plötzlich Angstaggression bei Auslandshund

  • Hallo liebe Foris,


    dass ich mir mit meiner etwa dreijährigen Mischlingshündin aus Serbien einen unsicheren Hund ins Haus geholt habe, wusste ich von Anfang an. Sie ist Fremden gegenüber unterwürfig, leckt extrem stark an den Händen und zeigt draußen bei manchen "komischen" Menschen (mit Hut, mit Mantel, mit Krücken etc.) deutliches Ausweichverhalten.


    In der Wohnung gab es nie Probleme. Mit meinem Freund und mir musste sie sich quasi von Anfang an auseinandersetzen und da haben wir scheinbar auch alles richtig gemacht, sie war in der Wohnung ruhig und friedlich, tolerierte Besucher ohne Wenn und Aber und verhielt sich auch nachts stets ruhig. Sie konnte es verständlicherweise nie leiden, wenn wir aus alter Gewohnheit die Wohnungstür einfach offen stehen ließen bis die Besucher das Treppenhaus heraufgekommen waren, da hat sie dann bisweilen gebellt (aber auch nie geknurrt). Wir konnten das Verhalten abstellen, indem wir jeden Besuch direkt an der Tür empfangen haben (wie man das ja auch eigentlich machen sollte).


    Nun hat sich meine Situation aber etwas verändert. Ich bin vorübergehend (für ca. 10 Monate) zurück zu meinen Eltern gezogen. Die haben ein schönes Einfamilienhaus mit Garten und ich dachte eigentlich, dass Lotta diese Veränderung nichts ausmachen würde. Leider habe ich da wohl weit gefehlt. Meine ganze Familie hat NULL Hundeerfahrung und ist entsprechend unsouverän im Umgang mit ihr. Außer mir und meinen Eltern wohnen noch meine beiden Brüder (12 und 19) zu Hause. Lotta kommt mit allen gut aus - außer mit meinem Vater. Der ist sowieso ein eher polteriger Typ und hat für Hunde schlichtweg nichts übrig. Er ist soweit freundlich zu ihr und würde ihr niemals etwas tun, aber er streichelt und füttert sie eben auch nicht und ignoriert sie eigentlich vollkommen. Lotta versucht bisweilen, sich bei ihm anzubiedern, doch auch das wimmelt er meistens ab. Wenn ich ihn bitte, ihr doch mal ein paar Leckerchen zuzustecken, hat er dazu meistens wenig Lust und meint halt auch, dass der Hund ihn nichts angeht. Er toleriert sie im Haus und macht sonst eigentlich gar nichts, was sie betrifft.


    Nun hat Lotta bereits zweimal massiv gebellt und geknurrt, als mein Vater sich ihr genähert hat. Beide Male abends, beide Male lag sie auf ihrem Platz. Mein Vater wollte allerdings überhaupt nicht zu ihr, sondern ist einfach nur in ihre Richtung gegangen (quasi an ihrem Körbchen vorbei ins Wohnzimmer). Heute hat er an meiner Zimmertür geklopft und wollte mir noch etwas sagen, bevor er zu Bett geht, und da ist sie wie eine Furie aus ihrem Korb gesprungen und hat richtig heftig geknurrt. Dabei fletscht sie bis zu den Backenzähnen und geht defintiv nach vorne. Ich weiß nicht, ob sie nicht sogar zupacken würde. Das alles gefällt mir überhaupt nicht. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf reagieren soll. Heute habe ich sie aus der Not heraus (sie ist in der Wohnung immer nackig) am Fell gepackt und festgehalten. Ich weiß, dass das schei**e war, aber ich hatte echt Angst, dass sie weiter nach vorne geht und zubeißt.


    Mein Vater ist leider nicht der einzige, der diese neue Seite an ihr zu spüren bekommt. Über Neujahr war ich bei den Eltern meines Freundes (beide hundeerfahren, null Probleme), und seine Schwester (schissig ohne Ende) war zu Besuch, die sich unglücklicherweise am Silvestermorgen auch noch den Fuß gebrochen hatte. Sie ist auf Krücken gelaufen und wir mussten Lotta jedes Mal aus dem Raum bringen, bevor sich die Schwester von meinem Freund auf den Krücken überhaupt bewegen konnte. Bei dem leisesten Klappern der Krücken ist Lotta total ausgeflippt. Wieder knurren, bellen, nach vorne gehen. Ich hab mir die Krücken geschnappt und bin vor Lottas Augen den Flur hoch- und runtergeturnt und das hat sich überhaupt nicht beeindruckt, sie hat es sich interessiert angesehen und nach einer Weile ist sie auf Wurst-Patrouille in die Küche abgehauen.


