Was haltet ihr von Resozialisierung bei unsicheren Hunden?

  • Na ja, in den meisten Fällen ist es ja nicht damit getan, den Hund in ein „Resocamp“ zu stecken und hinterher ist eitel Sonnenschein.
    Meistens erfolgt ja dann anschließend noch weiteres Training.


    Und dann würde ich eher das Ganze individuell betrachten, Grad der zu leistenden Resozialisierung, ob der Halter das überhaupt so leisten kann, ob es ansonsten für den Hund über Monate Stress bedeutet, bevor man überhaupt mal in den richtigen Kontakt kommen kann, gehts um Hund/Hund, Hund/Mensch, Hund/Hund/Mensch, befinden sich Hund und Mensch schon in festgefahrenen Beziehungsmustern, wie blank liegen die Nerven schon beim Menschen, WAS für ein „Camp“ ist es dann (Trainer, Haltung, Training) etc. Passen muss das ja auch alles.
    :ka:


    Per se ablehnen würd ich es also nicht. =)

  • Er lebte insgesamt 3 Wochen am Stück und immer mal wieder für ein Wochenende bei der Trainerin und ihren Hunden.

    Damit hätte ich gleich mehrere Probleme:
    Erstens entstehen Unsicherheiten im Umgang mit Artgenossen ja gerne durch schlechte Erfahrungen und ein zu hohes Maß an "die regeln das unter sich". Bei einer solchen Kur werden die Hunde genau dieser Situation aber über Wochen ausgesetzt. Dass die Trainerin ihre Gruppe während des ganzen Zeitraums unter Kontrolle hat und sie gezielt lenken kann, kann ich nicht glauben. Die muss ja auch ihr Geld verdienen und schlafen.
    Wenn ein Hund ein typisches Mobbingopfer ist, sehe ich die Gefahr als groß an, dass er nach 3 Wochen nicht sozialisiert ist, sondern kapituliert hat, weil er in einer Tour eins auf den Deckel bekommen hat (und dazu muss es keine direkten körperlichen Übergriffe geben).


    Zweitens sind die Hunde der Gruppe dauerhaft ausgesetzt. Um lernen zu können, brauchen Hunde aber auch Rückzug, Abstand und Ruhephasen, in denen sie Erlebnisse sacken lassen, verdauen und sich erholen können. Wie das in diesem Umfeld funktionieren soll, erschließt sich mir nicht.


    Drittens habe ich an meinen Hunden gesehen, wie lange es dauert, bis zwei Hunde so zusammenwachsen, dass sie als Team funktionieren und sich auch stabilisieren können. Bindung ist nichts, was sich in wenigen Wochen aufbaut. Und unabhängig davon wird gerade in Themen, in denen es um Tierschutzhunde geht, immer wieder darauf hingewiesen, dass es Monate dauern kann, bis Hunde "ausgepackt" haben und angekommen sind. Ob ein Hund in dieser Phase, in der er sich zurückhält und beobachtet, tiefgreifende Lernerfahrungen macht oder sich nur anpasst, um klarzukommen, sei dahingestellt. Ebenso, ob die Erfahrungen insgesamt so positiv sind, dass er mit einem Gewinn aus dem Projekt rausgeht.


    Viertens sind nicht alle Hunde nett und der Lebensalltag des Hundes besteht nicht aus festen Gruppen/ sozialen Gefügen, sondern aus zufälligen Begegnungen mit fremden Hunden, bei denen der Hund angeleint ist und die auch mal richtig blöd sein können. Genau dafür bekommt er durch die Kur aber keine Strategie.


    Positive Erfahrungen mit Artgenossen zu sammeln finde ich gerade für unsichere Hunde wichtig. Das war und ist nach wie vor ein wesentlicher Teil des Trainings mit meinem Hund. Aber kontrolliert, in einem Tempo, in dem er verarbeiten kann und profitiert und mit Hunden, die ich gezielt aussuche, weil sie nett, sozial und tiefenentspannt sind. Und ebenso, wie er gelernt hat, dass es viele richtig nette Hunde gibt, hat er gelernt, dass es blöde Hunde gibt, an denen ich ihn unbeschadet vorbei bringe.
    Ohne die gezielten Erfahrungen mit "netten Hunden" wären Fortschritte sicherlich nicht möglich gewesen, aber dass mein Hund die auch mit einer solchen Kur gemacht hätte, wage ich zu bezweifeln (zumal er während eines aus anderen Gründen notwendigen, vorübergehenden Aufenthalts in einer wirklich sorgfältig zusammengestellten Gruppe erst richtig am Rad gedreht hat, weil er total überfordert war.)

  • Mit Ayu bin ich nachdem sein Auftreten anderen Hunden gegenüber nicht mehr nur aggressiv war, sprich er konnte sich in geeigneten Situationen, auch mal seitlich zu ihnen positionieren, seine Rute lockerer tragen, sich entspannt hinlegen usw. einige male auf eine Hundewiese gefahren.


