Man bekommt immer den Hund, den man braucht? ;-)

  • Hallo :winken:


    vor einem halben Jahr habe ich mich dazu entschlossen einen Hund aus dem Tierheim bei mir aufzunehmen - Juna. Juna ist 4 Jahre alt, kommt aus einer Tötungsstation aus Spanien und hat vorher einige Zeit auf der Straße gelebt. Als ich sie kennen lernte, war sie eine sehr freundliche, unkompliziert wirkende Hündin, die nach 2, 3 Wochen bei mir plötzlich den ganzen Inhalt ihres Köfferchens präsentierte :roll: Weg war er, der angepriesene umgängliche Anfängerhund... Juna war vollkommen überfordert, unsicher und apathisch. In der Wohnung hat sie jedes Geräusch im Treppenhaus verbellt, ganz zu Schweigen von Fremden, die in die Wohnung kamen. Dieses Problem und einige andere kleinere haben wir allerdings nach wenigen Wochen durch Markertraining gemeistert. Generell arbeite ich mit Juna über positive Verstärkung und hatte bis vor kurzem auch eine ebenso arbeitende Trainerin, die nun leider umgezogen ist.
    In der Wohnung hat sich die Situation rundherum entspannt, Juna fühlt sich wohl und hat nicht mehr das Gefühl, sie müsse ständig die Lage kontrollieren. Wir haben feste Rituale und Tagesabläufe, die für Juna sehr wichtig sind. Schon die kleinste Veränderung überfordert sie und löst Stress bei ihr aus. Außerhalb der Wohnung ist es deshalb mit ihr eine Achterbahnfahrt. Obwohl wir seit 6 Monaten immer die gleichen Runden laufen, kann sie die ganzen Reize nicht verarbeiten. Sobald wir aus der Haustür raus sind, beginnt sie die Umgebung zu checken und ist die meiste Zeit nicht mehr ansprechbar. Ihr Kopf und ihre Augen huschen angespannt wie wild von einem Geräusch zur nächsten Bewegung zum nächsten Geruch und wieder zurück. Es ist so gut wie unmöglich, eine für sie ausreichende Distanz zu den Reizen zu finden, damit sie sie halbwegs entspannt kennen lernen und verarbeiten kann. Es gibt quasi nichts, auf das sie nicht reagiert. Menschen, Autos, Fahrräder, andere Hunde oder Tiere, Kinder, Papiertüten. Alles was sich bewegt und/oder Geräusche macht verunsichert sie. Mit dem Markertraining und auf Distanz die Auslöser anschauen haben wir zwar einige Fortschritte erzielt, aber längst nicht so, dass ich mal ohne absolute Konzentration mit ihr raus gehen könnte - würde mir mal die Leine aus der Hand rutschen, würde mein Hund vermutlich vor dem nächsten Auto kleben. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem ich das Gefühl habe, dass keine wirkliche Veränderung mehr passiert. Leider stoße ich da auch ziemlich an meine eigenen Grenzen, weiß nicht was ich besser machen könnte und lasse mich blöderweise auch oft von dämlichen Kommentaren von der anderen Straßenseite verunsichern. "Der Hund braucht kein Training, der braucht nur ne klare Ansage" hör ich dann gerne, wenn ich Junas Verhalten clicke und sie aber zu aufgeregt ist um das wahr zu nehmen.
    Es kann doch nicht ernsthaft die Lösung sein, den Hund zu "beeindrucken", damit sie sich an mir orientiert? Ich kann mir nicht mal vorstellen, was genau klare Ansage und beeindrucken heißt? Körperliche Gewalt? :dagegen:
    Nichtsdestotrotz kann die Situation nicht so bleiben, es ist für uns beide Stress pur und für manch eine Mama mit Kleinkind, Jogger oder Nachbars Katze vermutlich auch :roll:
    Hat jemand von euch ähnliches mit seinem Hund erlebt und ein paar Ratschläge, wie ich Juna draußen ein Gefühl von Sicherheit geben kann?

  • Hallo,
    ich kenne mich mit Tierschutzhunden nicht aus, aber meine Hündin hatte die gleichen Symptome. Drinnen brauchte sie einen absolut geregelten Ablauf und draussen ist sie immer auf Hochtouren gelaufen, reagierte auf jeden Reiz, war in ihrer eigenen Welt und nicht ansprechbar. Wurde schon mal die Schilddrüse auf eine subklinische Unterfunktion untersucht? Die Symptome sind die gleichen, die Du schilderst.

