massivem Fehlverhalten der Wanderer überaus moderat verhalten.




    Meinem Empfinden nach wird es mehr bringen wenn Schäfer wieder ( wie früher üblich) mit ihren Herden ziehen und die Herde nicht hinter einem Elektrozaun "abgestellt" wird.

    Also Tierhalter zurück ins Mittelalter und der Rest der Bevölkerung darf weiter in der modernen Zivilisation leben?
    Viele Tierhalter halten ihre Tiere im Nebenerwerb - was u. a. daran liegt, dass es kaum möglich ist, von der Weidetierhaltung seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.


    Eine reine Behirtung nutzt genau gar nichts als Herdenschutz.
    Hier ist ein ganz frisches Beispiel:
    Wolf reißt Ziegenherde am helllichten Tag




    Selbst mit Schreien und dem gezielten Wurf eines Salzeimers konnte sie ihre Ziegenherde vor dem Wolfsangriff nicht schützen


    Auch in D sind schon behirtete Wanderschäferherden attackiert worden - die Hirten stehen dann den Wölfen machtlos gegenüber.


    Das romantische Bild von ziehenden Viehherden in Deutschlands Kulturlandschaft liesse sich in nur wenigen Regionen in D verwirklichen - unsere überwiegende Kulturlandschaft ist geprägt von Strassenverkehr und Freizeitgesellschaft.
    Da gefahrlos mit größeren Herden durchzuziehen, gern noch mit freilaufenden HSH, wenn Autofahrer und auch Hundehalter es heutzutage verlernt haben, wie man sich da dann richtig verhält, ist Utopie.


    Es gibt nie DEN Herdenschutz für alle. Wo was Sinn macht, entscheidet sich immer ganz individuell nach den Gegebenheiten des jeweiligen Betriebes und auch nach den Eigenarten der ansässigen Wölfe, auch die sind nicht alle gleich.


    LG, Chris

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