plötzlich ängstliche Junghündin

  • Hallo liebes Forum,
    Ich hoffe, ihr habt evtl. ein paar Ideen/Tipps für mich.
    Seit nun 3 Monaten habe ich eine inzwischen 6-7 Monate alte Mischlings-Hündin (damals mit 3-4 Monaten bekommen) aus Portugal, aus dem Auslandstierschutz bei mir mit meinem Freund.


    Sie ist eine sehr verspielte, sanfte, vorsichtige Hündin. Versteht sich ganz super mit anderen Hunden.


    Seit Ca. 1 1/2 Monaten schätzungsweise entwickelt sie sich nun mehr und mehr zu einem ängstlichen Hund.
    Zu Beginn hatte sie eigentlich keinerlei Scheu vor Menschen, ließ sich streicheln, auf den Schoß nehmen, hat draußen alles erkundet etc.
    Und dann fing es plötzlich an, dass sie immer ängstlicher wurde. Plötzlich fing sie an, vor dem Besuch, den sie sogar eigentlich schon kannte, wegzulaufen und unsicheres Verhalten zu zeigen. Dann fing sie an fremden Besuch aus Unsicherheit anzubellen und anzuknurren, rannte bei versuchter Kontaktaufnahme mit Leckerli, Hand hinhalten usw. dann immer sofort schutzsuchend weg.


    Als einzige Bezugspersonen, vor denen sie keine Angst hat, akzeptiert sie mich, meinen Freund und meine Mutter, und zur Hundettainerin aus der Hundeschule hat sie auch vertrauen.


    Bei Männern ist es besonders schlimm!
    von einem sehr guten Freund von mir, der jede Woche kommt und sie seitdem wir sie haben kennt, nimmt sie bei einem Besuch gerade mal nach langem Versuchen leckerlie an und lässt sich evtl. mal anfassen, aber beim nächsten Besuch ist alles wie vergessen! :ka:


    Draußen ist sie auch sehr schreckhaft geworden, an Menschen läuft sie eigentlich inzwischen gut vorbei, wenn es keine dunklen Männer sind, aber sobald rufende Kinder, Kinderwagen, klappernde Skateboards etc. in der Nähe sind, zieht sie panisch an der Leine und will am liebsten so schnell es geht wegrennen. Auch wenn ein lautes Geräusch ertönt, braucht es Minuten ehe sie ein wenig runterkommt. Man hat das Gefühl, sie ist ständig unter Stress, ständig aufmerksam.


    Sie hat sich auch angewöhnt zu zittern.
    Bus und Bahn fahren etc. War von vornerein gar kein problem, direkt von alleine ein und ausgestiegen.. und nun zittert sie schon wenn wir wartend an der Haltestelle stehen usw.


    Seit wir sie haben, hat sie keine schlimmen Erfahrungen mit Menschen gehabt, jeder ist ihr immer freundlich zugewandt gewesen..verstehe es einfach nicht.


    Habt ihr Ideen woran das liegen kann?
    Meint ihr, weil sie so jung ist, dass sich das noch bessert?


    Hat sie bis zu ihrem 4. Lebensmonat evtl. traumatisches erlebt und es kam erst jetzt zu Auswirkungen? Ihr (Zwillings)Bruder den wir hier öfters treffen ist den Menschen total zugewandt!


    Wäre für Tipps und Erfahrungen sehr dankbar!



    Liebe Grüße!

  • Setz Dich mal mit den Entwicklungsphasen eines jungen Hundes auseinander. Ab dem fünften Monat beginnt die erste Angstphase - Angst überwiegt nun der Neugier. Vor allem, wenn der Hund in der Welpenzeit die Reize nicht ausreichend kennengelernt hat.


    Dann "springen" zudem noch andere genetisch verankerte Verhaltensweisen an wie z.B. Terriotorialverhalten, Jagdverhalten, Sexualverhalten ... dann kommen wieder Angstphasen dazwischen ... das alles läuft stoßweise bzw. wellenförmig bis der Hund richtig ausgereift ist - also bis zum Alter von (je nach Rasse) drei bis vier Jahren.

  • Könnte sich um eine pubertärbedingte Spookyphase handeln. Allerdings würde sich da das Verhalten eigentlich nicht durchgängig sondern eher situativ zeigen und auch meistens nicht konstant über einen längeren Zeitraum.


