Haltung von "Arbeitshund" ohne "Arbeit"?

  • Hallo zusammen,


    seit ich Hunter habe, bin ich in einer Springer-spezifischen Facebook-Gruppe. Die Mitglieder dort sind hauptsächlich aus dem englisch-sprachigen Raum und teilen sich auf in zwei Lager: Die Briten, deren Springer (hauptsächlich Working-Type) jagdlich geführt werden und die Amerikaner, deren Springer reine Familienhunde sind und (in vielen Fällen) nicht einmal Gassi geführt werden (was in den USA aber generell üblich ist). Auf beiden Seiten gibt es natürlich Ausnahmen.


    Während die Briten stolz Fotos von ihren Jagderfolgen posten, kommen von den Amerikanern eigentlich fast nur süße Welpenbilder oder Hilferufe wegen den Verhaltensproblemen ihrer Hunde. Das jeweils andere Lager reagiert entsprechend heftig auf diese Posts. Die Amerikaner beschweren sich, dass die Jagderfolge der Briten derart grafisch (totes Wild) präsentiert werden; die Briten wiederum ärgern sich, dass ihre geliebte Rasse in Amerika zu Familienhunden "verkümmert" und nicht ausreichend gefordert wird. Man brauche sich so nicht zu wundern über die Verhaltensprobleme.


    Mein Hunter ist nun erst sechs Monate alt, aber ich merke schon sehr deutlich, dass er die Arbeit "braucht". Zum Einen, weil er während der Arbeit wahnsinnig viel Freude hat. Zum Anderen weil er wirklich sehr viel Energie hat. Im Alltag läuft er bereits Newtons normale Gassirunden mit; bei der Arbeit zeigt er bereits jetzt eine sehr gute Ausdauer. Während Newton (der ja auch einen Job hat und für einen SL-Labrador sehr temperamentvoll und bewegungsfreudig ist) nach unserem Tagesprogramm müde auf seinem Platz liegt, hat Hunter durchaus noch Energie um sich (altersentsprechend) mit diversen Dingen zu beschäftigen. Drinnen ist er aktiver als es Newton je war. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, ich würde NICHT zweimal die Woche mit ihm arbeiten, hätte ich hier sicher auch bald (spätestens im Erwachsenenalter) einen "Problemfall" mit Verhaltensauffälligkeiten.


    Von der Züchterin weiß ich, dass Brüder aus seinem Wurf nicht gearbeitet werden und es da bisher auch keine Probleme gibt. Wobei sie bei der Abgabe der Welpen schon ganz klar gesagt hat, welche Welpen aus dem Wurf gearbeitet werden MÜSSEN und welche nicht unbedingt.


    Nun meine Frage: Was meint ihr? Müssen Gebrauchshunde IMMER gearbeitet werden? Sind Verhaltensprobleme wirklich auf das Fehlen einer sinnvollen Beschäftigung zurückzuführen oder sind sie schlicht "Eigenheiten" der Hunde oder das Ergebnis mangelnder Erziehung? Falls ihr Züchter einer Gebrauchshunderasse seid: Würdet ihr eure Welpen auch in neue Zuhause geben in denen nicht mit ihnen gearbeitet werden soll?


    Ich bin gespannt auf eure Antworten und versuche mich solange mal an einer Gassirunde. Grippe... :ill:

  • Ich bin der Meinung wenn ich mir Arbeitshunde hole, egal in welche Richtung es geht, muss ich auch mit ihnen arbeiten. Wenn ich keinen Bock auf arbeiten habe muss ich mir eben was anderes holen. Alles andere ist dem Hund gegenüber nicht fair. Wobei ich auch finde dass man nicht unbedingt die Arbeit machen muss für die sie ursprünglich gezüchtet sind wenn es auch andere Möglichkeiten gibt. Beim Labrador z.b. Dummytraining statt Jagd.


    Im ersten Jahr finde ich sollte ein Hund vor allem Ruhe lernen. Aber spielerisch was machen, natürlich.

