Hundehaltung früher...

  • Vielleicht etwas spitzfindig aber nicht so unwahr...



    Der Sonntagsfahrer: Freilaufende Hunde
    Ich bin auf dem Lande aufgewachsen und wohne heute mitten in der Stadt. Dazwischen liegen einige Jahrzehnte und Erfindungen wie der Fahrradhelm und die Kacktüte für Waldi. Die Domestizierung von Mensch und Tier hat merklich an Fahrt aufgenommen, was das Leben sicherer und rücksichtvoller gestaltet. Theoretisch zumindest. Praktisch haben sich die Risiken wohl eher verlagert, unsicher und rücksichtslos geht’s immer noch zu, nur halt weniger beim Fahrradfahren oder Gassi gehen.
    Könnte man einen kleinen Jungen, der 1960 auf dem Land aufwuchs, direkt in eine heutige Großstadt beamen, so würde sich das Kerlchen doch sehr wundern. Selbst auf dem Dreirad sind Kinder schon mit Helm unterwegs. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch ohne Dreirad mit Helm unterwegs sind. Fahrradhelme gab es damals noch gar nicht. Selbst die Fahrer ausgewachsener Motorräder bevorzugten es oben ohne, ein wahrer Kerl war ohne Helm unterwegs. Mit verwegenem Blick, filterloser Kippe im Mundwinkel und drei Schnaps als Zielwasser.
    Eine Alkohol-Grenze wurde erst 1953 eingeführt – und die lag mit 1,5 Promille im beruhigenden Bereich der Volltrunkenheit. Die Geschwindigkeits-Begrenzung innerorts folgte dann 1957, es dauerte aber einige Jahre, bis das fahrende Volk sich damit abgefunden hatte. Eine Helmpflicht gibt es erst seit 1976. Das Verhältnis zum Risiko möchte ich einmal als entspannt bezeichnen. Im Internet gibt es dazu nette Erzählungen unter dem Titel „Wie konnten wir das überleben?“. Wobei man fair sein muss: Viele haben es nicht überlebt. 1960 kamen in Deutschland etwa 15.000 Menschen im Straßenverkehr um, heute sind es etwa 3.000.
    Ich will die alten Zeiten nicht verklären: Vieles hat sich zum Positiven geändert. Gegen Fahrradhelme und strenge Umweltvorschriften ist sicher nichts einzuwenden. Dennoch sind viele meiner Generation dankbar, relativ frei aufgewachsen zu sein. Dazu gehörte auch die Freiheit Risiken einzugehen, Fehler zu machen, Gemeinheiten zu ertragen und Niederlagen einzustecken.
    Kein Politiker fühlte sich berufen, uns vor einseitiger Ernährung zu schützen. Das Verspeisen von Fliegen oder Würmern galt unter Jungs als erlesene Mutprobe. War auch nicht schlimmer als der Lebertran, den man uns gegen unseren expliziten Willen einflösste. Kein einfühlsamer Psychologe flankierte unsere Erziehung, Lebertran musste reichen. Bei Missetaten musste mit Konsequenzen gerechnet werden. Wurde bei Bubenstücken die Polizei hinzugezogen, so hatte diese erzieherische Prokura und immer recht – genau wie unsere Lehrer. Beide waren sehr unsensibel. Es gab noch keine Betreuungs- und Beratungsindustrie und keine Eltern, die Erziehung mit fürsorglicher Sicherheitsverwahrung verwechselten. Vielleicht liegt das daran, dass immer mehr Erwachsene, sich um immer weniger Kinder kümmern, wahlweise um Hund und Katz.
    Der Nachkriegs-Hund war ein relativ selbstbestimmtes Wesen
    Auch als Haustier lebte man seinerzeit wild, aber gefährlich. Der Nachkriegs-Hund war ein relativ selbstbestimmtes Wesen, besonders in ländlichen Regionen. Zum Gassi gehen benötigte er weder Herrchen noch Frauchen, sondern erledigte dieses Geschäft im Alleingang. Allgegenwärtige Hundescheiße gehörte zu den akzeptierten Lebensrisiken. Morgens wurde das Tier durch die Haustür in die Freiheit entlassen und kam dann irgendwann zurück, mitunter ziemlich zerrupft. Draußen galt es im Kampf mit Konkurrenten und Automobilen zu überleben.
    Wir besaßen damals einen Drahthaardackel mit dem Namen „Lumpi“, den mein mit Holz handelnder Vater beim Kartenspielen von einem Förster gewonnen hatte. Ob Alkohol im Spiel war weiß ich nicht, ich nehme es aber an. Der Dackel wechselte den Besitzer, nicht aber seine Gewohnheiten. Zu denen gehörte beispielsweise jeden Samstag in den benachbarten Hühnerställen eine Henne zu erlegen.
    Er apportierte die Beute fachgerecht und legte sie anschließend meiner Mutter vor die Haustür. Gleichsam als Morgengabe aus dem Dackelland. Die Nachbarn nahmen es nicht übel, sondern kamen routinemäßig vorbei um zwei Mark für eine Henne zu kassieren. Mitunter wurde allerdings auch versucht Lumpi Hühner unterzujubeln, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Wir wußten aber: Wenn Lumpi eine Henne killt, dann bringt er sie auch mit. Der lässt nix liegen.
    Über den jeweiligen Standort unseres vierbeinigen Freundes wussten wir meisten gut Bescheid, denn gegenüber residierte das örtliche Taxiunternehmen. Wenn Lumpi mal länger als einen Tag fernblieb, fragten wir dort nach, wo er von den Taxifahrern denn zuletzt gesichtet worden war. „Heute morgen hat er in Wengerohr einem Foxterrier ein Ohr abgebissen“ lautete dann eine typische Auskunft. Es war also alles in Ordnung.
    Zur Schulung seines Jagdtriebes ruhte der klassische Land-Hund der 60er-Jahre in einem Hinterhalt an der Straße. Von dort aus attackierte er dann überfallmässig Fahrrad- und Motorradfahrer und biss ihnen nach Möglichkeit in die Wade. Das Tier trug grundsätzlich keine Steuermarke. um eventuellen Opfern die Identifikation und Haftbarmachung des Besitzers unmöglich zu machen.
    Die Einstellung der Hundebesitzer zu ihrem Vierbeiner war nicht ganz so sentimental wie heute, die Konsultation eines Tierarztes erfolgte nur in sehr seltenen Fällen, wenn überhaupt. Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass so mancher Lumpi das Hundeleben in den 60er-Jahren bevorzugen würde.



    von Maxeiner - Der Sonntagsfahrer: Freilaufende Hunde – DIE ACHSE DES GUTEN. ACHGUT.COM

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