Pflegehund – Austausch, Erfahrungen, Gedanken

  • Seit einer Woche haben wir hier einen kleinen Pflegehund. Er ist unglaublich hyperaktiv und kommt kaum zur Ruhe. So einen Hund habe ich noch nie erlebt. Ich denke mal er ist einfach mit allem überfordert und reagiert eben so darauf. Leider geht das mit sehr viel bellen einher. So will ihn jedenfalls bestimmt keiner haben.


    Habt ihr irgendwelche Tipps? Bisher loben wir wenn er bei Geräuschen still bleibt oder draußen Personen nicht anbellt bzw. schimpfen wenn er es tut (das allerdings mit wenig Erfolg). Das Problem ist dass seine Reizschwelle so gering ist, dass er zum Beispiel Personen auch von sehr weitem verbellt. Und manchmal bellt er auch einfach so ohnehin erkennbaren Grund - aus Aufregung nehme ich an. Wie soll ich am besten vorgehen? Wir gehen bisher Minirunden in unserem ruhigen Wohngebiet und auch immer genau die gleiche Strecke.

    Hallo und herzlich willkommen bei den Pflegehundhaltern


    Ich habe mir mal ein paar Punkte rausgepickt.
    Der Hund ist seit einer Woche bei dir. Alles ist neu, vielleicht kennt er das Leben im Haus nicht, sprecht ihr eine andere Sprache als im Herkunftsland, die Wohnsituation ist ganz anders, es ist fast "normal" oder kommt oft vor, dass die Hunde schlecht zur Ruhe kommen. Unser erster Pflegi saß die ersten 5 Tage NUR in der Ecke. Der zweite Pflege ist die ganze Zeit rumdüst und wurde im Wohnzimmer etwas eingegrenzt, da sie sonst auch nur auf Achse war. Da ich Boxen bei Pflegis absolut nicht mag, habe ich einfach einen Bereich im Wohnzimmer mit einem quer gelegten Wäscheständer abgetrennt, wo auch das Sofa und Körbchen und unser Hund war, das hat ihr enorm geholfen. Pflegi Nr. 3 kam, saß die ersten Tage nur im Schlafzimmer, ohne Eingrenzung und mit offener Tür und kam irgendwann von allein. Sie verarbeiten den enormen Stress alle anders.


    Und du hast recht, ein Hund, der nicht zur Ruhe kommt und viel bellt findet nicht schnell neue Leute. Die werden einem nicht aus den Händen gerissen. Aber genau dafür ist die Pflegestelle da, ihn an alle "unheimlichen und neuen" Sachen ranzuführen. Das ist jetzt deine Aufgabe.


    Tipps habe ich, ob sie für dich in Frage kommen, musst du selbst abwägen. Dass ihr ihn beim Ruhigbleiben lobt ist schon mal super. Um fremde Leute und Hunde würde ich IMMER einen Bogen laufen und IMMER zwischen ihm und dem anbellenswerten Objekt gehen. Habt ihr euren Hund als "Vorbild" mit dabei? Oft gucken sich unsichere Hunde ja von den anderen was ab. Zeigen und benennen wurde hier ja schon genannt, so würde ich auch vorgehen und immer versuchen, den Abstand einzuhalten, der aushaltbar für den Hund ist, und wenn das am Anfang 500 Meter sind, dann ist das halt so. Du schreibst du gehst im Wohngebiet. Habt ihr die Möglichkeit erst mal ohne "Wohngeräusche" zu laufen. So versuche ich es meist, mit höchster Konzentration hier die ersten Tage die Straße runter (wir müssen immer ein kleines Stück an der Straße gehen), in den Wald gehen und da erst mal ordentlich verschnaufen. Wenn du denkst, so alle Geschäfte erledigt, Hund entspannt, geht es wieder das kurze Stück zurück.


    Mein aktueller Pflegi hat die ersten Tage auch alles in 200-300 Metern Entfernung angebellt. Kam jemand auf sie zu, gefletscht, nach vorne gegangen und geschnappt. Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst. Aber durchatmen, ruhig bleiben, und wenn der Hund sich zu doll reinsteigert, nach Hause gehen und gut. ABER bitte nicht schimpfen. Dem Hund ist alles neu, er ist unsicher, hat vielleicht Angst, kann euch nicht einschätzen und bekommt dafür noch Ärger. Das ist in meinen Augen (!) falsch. Aber, wie gesagt, das sind nur Tipps von mit und Erfahrungen, die ich bisher sammeln konnte.


    Dass ihr immer dieselbe Strecke geht ist echt super für den Hund. So mache ich es auch, und wenn ich merke, dass der Hund auf der Strecke entspannt ist, erweitere ich sie immer, aber Start- und Endpunkt ist am Anfang immer die gewohnte Strecke.