  • Ich denke gebrauchshunde wurden eben sehr lange auf etwas selektiert. Auf Arbeitseifer, Hartnäckigkeit oder was auch immer. Je nach Rasse und Verwendung ist dies unterschiedlich ausgeprägt, manche sollen kooperieren, manche sollen eigene Entscheidungen fällen, einige Hunde sind direkt am wehrhaften wild dran, andere nicht.
    Dass Hunde eine Aufgabe wollen ist ja nichts neues, Hunde die lange Zeit auf etwas selektiert wurden brauchen nun erst recht eine Aufgabe. Sonst suchen sie sich eine und die ist dann meistens nicht erwünscht. Daraus wird dann ein Problem für den Besitzer. Der ist dann nicht erfreut wenn sein Instagram Star corgi anderen in die Versen beißt oder wenn der schicke Weimaraner plötzlich Jogger stellt oder hetzt. Aber überraschend ist es eigentlich nicht. Kar auch innerhalb von einem Wurf entwickeln sich Hunde unterschiedlich. Der eine Bruder von Nova ist sehr nett, sehr charmant und freundlich. Eine Schwester dagegen ist sehr scharf. Natürlich erleichtert oder erschwert der grundcharakter den der Hund mitbringt die spätere Haltung. Mittlerweile gibt es ja bei vielen ursprünglichen Arbeitsrassen verschiedene Linien. Und ich denke dass die Show Linien wohl auch besser oder einfacher von Familien gehalten werden können. Jedoch muss man sich einfach klar sein was dass für eine Rasse ist und eben schon auch auslasten. Die Hunde haben ja immer noch Ansprüche.

  • Nein, ich wuerde und werde keinen Welpen je nur als Familienhund abgeben. WAS der Hund macht (also bzgl. 'Job'), ist relativ egal. Wobei es da auf den einzelnen Hund ankommt. Grundsaetzlich schliesse ich aber mal nix aus.
    Das liegt aber nicht nur an der Tatsache, dass es Gebrauchshunde sind. Das liegt auch daran, was fuer Hunde ich habe und zuechten werde.


    Fuer mich haengen Verhaltensprobleme sehr oft (aber nicht immer) mit Auslastung zusammen. Und zwar sowohl mit keiner/zu wenig Auslastung als auch mit zu viel davon!

  • Das, was bewegungsfreudige, reizempfängliche, arbeitswillige Hunde lernen sollten als Junghund ist, Ruhe auszuhalten. Ich glaub, dass der Fehler da liegt, einen sechs Monate alten Hund schon so regelmäßig "zu arbeiten" und zu glauben, er brauche das inkl mehr Bewegung, damit er bloß müde ist. Müdemachen kaschiert nur Führungsfehler, es behebt sie nicht.


    Ich bin zwar kein Freund davon, diese Hund komplett ruhig zu stellen, aber aus dem Post lese ich die "Probleme" (bei einem so jungen Hund sind es ja noch keine vom Besitzer gefühlten), die aus dieser Einstellung resultieren. Also, dass diese Hunde schon so jung eine Aufgaben brauchen würden. Ist in meiner Wahrnehmung und Erfahrung der größte Fehler - damit riskiert man eher einen Schaden beim Hund im Sinne von übersteuertem Verhalten


    Meine Gebrauchshunde (btw: Der Springer zählt mWn nicht zu den Gebrauchshunderassen, sondern ich glaube mit Arbeitsprüfung zu den Arbeitshunderassen, wenn ich recht informiert bin) bekommen zwar auch schon jung die Grundlagen für den Sport später vermittelt, aber die haben auch immer wieder mal ne Woche auf zwei nichts zu tun, außer "Junghund sein" - sich benehmen lernen, spielen, Langeweile aushalten.



    Dass ein echter leistungsgezogener Gebrauchshund eine Aufgabe braucht, steht für mich außer Frage. Dass ein lernbegieriger, bewegungsfreudiger Hund etwas zu tun haben sollte, finde ich auch wichtig - glücklichsein will jeder Hund. Aber ob das zwingend "knallharte Arbeit" sein muss, oder einfach eine sinnvolle Beschäftigung für Kopf, Nase und Beutetrieb in einem Rahmen, der auch für Menschen eine gesunde Ausübung des eigenen Hobbies ist, sei mal dahingestellt. Ich halte Überbeschäftigung für ein mindestens so großes, wenn in Deutschland nicht schon fast größeres Problem als Unterbeschäftigung. Zumal die meisten Leute dann gern übersehen, dass das Erlernen von Alltagstauglichkeit ebenso anspruchsvoll ist - wenn nicht gar anspruchsvoller.