    Kann ebenso sein, dass in den ersten Monaten bei euch der Hund mit zu vielen Reizen überfordert wurde und sich jetzt erst die Auswirkungen zeigen, wo sie etwas mehr angekommen ist.
    Kann auch sein, dass unbewusst Unsicherheiten des Hundes durch euch bestätigt wurden.


    War sie schon läufig oder gibt es Hinweise, dass sie bald läufig wird?


    Würde das Tagesprogramm einfach mal runter fahren, dem Hund viel Ruhe und Schlaf gönnen und einfach mal abwarten, ob sie sich wieder fängt.

  • Vielen Dank für die Antwort, dass mein Riesentext durchgelesen wurde!


    Dass wir sie zu Beginn mit zu vielen Reizen überfordert haben, kann evtl. sein. Sie hat alles direkt so gut mitgemacht nach einigen Tagen Ruhe, und da sie bis zum 4. Monat ja quasi gar nichts kannte, wollte ich natürlich, dass sie alles kennenlernt um gar nicht erst eine Angst aufbauen zu können..


    Aber kann man solche Fehler wieder ausbügeln?


    Von diesen Angst-Phasen hab ich gehört, aber dass sie so lange anhalten können wusste ich nicht?


    Sie ist geschätzt jetzt im 6./7 Monat, kann sie da schon läufig werden?! Dachte das beginnt erst später :lepra:


    Das mit der Ruhe hätte ich schon viel früher machen sollen, aber sie ist sehr aktiv und wenn man sie nicht auslastet, macht sie halt ihre Action in der Wohnung etc.



    Liebe Grüße

  • Aber kann man solche Fehler wieder ausbügeln?

    Nein. Die Prozesse der Gehirnentwicklung sind nicht einfach nachholbar.


    Aber etwas tun könnt und solltet Ihr trotzdem: Das Maß der Erfahrungen und des Lernens an ihre Möglichkeiten anpassen.


    Dann fing sie an fremden Besuch aus Unsicherheit anzubellen und anzuknurren, rannte bei versuchter Kontaktaufnahme mit Leckerli, Hand hinhalten usw.

    An dieser Stelle wäre es sinnvoll ihr nicht noch mehr Stress mit dem Besuch zu machen. Ich denke, hier spielen Territorialverhalten und zu wenig Lernerfahrung in der Welpenzeit eine Rolle. Es ist nicht sinnvoll den Hund in einen doppelten Konflikt zu bringen, in dem man versucht zu üben, dass der gruselige Mensch Kontaktaufnahme will, in dem er eine wichtige Ressource anbietet. Das macht doppelt Stress.


    Sie hat sich auch angewöhnt zu zittern.

    Zittern "gewöhnt" man sich im eigentlichen Sinne nicht an. Zittern entsteht aus Stress, es ist eine körperliche Reaktion, die nicht lenkbar ist für den Hund.


    Seit wir sie haben, hat sie keine schlimmen Erfahrungen mit Menschen gehabt, jeder ist ihr immer freundlich zugewandt gewesen..

    Ich denke, dass ihr die Menschen sich zuwenden, ist schon das Problem. Das kann für einen solchen Hund schon die Bedrängung sein, die über das Maß geht, das ein solcher Hund ertragen kann.


    Bei einem extrem unsicheren Hund ist es auch sinnvoll zu schauen wie lange man raus geht. Oft können sie nicht so viel schlucken wie ein "normaler" Hund in dem Alter. Und es ist wichtig, dass das, was erlebt wurde auch verarbeitet werden kann. Also, dass sie Zuhause unbehelligt Ruhe findet - womit wir wieder beim Thema wären vorher wären ...

  • Das mit der Ruhe hätte ich schon viel früher machen sollen, aber sie ist sehr aktiv und wenn man sie nicht auslastet, macht sie halt ihre Action in der Wohnung etc.

    Ich denke, da liegt der Knackpunkt. In diese Falle tappt man leider schnell.


    Wenn der Hund ehe schon unruhig ist, hilft nicht mehr action, sondern mehr Ruhe. Action kann der Hund ja schon, Ruhe muss er lernen.


    Ich gehe davon aus, dass in der ersten Zeit einfach zu viel gemacht wurde und der Hund gar nicht die Gelegenheit hatte, im Schlaf das alles zu verarbeiten. Und es kann sein, dass das jetzt das Ergebnis ist, was wahrscheinlich zeitgleich in die unsichere Phase fällt.