    Ich weiß nicht, wie ich dieses Verhalten von ihr bewerten soll. Ich schätze mal, dass sie aus Unsicherheit/Angst nach vorne geht, weil sie in geschlossenen Räumen der Ansicht ist, nicht ausweichen zu können. Ich kenne ihre Vorgeschichte nicht, bin mittlerweile aber fest der Meinung, dass sie zu wenig kennengelernt hat und vermutlich auch misshandelt wurde. Falls das weiter anhält, werde ich mir einen Trainer ins Haus kommen lassen.
    Ich würde aber gerne vorab wissen, ob irgendwer sich zutraut, das aus der Ferne zu beurteilen und mir vielleicht einen Tipp geben kann, wie ich mich am Besten verhalten soll, wenn sie sich wieder so aufregt. Ich habe jetzt überlegt, sie im Haus dauerhaft mit Halsband laufen zu lassen und sie jedes Mal, wenn sie sowas macht, an einer Hausleine aus dem Raum zu führen und in mein Zimmer zu bringen. Ich weiß nur nicht, was ich machen soll, wenn sie in meinem Zimmer so abgeht. Einfach ignorieren kann man das definitiv nicht, dazu ist das Verhalten zu heftig.
    Tut mir Leid, dass das jetzt so ein Roman geworden ist, aber ich habe eben versucht, alles zu beschreiben. Über Ratschläge wäre ich dankbar.

  • Auf die Ferne ist das immer schwer zu beurteilen.


    Aber mal ein paar Managementmaßnahmen, um den Druck für die Kleine rauszunehmen (denn es klingt wirklich nach Angst).


    Geschirr und kurze Hausleine statt Halsband, einfach weil es, falls sie nach vorne geht bzw. zieht oder wegspringt, nicht auch noch am Hals weh tun muss und so zu weiteren Fehlverknüpfungen führen muss.


    Körbchen bzw. Schlafplätze so platzieren, dass niemand dran vorbei muss - also eine ruhige Ecke suchen.


    Was dein Zimmer betrifft: Da kann man anklopfen, dann gehst du an die Tür und machst auf und es betritt nicht einfach irgendjemand plötzlich und unaufgefordert dein Zimmer.


    Was die Schwester mit den Krücken betrifft - wenn sie eh ängstlich ist und nun noch an Krücken geht, strahlt sie sicher nicht gerade etwas Beruhigendes bzw. Verlässliches auf deinen Hund aus. Also eigentlich kein Wunder, dass sie da so abgeht.


    Wie lange ist sie bei dir?


    Die Umstellung von einem 2-Personen-Haushalt auf die jetzige Situation ist vermutlich heftig für sie.


    Wenn dein Vater sich absolut nicht mit ihr beschäftigen will, dann sei es so. Soll er einfach schauen, dass er sie weiträumig umgeht, weil sie Angst vor ihm hat. Dass er sie soweit ignoriert, ist doch schon mal schön.


    Trainer ins Haus kommen lassen ist sicher keine so schlechte Idee.


    Brauchst du eine Tipp für eine Adresse? Wär schön, wenn es ein Trainer ist, der nicht nach Uralt-Muster arbeitet, sondern Ahnung hat von Angst, Stress und Lernverhalten...


    LG
    cazcarra

  • Ferndiagnosen sind nicht möglich, richtig. Man muß den Hund sehen, wie er aussieht, reagiert, ...


    Sicherlich kann man auch hier wieder mit "der arme Hund" argumentieren. Schwere Jugend, unverstanden, geprügelt ...


    Leider siehts aber oft anders aus. Ob das bei euch der Fall ist kann man aus der Ferne nicht beurteilen, aber:
    Oft verpaßt man bei solchen Hunden den Moment, wo das Verhalten von "verhätscheln und alles schön reden" - was ja anfangs sicher hilfreich ist - zum "keiner tut dir was, da sorge ich für".
    Anders ausgedrückt: Zu Anfang geht man souverän vorweg, erklärt Hundi, daß alle nett sind, es keinen Grund zur Sorge gibt. Was man aber vergißt ist dem Hund zu zeigen, daß er gehen soll, wenns ihm zu unheimlich etc. wird.