    Mein Freund ging vor und klärte ab ob es mit den Hunden die da waren passen würde und wenn es so war, kam ich mit Ayuin nach.
    Beim ersten mal musste ich ihn zu Beginn recht lange halten und beruhigen ehe ich ihn los lassen konnte, bei den späteren Besuchen war es viel leichter.
    Ayu trug dabei einen Maulkorb. Aber schon ab dem zweiten Besuch sah es garnicht mehr so aus als ob er ihn, wenn überhaupt noch, länger als zwei Minuten lang hätte tragen müssen.
    Diese Besuche haben uns im Alltag enorm weit voran gebracht!
    Seine Aufregung bei Hundesichtungen und die Distanz die er zu anderen Hunden brauchte um klar zu kommen, auf einen Bruchteil reduziert!
    Leider waren zT sehr schräge Leute auf der Wiese unterwegs und so kam es zwei mal zu Situationen, die ich unmöglich und sehr heikel fand, so dass ich entschied diesen Ort nicht mehr zu besuchen.
    Ich hab mir in der Folgezeit ziemlich den Kopf zerbrochen wo wir zusammen mal vielleicht 2 Wochen lang hin fahren und er sich in einer Hundegruppe aufhalten könnte. Allein hätte ich ihn nicht weggegeben.
    Aber ich fand nichts geeignetes und unser Training ging nun auch so super voran, dass es mir dann irgendwann auch nicht mehr nötig schien -bis er, an der 10m Leine, attackiert und mehrfach gebissen wurde, was uns extrem zurück geworfen und damit ein neues Kapitel für uns aufgeschlagen hat.


    Im Fazit würde ich sagen: Ja, die Interaktion in einer Hundegruppe kann, wenn alles passt, super schnell ungeheuer viel positives bewirken!
    Ayu, ohne die Möglichkeit bei seinen Bezugsperson Schutz und Halt zu finden, so heftigen Erlebnissen auszusetzen, schiene mir nicht vorstellbar.

  • Na ja, in den meisten Fällen ist es ja nicht damit getan, den Hund in ein „Resocamp“ zu stecken und hinterher ist eitel Sonnenschein.

    Habe ich so gar nicht gelesen.

    Er lebte insgesamt 3 Wochen am Stück und immer mal wieder für ein Wochenende bei der Trainerin und ihren Hunden. Natürlich wurde mit ihm auch viel geübt. Auch zusammen mit der Halterin.

    Wenn ich das richtig verstehe, wurde an allen Fronten gearbeitet.


    Insgesamt finde ich es toll, dass die Trainierin offensichtlich nach einer für den Hund guten Lösung gesucht hat. Ob sie das immer so macht oder dieses Programm individuell auf diesen Hund geschneidert wurde, wissen wir ja nicht. Aber es war in diesem Fall wohl passend.


    Dass man Hunde zum Training weggibt, ist nicht bloß aus Amerika hierher gekommen. Im Bereich der Arbeitshunde ist das absolut gang und gäbe. Ob das funktioniert, hängt in meinen Augen davon ab, was das Problem des Hundes ist und wie die Umsetzung ist.


    Manchmal beherberge ich in meinem funktionierendem "Rudel" für Freunde Hunde oder ich gehe zusammen mit mit anderen Spazieren - Kundenhunden oder Freunden mit Besitzer dabei. Gerade bei den unsicheren Hunden merkt man wie sie sich über einen längeren Zeitraum zu entspannen beginnen. Unter meinen Hunden herrscht keine Anspannung, die kennen sich seit Jahren, leben zusammen, es ist alles gechillt. Das ist für Sozialisierung noch mal ein ganz anderer Effekt als eine zusammengewürfelte Truppe, die sich zeitweise trifft.

  • @flying-paws: das bezog sich eher aufs Generelle, was der Millan ja auch wohl suggeriert bzw bei dem es angeblich so sein soll- Hund abgeben, resozialisieren LASSEN und anschließend ist alles Tutti.


    Ich denke, dass man da vielleicht noch mal unterscheiden sollte: ist das Camp der einzige Baustein oder wird an allen Fronten gearbeitet und es ist nur ein Baustein...
    :ka:

  • Nach mehrfacher Erfahrung halte ich von stationären Aufenthalten genau Null.


    Im besten Fall kostet es einen Haufen Geld und hat keine nachhaltige Wirkung, weil eben nicht nur der Hund sondern auch der Halter lernen müsste und das geht nicht in dem Crash Kurs, den es nach diesen "Erziehungsurlauben" gibt.
    Im schlimmsten Fall kommt der Hund mit einem noch größeren Knall zurück, weil die Methoden nicht auf den Hund gepasst haben, man ihn aber trotzdem durchs Programm geschleift hat.

