[Wem der Text zu lang ist, die eigentliche Frage steht am Ende…]
Luna, BBS 2J alt, kam im Januar zu mir, zeigte von Anfang an einige Eigenschaften die ich für rassetypisch hielt (anhänglich, will-to-please, liebt ihre Menschen, wird gerne ausgelastet) und einige die ich erstmal auf mangelhafte Sozialisierung/Erziehung und die veränderten Lebensumstände, Dorfhund in der Großstadt, zurückführte (Leinenpöbler, Jagdtrieb, Abneigung gegenüber entgegenkommenden Radfahrern) hielt.
Sensibel, wie angeblich alle BBS, und teilweise unsicher wäre sie laut letzter Halterin ebenfalls. Also war mein Ansatz für die ersten Monate: Hund ankommen lassen, Bindung aufbauen und festigen, Regeln aufstellen, konsequent aber sanft umsetzen.
Durch eine inzwischen enge Bindung und bestehendes Vertrauen ist eine Menge ihrer Unsicherheit verschwunden.
Luna ist mit absolut jedem Hund im Freilauf verträglich und kommuniziert sauber. Ihr letztes zu Hause war in Nijmegen, eine Aversion gegenüber Radfahrern wäre mit Sicherheit aufgefallen (habe einen guten Draht zur letzten Halterin, da wurde nichts verschwiegen).
Wir haben anfangs über mehrere Monate hinweg mit Zeigen&Benennen gearbeitet. Die Erfolge waren unterschiedlich. Bei Wildsichtung funktioniert es, bei Hunden und Radfahrern nicht im gewünschten Ausmaß und ich kann es einfach nicht verstehen warum wir die letzten % nicht schaffen.
Leider fehlt mir eine Vergleichsmöglichkeit um zu beurteilen ob Luna evtl. jetzt einfach erwachsen geworden ist oder, was meine aktuelle Vermutung ist, ich einen völlig falschen Ansatz gewählt habe.
Aktuell denke ich nämlich, dass es sich viel weniger um Unsicherheit als um Schutztrieb handelt.
Beispiel 1:
Luna ist mit mir im Büro, Kollegin klopft an und tritt ein, Luna knurrt, Abbruchsignal + Deckenkommando. Der Kollegin hallo sagen darf sie erst nach Aufforderung meinerseits.
vs.
Luna ist ohne mich im Büro, Kollegin muss ne Akte von meinem Schreibtisch holen, tritt ein, geht an meinen Schreibtisch, nimmt die Akte und geht wieder. Reaktion des Hundes = Null. Luna steht in dieser Situation nicht einmal auf.
Beispiel 2:
Luna ist im Garten, ich in der angrenzenden Garage. Mein Bruder, unbekannt für Luna, kommt in den Garten, Luna rennt hin und lässt sich von dem unbekannten Mann in unserem Garten erstmal durchkraulen.
vs.
Wir gehen über den Hof Richtung Straße, Luna angeleint, da kommt der Zeitungsbote um die Ecke (15m Entfernung), Luna schlägt an und steht in der Leine, Abbruchsignal + Verhaltensalternative (in dem Fall Sitz), danach konnten wir an dem Boten vorbei, wobei Luna ihn weiterhin sehr aufmerksam beobachtet hat.
Je länger ich mit dieser Frage beschäftige (Schutztrieb vs. Unsicherheit) desto mehr Beispiele fallen mir ein.
Zwischenzeitlich habe ich im Alltag durchaus einmal einen harten Abbruch (Wasserflasche, körperliches Bedrängen, Seitenstups, laute Stimme) + folgender Einforderung von Alternativverhalten geübt bei unerwünschtem Verhalten (Leinenpöbelei z.B.) und mit richtigem Timing umgehend Erfolg gehabt.
Nur klingelt mir dann jedes Mal in den Ohren was in unserer HuSchu dazu gesagt wird: Solche Erfolge sind meist nur kurzfristig + unsichere Hunde verunsichert man dadurch noch mehr und riskiert die Bindung zum Hund zu beschädigen.
Bei unserer alten DSH hätte ich mir da nie Gedanken gemacht. Sie hatte einen ausgeprägten (und gewünschten) Schutztrieb, war sehr selbstbewusst aber stand zu 100% im Kommando. Die Gefahr sich hier irgendwas durch einen harten Abbruch zu versauen bestand einfach nicht.
Ich bin ein wenig ratlos.
Schließen sich Unsicherheit und Schutztrieb nicht aus? Komplett? Nur situativ? Gar nicht?
Was sind die Konsequenzen für die Alltagserziehung?
Wie stellt man sicher ob es Schutztrieb ist oder Unsicherheit?