    Es ist nicht auszuschließen, daß dein Hund deshalb nach vorne geht (bei deinem Vater), weil er ihn nicht "um die Pfote wickeln kann" und du ja generell das arme Hundchen bemutterst, wenn dein "böser" Vater sie wieder ignoriert. Deshalb nimmt sie sich mittlerweile einfach die Frechheit raus, ihn in seine Schranken zu weisen.


    Wenn sie wirklich nur unsicher ist, gar Angst vor ihm hat, dann würde sie nicht nach vorne gehen. Sein Verhalten, den Hund völlig zu ignorieren finde ich überhaupt nicht schlimm. Damit sollten beide gut leben können, ohne Probleme.


    Aber, wie gesagt, man müßte den Hund sehen.


    Ich würde ihr einen festen Platz zuweisen, ruhig, abgelegen und daran arbeiten, daß sie verläßlich auf Kommando dort liegen bleibt.


    Ein kompetenter Trainer vor Ort wäre natürlich ideal um die Lage genau zu beurteilen.


    Gruß, staffy

  • Zitat


    Wenn sie wirklich nur unsicher ist, gar Angst vor ihm hat, dann würde sie nicht nach vorne gehen.


    Nee? Warum denn nicht?


    Grundsätzlich stehen einem Lebewesen doch die üblichen Reaktionen auf eine Angstsituation zur Verfügung: fight, flight, freeze ... Meiner Meinung nach reagiert ein Hund zunächst einmal mit dem Verhalten, was sich für diese Situationen bisher am besten bewährt hat. In diesem Fall - sollte ihr Verhalten Angstmotiviert sein - ja wohl ersteres. Frei nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung"...

  • Zitat

    Was man aber vergißt ist dem Hund zu zeigen, daß er gehen soll, wenns ihm zu unheimlich etc. wird.


    Klingt toll. Und wie machst Du das? :???:

  • Zitat

    Nee? Warum denn nicht?


    Grundsätzlich stehen einem Lebewesen doch die üblichen Reaktionen auf eine Angstsituation zur Verfügung: fight, flight, freeze ... Meiner Meinung nach reagiert ein Hund zunächst einmal mit dem Verhalten, was sich für diese Situationen bisher am besten bewährt hat. In diesem Fall - sollte ihr Verhalten Angstmotiviert sein - ja wohl ersteres. Frei nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung"...


    Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt.


    Ich habe ja auch so einen "armen, ängstlichen Auslandshund".
    Meine Hündin ganz schnell hat die Erfahrung gemacht: Wenn ich Angst habe und nach vorne gehe, geht der "böse" Mensch weg oder mein Frauchen nimmt mich aus der Situation. Hatte also mit ihrer Strategie durchaus Erfolg. Selbst zu gehen war nie eine Alternative für sie.


    Ich habe Mias Körbchen in der Wohnung so platziert, dass Besuch, ... nicht daran vorbei muss. Das Körbchen wurde dann als "sicherer" Rückzugsort etabliert, zusätzlich noch eine Faltbox (immer offen) im Schlafzimmer in die sie sich zurückziehen kann.


    Ich wünsche euch Geduld und Erfolg!

  • Danke für die Antworten! Auch für den Link, werde da gleich mal nachsehen. Ich wohne jetzt ja wieder in Hamburg, vielleicht kennt hier jemand sonst noch Trainer, die sich auf solche Sachen spezialisiert haben?


    cazcarra: Danke, für das Verständnis! Genau in diese Richtung habe ich auch überlegt, nämlich dass Lotta einfach erst lernen muss, dass jetzt mehr Menschen mit ihr zusammen leben, die ja Bewegungen und Geräusche verursachen, die aber eben trotzdem nicht bedrohlich für sie sind.
    Ihr Korb steht eigentlich schon in einer sehr ruhigen Ecke im Wohnzimmer. Nur ist eben bei uns der Wohnbereich offen und man läuft aus der Küche immer irgendwie in ihre Richtung, wenn man zum Sofa will. Ich denke aber auch nicht, dass es gut wäre, sie aus dem Sichtbereich zu nehmen, denn wenn sie meinen Vater erst sieht, wenn er "um die Ecke kommt", dann wird das bestimmt nicht besser. Er hat leider auch (aus Hundesicht) einen Lebenswandel wie ein Einbrecher: Ist morgens und tagsüber nie da, kommt erst mit der Dämmerung und poltert im Hausflur herum und dann richtet er nichtmal ein freundliches Wort an sie...
    Das mit dem Hausgeschirr mache ich, ich denke ich werde so ein verstellbares, weiches Ding besorgen, damit es sie möglichst wenig stört.
    Ich habe sie jetzt seit ziemlich genau einem halben Jahr.