  • Ich denke, dass bei unsicheren Hunden viel mehr die "Führung" des Hundebesitzers etwas ausmacht in welche Richtung sich der Hund entwickelt und dass so eine Resozialisierung dauerhaft gar nichts bringt wenn der Hund danach zum Besitzer zurückkommt und der sich weiterhin "falsch" im Umgang mit dem Hund verhält.

  • Ich hatte letzten Spätsommer wegen Klinikaufenthalt den Hund für fast 5 Wochen in einer guten Tierpension und war wirklich positiv überrascht über einige neu erworbene "Sozialkompetenzen".

    Von solchen Erlebnissen habe ich auch bereits gehört. Da stellte sich mir die Frage, wie groß der Anteil der Pensionsbesitzer daran war oder ob nicht doch der Hund Glück hatte, dass er einer Hundegruppe zugewiesen wurde, die sich gegenseitig viel geben konnte.



    Sprich: wenn der Halter aus der Gleichung entfernt wird, also der Hund von einer anderen Person in ein Rudel integriert wird, trägt das im schlimmsten Fall kein bisschen zur Lösung des Problems bei, da der Halter und die Dynamik zwischen diesem und seinem Hund nach wie vor dieselbe bleibt.

    Da stimme ich dir voll und ganz zu. Deshalb war ich auch so angetan davon, dass die Halterin nicht einfach mit Übergabe des Hundes aus ihrer Verpflichtung entlassen wurde. Sie und die Trainerin arbeiteten aber bereits eine Weile zusammen, als die Entscheidung für die Resozialisierung fiel.
    In der Abwesenheit ihres Hundes bekam sie dann Hausaufgaben (Literatur) wie auch praktische Aufgaben (Anwesenheit auf Hundeplatz ohne Hund, dafür viel Beobachtung, HInterfragen und Analyse der eigenen Körpersprache). Hinzu kamen ab etwa der dritten Woche Trainingseinheiten mit ihrem Hund unter Aufsicht und vorher schon Übungseinheiten mit einem der Hunde der Trainerin.


    Ich musste so lachen, als sie mir erzählte, dass sie für eine selbstbewusstere Ausstrahlung beim Spaziergang über einem Kopfhörer deutschen HipHop hörte und das als eingefleischter Klassik-Fan. :lol:


    Ich denke bei den beiden hat es deshalb so gut funktioniert, weil die Besitzerin schon ganz ordentlich Arbeit vorgelegt hatte, bevor sie sich dazu entschied ihren Hund für weiteres außer Haus zu geben. Für mich wäre ein solcher Schritt im Moment auch gar nicht denkbar, eben weil ich genau weiß, dass ich noch immer ein großer Faktor bei der Unsicherheit meines eigenen Hundes bin. Aber sollte dies irgendwann nicht mehr so sein, dann würde ich meinen Hund, vorausgesetzt es liefe ähnlich kompetent ab und eine solche Aktion wäre für ihn zumutbar, für einige Zeit einer Trainerin mit funktionierendem Rudel überlassen.


    Ob ich damit nur schwer umgehen könnte, weil er ja dann mal eine Zeit weg wäre, finde ich sehr zweitrangig.

  • Ich halte von so etwas bei dem beschriebenen Problem (auch) nichts. Wenn irgendwer in ein "Trainingscamp" sollte, dann der Halter. Denn der "auffällige" Hund lebt mit seinem Halter in dessen alltäglicher Umwelt, nicht mit einem Trainer...

  • Im Wiener Umland gab (oder gibt es noch? keine Ahnung) einen Trainer, der das ähnlich wie CM machte.
    Problemhunde (also aus Sicht des Halters und des Trainers) wurden für eine Weile in sein "Rudel" gesteckt und dort "resozialsiert".
    So manch ein Hund kam dort wohl eher traumatisiert wieder raus, wenn man den Berichten glauben darf. Ich meine einer wurde sogar als "hoffnungsloser Fall" ohne Einverständnis des Halters eingeschläfert.


    Wenn man da als Trainer nicht weiß was man tut und dafür nicht die richtigen Hunde hat, kann das böse ausgehen.




    Mit Finya habe ich damals den klassischen Weg gewählt.
    Wir waren bei einer Trainerin, die ihre eigenen Hunde zum Resozialisieren eingesetzt hat. Zumindest zu Beginn haben wir nur mit ihrem Rüden geübt, der für sowas einfach ein 6er im Lotto ist und Finya unglaublich viel geholfen hat.
    Später kamen dann die anderen Hunde dazu und Finya hat mit der Zeit wieder immer mehr an normaler Kommunikation gezeigt.
    Als wir damit angefangen haben, kannte sie im Bezug auf andere Hunde eigentlich nur noch festfrieren oder weglaufen und dabei jeweils schreien.


    Ich hätte Finya niemals jemand anderem zum Training gegeben, denn ich musste ja auch viel lernen und wie soll ich das, wenn ich beim Training nicht dabei bin?

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