Ist Hundeerziehung heutzutage zu verkopft?

  • Huhu,


    ich gehöre ja zur nicht mehr ganz jungen Generation und ich habe den Wandel in der Hundeerziehung miterlebt.
    Es geht mir nicht um ein "damals war alles besser oder schlechter", aber manches wünsche ich mir für mich selbst
    wieder zurück.
    Nämlich einfach nur sein mit dem Hund.
    Mein erster Hund war gegen Menschen und Hunde aggressiv. Ich habe viel geübt mit ihm, aus dem Bauch heraus,
    ich habe sicher auch viele Fehler gemacht, aber das Ergebnis war ein megacooler Hund, sehr souverän.
    Bei meinem Husky verwendete ich das Supersignal lange bevor das nun in ellenlangen Lerntheorien oder teuren Seminaren
    thematisiert wird und ab dem alter von ca 5 Jahren konnte ich meinen Sichtjäger von jedem Wild abrufen und in Freifolge
    durch die Kaninchen gehen, die bei uns in der Gegend leben.


    Mit Chilly übe ich sehr viel mit Clicker, ich gehe mit ihm, weil er sehr an der Leine pöpelt, in einen Kurs, der nach neuesten
    Erkenntnissen positiv arbeitet.


    Und dennoch habe ich das Gefühl, bei dem ganzen fehlt etwas: Nämlich ich und das authentische dahinter. Irgendwie wird alles
    beclickt und belohnt, was eigentlich selbstverständlich ist. Hm, wie soll ichs formulieren. Früher bin ich einfach mit meinen Hunden gegangen,
    war der Radius zu groß, bin ich umgedreht. Punkt. Hund kam nach. Kein großes Hallo. Ich war ignoranter und ich war souveräner. Weil mein
    Umgang mit Hunden normaler war.


    Heute ist Chilly kurz abgezischt, einem Eichhorn hinterher und ich war das erste Mal richtig sauer. Er kam nach ca. 1 Minute wieder, ich hab ihn kommentarlos
    angeleint und bin Richtung Auto.
    Auf dem Weg zurück ist eine Engstelle und genau da sind 5 freilaufende Hunde. Ich sag zu normalerweise Leinenpöpler Chilly ein "Weiter", in meinem
    Inneren das Gefühl 'Hund, Du gehst jetzt einfach ohne irgendein blödes Tamtam und auch ich geh einfach ohne dieses therapeutische Geschisse und siehe da,
    Chilly ging komplett normal an den Hunden vorbei.
    Am Ende nochmal 3 Schäferhunde auf der anderen Straßenseite, ich geh einfach, die Hunde keine 10 Meter von uns entfernt, und Chilly geht einfach, ohne
    aufregen, ohne Drama.
    Ich denke, weil ich einfach mal wieder authentisch war, sprich, meine eigene Überzeugung lebte und nicht an Lerntheorien, Distanz, Clicker etc. dachte.
    Weil ich mir auch dachte, und nun ist Schluß, ich möchte einfach wieder wirklich kommunizieren mit dem Hund, so wie ich es früher gemacht habe, mehr
    Gespür/Intuition, wie auch immer man das nennen mag.


    Irgendwie geht das alles unter bei all der Theorie. Natürlich sind all die Fortschritte in den Erkenntnissen über Hunde wichtig und es ist
    wichtig den Menschen gewaltfreie Wege aufzuzeigen. Aber es ist eben doch auch die Beziehung, die Stimmung, wie man sich gegenüber dem Hund darstellt,
    relevant.


    Was meint Ihr?

  • Nämlich einfach nur sein mit dem Hund.

    So ist es hier.Ich habe noch nie "erzogen" mir war nur wichtig,das der Hund kommt,wenn ich ihn rufe.Das hat auch ohne Anleitung oder Ratgeber funktioniert,ohne all das,wovon heutzutage jeder spricht.


    Oft vergisst man das "Gemeinsam mit dem Hund arbeiten und nicht gegen ihn"


    Die Momente ohne Training,ohne das jedes Kommando sitzen muss und ohne die gelernten Dinge in den Alltag einzubringen,einfach ohne verkrampft sein zu leben fehlt.

  • Es war nicht alles schlecht wie man es früher gemacht hat, nämlich einfach mal nach Bauchgefühl und nicht nach irgendwelchen "Anleitungen".
    Ich habe in den über 3 Jahrzehnten meiner Hundehaltung auch einige Veränderungen mitgemacht, hab aber festgestellt, dass nicht alles so toll und sinnvoll ist wie es oftmals angepriesen wird.
    Ich fahre mit einem Mischmasch-Erziehungsstil (viel nach Intuition) recht gut.

  • Ich habe mit Newton bereits die verschiedensten Dinge ausprobiert. Herkömmliche HuSchu mit Schnauzengriff und Unterwerfung, Natural Dogmanship, Clickern, Wattebausch-Werfen,...


    Das Gelbe vom Ei war nichts davon.