    Zitat

    Es ist nicht auszuschließen, daß dein Hund deshalb nach vorne geht (bei deinem Vater), weil er ihn nicht "um die Pfote wickeln kann" und du ja generell das arme Hundchen bemutterst, wenn dein "böser" Vater sie wieder ignoriert. Deshalb nimmt sie sich mittlerweile einfach die Frechheit raus, ihn in seine Schranken zu weisen.


    Ich finde das klingt so formuliert ziemlich negativ. Ich bemuttere meinen Hund überhaupt nicht, ich weiß auch nicht, wie du das aus meiner Beschreibung herausgelesen hast. Dass ich es bedauere, dass mein Vater wenig Interesse zeigt und sich nicht mal ein bisschen "schönfüttern" lässt, ist doch wohl verständlich und trägt immerhin zu meinem Problem bei. Dass ich ihn als den "Bösen" ansehe, ist Quatsch. Wenn ich die Lösung meines Problems nicht bei meinem Hund suchen würde, hätte ich nicht hier gepostet.
    Ich stimme dir nicht zu, dass sie ihn wohlmöglich in seine Schranken weisen will. Sie ist ein unterwürfiger, unsicherer Hund und sie hatte bisher nicht die Zeit zu lernen, dass seine Ignoranz ihr gegenüber nicht in Gefahr für sie umschlagen wird.


    Zitat

    Wenn sie wirklich nur unsicher ist, gar Angst vor ihm hat, dann würde sie nicht nach vorne gehen.


    Das stimmt nicht. Natürlich kann ein Hund in einer Angstsituation aggressiv reagieren und durchaus Verteidigungsbereitschaft zeigen, auch wenn er vermutlich unter anderen Umständen (mehr Platz) versucht hätte, auszuweichen oder zu fliehen. Sie ist kein "Angsthund", der in Angstsituationen nur zittert oder in sich zusammenfällt, so ein Hund würde in der Tat nicht nach vorne gehen (eine Freundin von mir hat einen, die hat ganz andere Probleme). Aber auch ein Hund, der bei Schrecksituationen nicht kopflos panisch wird, kann trotzdem Angst haben und diese auf verschiedene Weise zeigen. Ich fände es auch besser, wenn sie ausweichen würde, anstatt nach vorn zu gehen - aber sie hat sich leider in der ersten Knurr-Situation zur Verteidigung entschieden und da mein Vater durch den Schreck natürlich einen größeren Bogen gemacht hat, dieses beibehalten.


    Zitat

    Ich würde ihr einen festen Platz zuweisen, ruhig, abgelegen und daran arbeiten, daß sie verläßlich auf Kommando dort liegen bleibt.


    Wie ich schrieb, bei allen Situationen lag sie auf ihrem Platz. Sie kennt ein Kommando, um sich dort hinzulegen und bleibt dort auch liegen - außer wenn eben ihrer Meinung nach eine Bedrohung auf sie zukommt. Ich wüsste nicht, wie ich das weiter trainieren sollte?

  • Hättest du mein Posting genau gelesen wäre dir vielleicht aufgefallen, daß ich dir nix unterstelle, sondern einfach mal ein bisschen mutmaße und vergleiche, wie es oft ist.
    Wenn du aber genau weißt, warum dein Hund was tut und das es definitiv Angst ist ... dann bleib dabei - ich halt mich raus.


    Viel Glück
    staffy

  • Staffy, magst Du trotzdem noch auf meine Frage antworten? Es interessiert mich wirklich.


    Zitat

    Klingt toll. Und wie machst Du das? :???:


    Wie bringst Du einem Hund bei, der Aufgrund von Erfahrungen, Rasse ... in Angstsituationen als Plan A erstmal nach vorne geht dazu, in Zukunft lieber (erstmal) auszuweichen?

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