  • Hier wird vielleicht mal entweder ein Dackel aus jagdlicher Zucht oder ein Vorsteher einziehen - aber nur unter der Voraussetzung, wenn mein Mann seinen Jagdschein fertig macht und den Hund wirklich dafür braucht und ausbildet.
    Sollte ich jemals doch die Muße, die Motivation und die Zeit haben, dass ich voll in den Hundesport Richtung IPO einsteige, wird hier mal ein Gebrauchshund einziehen. Sonst nicht.


    Ich mag meine zwei Hunde. Die Ältere will nicht mal immer, wenn sie soll. Die Jüngere kann immer, muss aber nicht. Und genau das ist die Art von Hund, die ich aktuell in meinem Leben beschäftigen und händeln kann, ohne dass es anstrengend für mich wird oder der Hund auf der Strecke bleibt.


    Hier wird also nur ein "Arbeitshund" einziehen, wenn er auch so ungefähr seinen Anlagen entsprechend gefördert werden kann.
    Trotzdem sollte jeder Hund mal langweiligere Perioden aushalten, ohne an die Decke zu gehen.


    Bei deinem Hund seh ich das anders, der ist noch zu jung und sollte vor allem lernen sich zurückzunehmen und erstmal halbwegs körperlich reifen, bevor ich mit "Arbeit" anfangen würde.

  • Ich habe nur eigene Erfahrungen mit meinen 2 verschiedene Gebrauchshunderassen.
    Meiner Meinung nach muss ein Hochzucht-DSH nicht unbedingt z.B. mit IPO ausgelastet werden damit es nicht zu Problemen kommt. Aber mit 2x Gassi um den Block ist er halt auch nicht zufrieden. Ein bisschen geistig und auch körperlich beschäftigt sollte er schon werden.
    Auch beim Dackel kommt es m.E. viel auf die Erziehung an ob man im Alltag Probleme damit hat oder nicht und nicht darauf ob er z.B. jagdlich ausgelastet wird.
    Ich glaube auch, dass es teils auf den Charakter des jeweiligen Hundes ankommt wobei ich bei noch keinem 6 Monate alten Gebrauchsshund feststellen konnte, dass der schon eine Art "Programm" braucht damit er angenehm zu händeln ist.


    Das sind meine Erfahrungen mit 4 DSH und 3 Dackeln.

  • Deine Frage war zwar an Züchter gerichtet, @Murmelchen hat ja auch entsprechend geantwortet, aber da hier im Forum nicht allzu viele Züchter anwesend sind dieser Rassen, nehme ich mal an, Du meinst die Besitzer von Arbeitshunderassen allgemein. ;)


    Ich habe einen LZ DSH mit 9 Monaten übernommen und er war in den ersten Monaten komplett überfordert worden, war dermaßen drüber, dass er nicht mal ne Beißhemmung kannte, Alltag völlig fremd, alles war schlimm :ugly: (was sicherlich auch der Pupsertät geschuldet war |) )
    Speedy hat eine verformte Pfote durch heftige Beißereien des ersten Rüden beim Vorbesitzer. Dadurch verlor er den "Reiz" des Sporthundes, weil nicht mehr einsetzbar.
    Also kriegt man einen durchgeknallten LZ-DSH, der keine Ruhe kennt und bei Beschäftigung völlig durchknallt.
    Hier wurde er komplett runter geholt, Spielzeug Verbot, da Junkie (komplett für 3 Monate) und erstmal nur Schleppleine.
    Da ich nicht wusste, was auf mich zukommt, hatte ich mir keinen Plan zurecht gelegt, den habe ich täglich auf ihn abgestimmt.
    Er ist jetzt 5,5 Jahre, hat keine "Arbeit" und ist ein ausgeglichener Hund, auch mit 30 Minuten laufen am Tag.
    Seit August hat er sozusagen einen "Job". Er geht mit mir ins Heim und wir sind zusammen Nachtwächter. Er ist total entspannt dort, immer mit einem Ohr wach und nach den 9,5h pennt er wie ein Toter und erholt sich von dem "Stress".


    Wenn ich mit ihm Sucharbeit mache, dann blüht er auf, dann ist er mit Feuereifer dabei, aber ich muss bei ihm immer aufpassen, dass er nicht zu hoch puscht, dann kommt er schwer wieder runter.
    Aber inzwischen kennen wir uns gut genug, um den Punkt abzupassen, wo Schluss ist :bindafür:
    Wir hatten die Nacht Dienst, er war gerade kurz zum Pinkeln draußen, hat zu futtern bekommen und liegt jetzt wieder im Bett :sleep:

  • Was meinst du denn mit "Arbeit"? Also wirklich Arbeit im Sinne eines Diensthundes? Oder auch "simulierte Arbeit" durch Hundesport?