  • Hallo Esmeeralda,


    Nein, man bekommt nicht immer den Hund, den man verdient oder braucht. Das dünkt mich eine Aussage, die aus Hilflosigkeit oder Schuldzuweisung gemacht wird und sich unangenehm nah an gewissen anderen, genauso sinnfreien und pseudoschuldzuweisenden Behauptungen ('Denk mal darüber nach, wieso Dir das Schicksal einen saufenden und prügelnden Mann / einen homosexuellen Sohn / eine unheilbare Krankheit zugedacht hat') bewegt.


    Wenn Du draussen clickst und das beim Hund gar nicht mehr ankommt, ist das Erregungslevel zu hoch. Der Hund kann in so einer stressigen Situation gar nichts lernen. Er, bzw. sein ganzer Organismus ist dann nur damit beschäftigt, zu überleben. Da bringt es dann tatsächlich nichts, dem Hund noch irgend etwas schönclickern zu wollen - Du würdest auch jedem den Vogel zeigen, der Dir erst Mal ein Bonbon anbietet, während Du eine Lawine auf Euch zurollen siehst und Panik schiebst. Indem Du in solche Situationen auch noch hineinclickst, machst Du Dich für den Hund unzuverlässig und unglaubwürdig, weil Du seine momentane Stimmung völlig verkennst.


    Der Schlüssel wäre es also, dem Hund die Spaziergänge erst einmal zu ersparen. Hast Du einen Garten? Wenn ja, würde ich da ansetzen und mit dem Hund da, im sicheren Rahmen einen guten Grundgehorsam auftrainieren und dann langsam, langsam wieder versuchen einige Schritte (wortwörtlich nur Schritte!) in die grosse Welt zu machen. Aber immer so, dass der Hund niemals an den Punkt gelangt, dass er nicht mehr ansprechbar wird. Ich würde Spaziergänge grundsätzlich streichen, Du machst dem Hund keinen Gefallen damit und er lernt jeden Tag nur wieder, dass die Welt um ihn herum gross und schrecklich und gefährlich ist. Möglich, dass eine Gewöhnung irgendwann eintritt, darauf verlassen würde ich mich aber nicht. Das ist in etwa, wie wenn man von einem Traumapatienten erwarten würde, dass er sich irgendwann von selbst von seinen Erlebnissen erholt und wieder ganz entspannt mit seiner Umwelt umgehen kann. Möglich ist das zwar, kommt aber selten genug vor.


    Du hilfst dem Hund nicht, indem Du ihn also immer wieder der furchterregenden Situation aussetzt. Ziel wäre, dass Du ihn nur so viel Stress aussetzt, dass er noch lernen kann, ihn zu ertragen, ohne ihn dabei jedoch zu überfordern. Du wirst bei so einem Hund keine Patentlösung finden - hier hilft es nur, jeden Trigger einzeln ausfindig zu machen und an diesen langsam und stetig zu arbeiten. Solche Hunde generalisieren oft sehr schlecht, haben Rückfälle und Angstphasen. Das ist bei Hunden, die auf der Strasse aufgewachsen und sozialisert wurden oft keine Seltenheit, wenn sie plötzlich in ein so völlig neues Umfeld wie ein urbanes Umfeld in Deutschland gesteckt werden.

  • Huhu,
    ich habe nach ein paar Wochen ein großes Blutbild anfertigen lassen mit T4, fT4 und TSH. Meine Tierärztin sagte, die Werte seien alle im Rahmen. Ich kenne mich damit aber auch nicht gut genug aus, um das beurteilen zu können. Ich weiß nur, dass sich gerne darum gestritten wird.
    Falls du oder jemand anderes was mit den Werten anfangen kann, hab ich sie kurz raus gesucht:
    T4 2.0 (normal 1.0 - 4.0)
    fT4 3.0 (normal 0.6 - 3.7)
    TSH 0.12 (normal < 0.5)

  • Ich bin mit der Interpretation der Werte nicht so firm, habe mich aber gerade mal ein wenig schlau gemacht. T4 ist mit 2.0 im unteren Drittel, der TSH mit 0.12 auch etwas auffällig. Um ein aussagekräftiges Bild zu bekommrn wären noch T3, fT3 und die Antikörper wichtig. Andere Erkrankungen wurden über das Blutbild ausgeschlossen?