    Ich habe mir von jedem Ansatz die Dinge herausgepickt, mit denen wir positive Erfahrungen gemacht und die bei uns funktioniert haben.


    Der nächste Hund (wann immer er einziehen wird) wird weder eine Welpen- noch eine Hundeschule von innen sehen. Maximal eine offene Übungsgruppe für Dummy.


    Durch meine Erfahrungen mit Newton weiß ich nun ganz gut, wie was laufen kann und werde mich auf diese Erfahrung verlassen.

  • Hallo :winken:


    Nun, es ist nicht jedem gegeben, aus dem Bauch heraus intuitiv richtig zu kommunizieren. Ich zum Beispiel profitiere sehr davon, über Lerntheorie, Kommunikationsforschung und andere "verkopfte" Geschichten etwas von der Welt der Tiere und meines Hundes zu erfahren. Und das Gelernte dann mit meinen Erfahrungen abzugleichen und anzureichern. In sehr guten Augenblicken gelingt mir ein gefühlsstarker intuitiver Zugang zu meinem Hund, aber das klappt eben nicht immer - dazu bin ich eben schon zu "erwachsen und zivilisiert" - leider ist das so.


    Und da meine Umwelt - in der heute viel mehr Hund vorkommen als früher (so scheint es mir jedenfalls) stets gut erzogene und unauffällige Hunde erwartet, habe auch ich viel ausprobiert, um das "hinzubekommen". Es gibt viele Wege nach Rom, da muss jeder seinen eigenen finden. Das hängt sicherlich auch davon ab, welche Rasse man führt, welche Erfahrung man hat, welches Leben man sich aussucht, wie der eigenen Charakter und der des Hundes gestrickt ist.


    Ich finde es auf jeden Fall shr gut, wenn man bei all den Angeboten rund um die Hundeerziehung, Beschäftigung und Co immer mal wieder reflektiert und sich fragt, ob es zu einem selbst und dem Hund passt! :dafuer:

  • Mir ist es oft aufgefallen,beim beobachten von anderen Menschen,das Dinge und die eigenen Moralvorstellungen versucht werden in den Hund reinzukriegen,
    Ob es jetzt schreien ist,zerren an der Leine oder sogar Gewalt,es muss sitzen,obwohl dieser Hund das alles gar nicht will.


    Er muss das aber tun,weil der Mensch gut dastehen will.Dinge,die er nicht braucht,die Mensch nicht kann,somit Hund auch nicht verstehen kann,unsensibel ohne Lebensfreude muss der Hund das aber tun,weil Mensch das so gesagt bekommen hat.


    So kann man sich die Hundehaltung natürlich selber zum Kampf machen,die Rollen sind klar verteilt und ich habe manchmal das Gefühl,es geht nicht um die Freude in der Hundehaltung,sondern um Machtspielchen und Zwänge der heutigen vorgeschriebenen "Erziehungswelt"


    Da halte ich mich klar raus,dafür habe ich meine Hunde zu kurz,um uns das Leben unnötig zu erschweren.Ihre Anwesenheit bereitet mir Freude,sie bereichern mein Leben,mehr passiert bei uns nicht.

  • Ich gehöre auch zur nicht mehr ganz jungen Generation und zurückblickend kann ich sagen, dass sich Hundehaltung und Hundeerziehung sehr verändert hat.


    Heute werden Hunde oft nach der Optik angeschafft und viele Hundehalter kommen mit dem Charakter des Hundes nicht mehr zu recht. Entweder Abgabe - was eine Chance für so ein Tier ist -, oder man probiert selbst - bis der Leidensdruck groß genug ist - und anschließend ruft man Trainer nach Trainer auf, weil der soll es jetzt richten. Manchmal klappt die "Anpassung" und manchmal führen Hund und Hundehalter beide jahrelang ein angespanntes Leben. Von Hundefreundschaft kann man da nicht mehr sprechen.


    Die Erziehung selbst hat sich sehr gewandelt. Heute ist es nahezu Pflicht mit dem Hunde Welpenschule, Junghundeschule, Kurse und vor allem Trainer zu verpflichten. Das mag für manche Menschen sinnvoll erscheinen, ist aber gängiger Trend geworden. Schon eine Prestigefrage! Manche Hundehalter können selbst nicht mehr entscheiden, geben die Verantwortung der Erziehung an andere ab.


    Des weiteren ist oft ein Zeitdruck des Hundehalters festzustellen - da frage ich mich, warum noch die Anschaffung eines Hundes, wenn die Zeit eh knapp ist, wenn nicht wirklich Zeit für den Hund da ist?


    Kopflose Hundehalter - so würde ich es nicht bezeichnen, aber Hundehalter die den Bezug zu ihrem Hund nie gewonnen haben, oder verloren haben, weil man "verbissen" nach dem perfekten angepassten Hund schielt und dabei einfach selbst den Überblick verliegt.