    Im Prinzip hatte ich eher Hundesport im Blick, aber natürlich kann man auch gerne zum Thema Diensthund schreiben.

    Meine Gebrauchshunde (btw: Der Springer zählt mWn nicht zu den Gebrauchshunderassen, sondern ich glaube mit Arbeitsprüfung zu den Arbeitshunderassen, wenn ich recht informiert bin) bekommen zwar auch schon jung die Grundlagen für den Sport später vermittelt, aber die haben auch immer wieder mal ne Woche auf zwei nichts zu tun, außer "Junghund sein" - sich benehmen lernen, spielen, Langeweile aushalten.

    Man baut das ja mit dem Welpen langsam auf (in der Regel) und je jünger er ist, desto weniger kann er ja. Daher glaube ich auch nicht, dass ein junger Hund überfordert ist, wenn man ihn direkt von Welpe an dafür ausbildet.


    Natürlich macht Hunter im Training keine große Suche mit drei Versteckpersonen auf 30.000 qm. Schlicht, weil er es noch gar nicht kann. Wir sind im Moment auf dem Stand, dass er mich sucht und relativ rasch bestätigt wird, wenn er schön Abstand hält. Dass da sein Pensum weniger ist, als das eines vollständig ausgebildeten Hundes, ist ja klar. Vielleicht habe ich in diesem Zusammenhang den Begriff "Arbeit" auch unglücklich gewählt.

    Trotzdem sollte jeder Hund mal langweiligere Perioden aushalten, ohne an die Decke zu gehen.

    Das ist wünschenswert und ich denke auch kein Problem, wenn der Hund sonst sinnvoll beschäftigt wird. Aber ich denke gerade an die vielen Hunde in den USA, die nicht Gassi gehen und den Großteil des Tages in Boxen gehalten werden. Und solche Beispiele gibt es eben in dieser Facebook-Gruppe leider zuhauf. :verzweifelt:

    Bei deinem Hund seh ich das anders, der ist noch zu jung und sollte vor allem lernen sich zurückzunehmen und erstmal halbwegs körperlich reifen, bevor ich mit "Arbeit" anfangen würde.

    Also, dass ich von Welpe an mit dem Training in der Rettungshundestaffel anfange, stand für mich außer Frage. (Ich vermeide das Wort "Arbeit" absichtlich, weil es offenbar missverständlich gewählt war.) Das hat mich die Erfahrung mit Newton einfach gelehrt. Und so, wie sich Hunter bisher im Training zeigt, fühle ich mich darin auch 100%ig bestätigt. Worin siehst du den Vorteil, erst mit einem erwachsenen Hund das Training zu beginnen?


    Und gerade beim Training lernt er auch sich zurückzunehmen. Es gibt eigentlich kein besseren Ort das zu lernen als dort. So hat er relativ schnell verstanden, dass er abgemeldet ist und zuschauen muss, wenn andere Hunde an der Reihe sind. (Mittlerweile ist er natürlich alt genug, dass er nach seinem Durchgang in die Box kommt, wie alle anderen.)

    Deine Frage war zwar an Züchter gerichtet, @Murmelchen hat ja auch entsprechend geantwortet, aber da hier im Forum nicht allzu viele Züchter anwesend sind dieser Rassen, nehme ich mal an, Du meinst die Besitzer von Arbeitshunderassen allgemein.

    Nein, nein, die Frage war nicht nur an Züchter gerichtet. Es können und sollen gerne alle beitragen.

    Ich habe einen LZ DSH mit 9 Monaten übernommen und er war in den ersten Monaten komplett überfordert worden, war dermaßen drüber, dass er nicht mal ne Beißhemmung kannte, Alltag völlig fremd, alles war schlimm (was sicherlich auch der Pupsertät geschuldet war )

    Das ist natürlich übel. Ich habe auch mal so einen Labbi getroffen, dem es ähnlich ging. Der war mit neun Monaten schon kastriert, weil er angeblich solche Probleme gemacht hat. Dabei musste er dreimal wöchentlich ins Dummytraining, täglich 10km joggen mit ihm und zwei große Gassi-Runden mit ihr. Der Hund war völlig durch und ein einziges Nervenbündel. Tat mir richtig leid. :verzweifelt:

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