  • Ich sehe es auch so wie @AnetteV

    Die Werte sind vollkommen in der Norm und wenn du den Zusammenhang mit ihrem Verhalten in der SD suchst, liegst du wohl falsch.


    Unsere Auslandshündin, sie kam mit 4 Monaten zu uns, brauchte ca. 3 Jahre um sich in der Stadt zurecht zu finden und das bedeutete eben viel Zeit, Arbeit, eine gute Führung und unendlich viel Geduld, um sie an die vielen fremden Gegebenheiten zu gewöhnen.


    Ein Hund der nun 4 Jahre auf der Straße gelebt hat, wird manchmal mehr Zeit, Vertrauen und das richtige Management brauchen um die Ängste zu überwinden.


    "Man bekommt immer den Hund, den man braucht?"
    Nein, aber an dem man wächst! ;)


    LG Sabine

  • . Generell arbeite ich mit Juna über positive Verstärkung und hatte bis vor kurzem auch eine ebenso arbeitende Trainerin, die nun leider umgezogen ist.

    Was habt Ihr denn im Training gemacht?


    Faro ist auch ein Angsthund aus einer Tötungsstation auf Mallorca. Er wurde in einem TH geboren und gar nicht auf den Menschen sozialisiert, daher hat er ein großes Problem mit fremden Menschen.


    Unsere Trainerin arbeitet daran, dass Selbstvertrauen Faros zu steigern und damit haben wir gute Erfolge erzielt

  • Hallo AnetteV und Terrorfussel,


    ich verzichte mal auf philosophische Ausschweifungen ;)


    Leider, leider habe ich keinen Garten. Deshalb habe ich die Spaziergänge so gelegt, dass sie möglichst reizarm ausfallen. Morgens und abends gehe ich so früh/spät, dass sonst kaum jemand unterwegs ist. Tagsüber müssen wir allerdings leider einfach da durch. Was mein Management angeht, lässt sich glaube ich nicht mehr viel verändern. Ich habe so viel Routine in den Alltag eingebaut, mehr ist kaum möglich. Sogar die Reihenfolge beim Fertigmachen für den "Spaziergang" ist immer gleich. Und draußen kann ich natürlich nicht immer beeinflussen wie die Distanz zum Reiz ist. Ein Garten würde natürlich vieles einfacher machen, dass es ohne unmöglich ist, damit möchte ich mich allerdings nicht anfreunden, denn das würde bedeuten, dass ich Juna abgeben muss. Selbst wenn sich wie durch ein Wunder eine passende Gartenwohnung außerhalb der Innenstadt finden würde, hätte ein Umzug wahrscheinlich erstmal monatelang Rückschritte zur Folge.
    Ein Garten ist definitiv ein langfristiges Ziel, aber zu diesem Zeitpunkt erscheint es mir nicht sinnvoll Juna aus der Wohnung zu reißen, an die sie sich gerade erst gewöhnt hat.


    Ich suche den Zusammenhang mit der SD nicht, ich habe bloß auf die Frage geantwortet :smile:
    Wie gesagt kenne ich mich nicht mit den Kriterien einer subklinischen SD aus.


    Ich merke, es läuft darauf hinaus weiter geduldig zu sein, den Stress möglichst gering zu halten und auf Distanz zu trainieren. Und als Weihnachtsgeschenk gibt es ein Stück Wiese in der Wohnung für Juna :lol:

  • Morgens und abends gehe ich so früh/spät, dass sonst kaum jemand unterwegs ist. Tagsüber müssen wir allerdings leider einfach da durch.

    Das Problem ist halt, dass es dem Hund wirklich nicht hilft, wenn er täglich durch diesen Stress muss. So kann sich seine Überforderung nicht mehr abbauen. Es kann bis zu 48 Stunden dauern, bis sich nach hohem Stress der Level im Körper wieder normalisiert hat. Das sind einfach biologische Vorgänge, die man nicht ausschalten kann. So kommt der Hund im Grunde genommen gar nicht mehr in einen stressfreien Zustand. Er verlernt buchstäblich, was Entspannung bedeutet, wie sie sich anfühlt und wie man sie herbeiführt.


    Ich habe so viel Routine in den Alltag eingebaut, mehr ist kaum möglich. Sogar die Reihenfolge beim Fertigmachen für den "Spaziergang" ist immer gleich. Und draußen kann ich natürlich nicht immer beeinflussen wie die Distanz zum Reiz ist.