    Ich würden den Alltag klar strukturieren und feste Rituale einbauen, so dass der Hund einen roten Faden hat und weiß, was wann wo passiert. Dazu gehören feste Ruhezeiten eben auch.


    Wenn du den Eindruck hat, dein Hund kommt schlecht runter, kannst du höchstens versuchen, sie vom Gehirn her etwas platt zu machen durch Leckerchen suchen lassen oder andere Schnüffelspiele. Wichtig dabei wäre, dass das alles ruhig und konzentriert vonstatten geht und der Hund nicht übers Spiel weiter hoch dreht.

  • Ich gehe davon aus, dass du deinen Hund mit 4 Monaten bekommen hast, vorher dürfen Welpen nicht ausreisen.


    Die Sozialisierungsphase endet genau da und alleine aus dem Grund, war es leider schon nicht ganz richtig, den Hund dann zu überfluten mit neuen Eindrücken in der Hoffnung, der lernt noch ganz schnell noch ganz viel.
    Der Großteil des Gehirns ist bis zur 16. Woche fast fertig ausgebildet und wichtige Synapsenverknüpfungen werden bis dahin angelegt. Das ist leider irreversibel.


    Deine Bemühungen, dem Hund noch schnell die Welt zeigen, haben also vermutlich gar nicht mehr sehr viel gebracht, außer, dass die vielen Reize einfach nicht gut waren, vor allem nicht direkt nach dem Umzug in eine neues Zuhause.


    Was dein Hund die ersten 4 Monate seines Lebens erfahren und gelernt hat, wird man ja nicht wissen. Muss aber auch alles gar nicht schlimm gewesen sein, da spielen ja mehrere Faktoren mit rein wie z.B. das Verhalten der Mutter, wie lange war er mit ihr und seinen Geschwistern zusammen, hat er in einer Auffangstation mit vielen anderen Hunden gelebt oder war er isoliert, hat er ein paar Eindrücke mitnehmen können wie Geräusche, Gerüche usw.


    Wenn er die ersten vier Monate nicht ganz isoliert aufgewachsen ist, ist der Aufenthalt in einer Auffangstation manchmal gar nicht soooo schlimm, wenn der Hund Erfahrungen machen durfte, schlechte wie gute, das ist eigentlich egal, hauptsache er hat was gesehen und überhaupt Erfahrungen machen dürfen.


    Es scheint ja so, als wäre der Hund guten Mutes und fit bei dir angekommen, von daher wird er sicherlich eine gute Basis haben.


    Du hast jetzt leider nur den Fehler gemacht, ihm nicht ausreichend Ruhe und Zeit zum Ankommen zu lassen und hast ihn zu vielen Reizen ausgesetzt, die er gar nicht mehr verarbeiten konnte.


    Das kannst du aber auf jeden Fall wieder ändern und zwar, wie ich oben schon geschrieben habe.


    Ich denke, dass du damit auf jeden Fall Erfolg haben wirst, wenn der Hund mal runter gefahren wird und Reize erst mal nur so viele wie nötig bekommt und danach immer schlafen kann, um diese auch zu verarbeiten.

  • Vielen vielen Dank für die Erklärung. Das macht alles wirklich Sinn!
    Ich dachte immer, soweit sie alles so toll annimmt, wäre es ja kein Problem und ich würde schon merken wenn es zu viel wird. Aber dass sie auch die Zeit braucht, das alles natürlich zu verarbeiten, dem habe ich nicht so viel bei gemessen. Vorallem weil es ja für uns so plötzlich kam ihre Angst.


    aber immerhin, scheint es ja so, dass es wieder in den Griff zu kriegen ist, bzw. man mit Geduld und Ruhe ihr die Ängstlichkeit wieder nehmen kann.



    Aber Selbst wenn sie jetzt zur Ruhe kommt und sie entspannter wird bzw. den geregelten Alltag etc. wird es einfach so doch nicht passieren, dass sie Besuch dann akzeptiert bzw. die Angst verliert oder?
    wie gehe ich damit um, wenn sie meinen Besuch so anbellt?
    Muss ich da nicht mit ihr arbeiten oder so? Oder meint ihr, das kommt mit der Zeit echt von alleine?


    Liebe Grüße und danke!

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