  • Ich habe den Wandel in der Art und Weise, wie man mit Hunden umgeht und sie erzieht, selbst auch erlebt und bin ganz froh über diese Entwicklung.
    Die früheren Ansätze basierten für mein Empfinden regelmäßig auf der Annahme, dass Hunde die Weltherrschaft an sich reißen wollen, dass die Motivation fast jedes Verhaltens Respektlosigkeit ist und mit Strafe beantwortet werden muss.


    Ich erinnere mich noch gut an die erste Trainerin, die mir als Kind begegnet ist und die meinen damals nicht leinenführigen Hund an einem Kettenhalsband in der Luft aufhängen wollte, damit er nicht mehr zieht. Oder an das Training der Stubenreinheit, dass darauf basierte, dass man den Hund mit der Nase in seine Pfütze oder seinen Haufen drückte. Oder an Schläge, die bevorzugt mit der Zeitung ausgeführt wurden, damit der Hund den Schmerz nicht mit der Hand des Halters in Verbindung brachte. Wenn der Hund beim Alleinsein ohne vorheriges Training etwas zerstörte, gab es auch mit Zeitverzögerung einen Klaps mit der Zeitung und das Beschwichtigungsverhalten des Hundes wurde als schlechtes Gewissen und damit als Erfolg gedeutet. War alles nicht mein Weg, aber damals die Norm.


    Meine Erziehung beruht auf dem Bauchgefühl, dass meine Hunde lernen wollen, sich nicht aus Bösartigkeit falsch verhalten und meine Hilfe brauchen, um ihr Leben zu meistern und zu verstehen, was ich von ihnen will. Die "modernen Trainingsansätze" haben mir Verständnis für die Art und Weise gegeben, wie Hunde denken und lernen und mich damit schneller zum Ziel gebracht.


    Ich kann verstehen, dass das für manch einen Hundehalter zu viel Ge*chiss ist, für mich ist es das nicht, sondern bedeutet im Gegenteil Lebensqualität- und Freude für mich und meine Hunde. Und klar kann Hundehaltung auch in ungute Extreme ausarten. Aber ich glaube nicht, dass das an den Methoden liegt, sondern an der Persönlichkeit des Halters, der sich bewusst dieser Methoden bedient.

  • Und dennoch habe ich das Gefühl, bei dem ganzen fehlt etwas: Nämlich ich und das authentische dahinter. Irgendwie wird alles
    beclickt und belohnt, was eigentlich selbstverständlich ist.


    Irgendwie geht das alles unter bei all der Theorie.

    Du sprichst mir aus der Seele!

    Natürlich sind all die Fortschritte in den Erkenntnissen über Hunde wichtig und es ist
    wichtig den Menschen gewaltfreie Wege aufzuzeigen. Aber es ist eben doch auch die Beziehung, die Stimmung, wie man sich gegenüber dem Hund darstellt,
    relevant.

    Auch das ist richtig, aber ich bin auch ein Mensch, der besser aus dem Bauch als aus dem Kopf kann ;)


    Meine letztes Jahr verstorbene Hündin war (wie ihre Vorgängerin) weder in der Hundeschule, noch wurde auf viele Kommandos wert gelegt.
    Sitz und Platz konnte sie, Weit weg von mir war se sowieso nicht, was einen Rückruf fast überflüssig machte (den sie aber trotzdem immer prompt befolgte, wenn er dann mal kam), ansonsten war sie einfach ein souveräner, in sich ruhender Hund.


    Bei meinem ersten ACD wollte ich alles "richtig" machen, ging in die HS, lernte dort, dass man viiiiieeeeele Leckerlis braucht, um einen Hund zu erziehen...
    Sie ist ebenfalls ein supertoller Hund, aber der Weg dahin ist nicht so meiner.
    Bei den beiden Roten war ich auch noch in der HS, aber schon kritischer.
    Dennoch wurde (zu?) viel über Leckerlie bestätigt, was eigentlich völlig normaler Alltag ist.


    Bei meinem jetzigen Welpen mache ich´s ohne HS und bisher ohne Leckerlie, sie wird vor allem verbal gelobt, ansonsten setze ich auf gute Bindung :D


    Mal schauen, wie´s wird ;)

  • Frühere Hundehalter waren doch auch nicht doof.
    Viele Dinge hatten einfach keinen wohlklingenden Namen, sondern wurden praktiziert.
    Damals wie heute gab es Menschen denen der Umgang mit dem Hund total leicht fiel und solche, die keinen Zugang fanden.


    Drücke Knopf A und halte Häkchen B fest, mache dann einen Kreis und eine Rolle rückwärts bei Vollmond, funktionieren auch nicht bei jedem Hund.
    Ohne eine echte Beziehung zum Hund klappt die beste Technik nicht.
    Erstere muss man sich erst mal verdienen, sprich erarbeiten und das kann Zeit brauchen.
    Empathie und Geduld helfen oft besser als die neuesten Trainingsmethoden aus dem Internet.
    Der Hund lernt nur optimal, wenn sein Umfeld passt.
    Manches andere ist Drill.


    LG, Friederike

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