    Das ist super und hilft Deinem Hund sicher. Wo immer er ein Muster, ein Ritual erkennen kann, wird es ihm leichter fallen mit dem Stress umzugehen. Die Distanz kannst Du insofern beeinflussen, indem Du zum Beispiel umdrehst und die Richtung wechselst, wenn Du einem Reiz zu nahe kommst und dem Hund gewisse Verhalten beibringst, die er zeigen soll, wenn es schwierig wird. Zum Beispiel ein dauerhaftes, bombensicheres Touch ('Nase an die Hand, egal ob währenddessen Marsmenschen den Planeten besuchen oder die Welt untergeht'), ein ebenso sicherer Blick zu Dir, ein Mit-Futter-vorbei-Locken oder ein 'Aushalten', das nach vollbrachter Leistung auch reichlich belohnt wird.


    Es gibt Hunde, denen hilft es, sich ihre Umwelt anschauen zu dürfen und wieder andere, bei denen ist das kontraproduktiv, weil sie sich dabei in eine Panik hineinsteigern. Was für Deinen Hund stimmt, musst Du selbst herausfinden.


    Ein Garten würde natürlich vieles einfacher machen, dass es ohne unmöglich ist, damit möchte ich mich allerdings nicht anfreunden, denn das würde bedeuten, dass ich Juna abgeben muss. Selbst wenn sich wie durch ein Wunder eine passende Gartenwohnung außerhalb der Innenstadt finden würde, hätte ein Umzug wahrscheinlich erstmal monatelang Rückschritte zur Folge.


    Ein Garten ist definitiv ein langfristiges Ziel, aber zu diesem Zeitpunkt erscheint es mir nicht sinnvoll Juna aus der Wohnung zu reißen, an die sie sich gerade erst gewöhnt hat.

    Ja, ein Garten würde Vieles einfacher machen, zum Beispiel, dass Du gar nicht mehr spazieren gehen müsstest, bzw. nur noch selten. Insofern würde ich mir schon überlegen, ob das nicht doch eine Option wäre, denn ich denke trotz des Schocks einer neuen Wohnung würden die langfristigen Vorteile überwiegen.


    Kann der Hund sich denn draussen lösen? Wenn ja, in welchen Momenten geschieht das? Diese Orte könnten zum Beispiel Hinweise darauf geben, welche Plätze sie vielleicht als nicht besonders stressvoll empfindet. Da würde ich ansetzen. Das Problem bei Stress ist, dass ein Organismus überhaupt erst auf einen vernünftigen Normalpegel von Entspannung gebracht werden sollte, bevor man an der Stressthematik beginnt zu trainieren. Ansonsten versucht man Stress mit Stress zu heilen.

  • Der T4 ist für einen gesunden jungen Hund normalerweise zu niedrig, der TSH ist auffällig, da über 0,1.
    Für eine Interpretation (SDU ist eine Ausschlussdiagnose) braucht der Spezialist (und nur an so jemanden solltest Du Dich wenden, da die normalen TÄe sich mit der SD nicht genug auskennen) ein geriatrisches Blutbild und neben den schon genannten Werten den T3 sowie die 3 Antikörper TAK, AK T4 und AK T3.
    Zudem wird der Hund sehr genau angeschaut sowie sein Verhalten. Je genauer der Halter seinen Hund und dessen Reaktionen kennt und beschreiben kann, desto besser.
    Das komplette SD-Profil lasse ich immer bei Laboklin machen. Die Untersuchung der AK ist teuer (wird in Übersee untersucht), die sind aber zumindest bei der Erstuntersuchung überaus wichtig, um eine autoimmunbedingte SDU zu erkennen - denn sind AK vorhanden, lässt sich eine SDU nicht mehr wegreden.
    Die Werte können jetzt auch schon deutlich schlechter aussehen als bei der letzten Untersuchung, was sich im Verhalten widerspiegeln könnte. Ich nehme an, Deine Hündin wurde vor der Ausreise kastriert ? Eine Kastration kann Einfluss haben, so dass die Werte nach und nach schlechter werden. Definitiv würde ich eine aktuelle vollständige Untersuchung machen lassen. Ein Hund mit einer SDU ist nicht trainierbar, ist nicht in der Lage, zu lernen und sich zu entwickeln, da er von der Fehlfunktion der SD und den fehlenden Hormonen blockiert wird. Eine unbehandelte SDU bedeutet meist nicht nur psychisches Leiden durch Stress und Ängste wie bei Deiner Hündin, sondern auch gravierende körperliche Folgeerkrankungen.
    VG Petra

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