    Wir versuchen das mit dem ruhig bleiben. Gar nicht so einfach bei dem Geräuschpegel. Bzw. Wenn er im Garten anfängt geht es direkt wieder rein. Draußen beim spazieren gehen ist das eben etwas schwierig. Es ist eine ruhige Gegend, aber manchmal sind eben doch Menschen im Garten oder so. Abends klappt es am besten, weil da am wenigsten los ist. Aber ganz leise ist er trotzdem nie und ich bin mal gespannt wann sich die ersten Nachbarn beschweren...

    Ich denke auch, ihr solltet ruhig bleiben, wenn der Hund bellt, dort bleiben, beruhigen und umdrehen. Nicht stramm weiterlaufen, dann bekommt der Hund nur noch mehr Eindrücke und ist noch mehr überfordert. Bellt er sich im Garten ein? Ich habe hier gerade einen Ketten- und Hofhund, die zum Wachen gehalten wurde. Sie hat am Anfang immer gebellt, kamen Menschen vorbei, hat sie sich im Zaun verbissen. Jetzt, nach 7 Wochen sind wir so weit, dass sie mit einem "Wuff" meldet und schnell zu mir flitzt, weil es dann einen Keks gibt. Das finde ich absolut akzeptabel, eingebellt hat sie sich schon länger nicht mehr und im Zaun verbissen hat sie sich auch nicht mehr. Und das nach nur 7 Wochen. Ihr schafft das auch dranbleiben. Ich wollte ihr das nicht komplett verbieten, da hätte ich ja eine tolle Alternative finden müssen. Sie hat nun mal jahrelang gewacht, also soll sie halt ein bisschen davon behalten "dürfen". So lebt es sich für sie leichter und ich muss sie nicht in einer Tour deckeln.


    Was mir noch einfallt, wenn er im Garten bellt, kannst du viele kleine Leckerlies werfen? Ihr geht ruhig in den Garten, angeleint, weil du meinst, er rennt da immer chaotisch rum, legst ganz viele Ministückchen leckerlies aus, leinst ihn ab, er muss erst mal ruhig suchen, ich denke, er würde dann entspannter im Garten sein können. Ich würde versuchen, dass er gar nicht erst hochdreht, sondern erst mal allgemein absolut zur Ruhe kommt.


    Wenn du sagst, dass der Spaziergang abends klappt, dann spricht doch nichts dagegen abends zu laufen, oder? Tagsüber Pipi im Garten, abends, wenn alles ruhig ist, dann raus auf die Straße. Ich bin mir sicher, wenn der Hund ein paar ruhige Runden kennengelernt hat und die Gegend besser kennt, dann wird er bestimmt auch tagsüber die Reize besser verarbeiten können.


    Klar, Nachbarn können sich beschweren. Ich mache es immer so, dass ich auf die Leute zugehe, die man hier so kennt und denen gleich sage, was es für ein Hund ist und dass der Angst hat und sie sich nicht erschrecken sollen, wenn sie mal angebellt werden. Ist für alle einfach entspannter! Und neugierig sind ja eh immer alle, wenn man plötzlich einen Hund mehr dabei hat.

    Zeigen und Benennen kann ich mir auch vorstellen für ihn. Allerdings ist er draußen so aufgeregt, dass er manchmal Leckerlies gar nicht annehmen kann. Das wird wenn nichts los ist schon etwas besser und so bekommt er unterwegs oft welche wenn er auf seinen Namen reagiert oder Sitz macht. Was ja schon mal ein Erfolg ist finde ich. Anfangs hat das gar nicht geklappt. Da hat er sogar im Laufen gepinkelt weil er so hyper war.


    Wichtig ist evt noch, dass er zwar alles verbellt aber an sich kein aggressiver Hund ist. Wenn er zu den Menschen darf springt er hoch und will jedem das Gesicht abschlecken. Das probiert er auch bei uns viel. Anfangs konnten wir ihn kaum normal streicheln weil er immer direkt ins Gesicht ist. Aber auch das ist schon ein bisschen besser geworden. Ich habe als doch Hoffnung dass er kein ganz hoffnungsloser Fall ist.

  • Hier der Rest meiner Antwort, es waren leider zu viele Zeichen:




    Du sagst, dass er draußen manchmal so aufgeregt ist, dass er keine Leckerlies nimmt. Dann ist das gerade kein Punkt um was zu trainieren. Solche Situationen würde ich versuchen zu vermeiden. Mein Pflegi nimmt so gut wie immer Futter. Selbst beim Umladen beim Transport nach Deutschland, leider musste sie aufgrund eines Defekts des Transporters zweimal umgeladen werden, hat sie eine ganze Tube Leberwurst gefressen, obwohl sie vor Panik um sich gebissen hat. ABER auch jetzt ist es noch so, dass sie bei manchen "gruseligen Sichtungen" (Hund, komischer Mensch, etc. pp.) Futter ausspuckt, für mich ein Zeichen, es ist zu viel, paar Meter Abstand nehmen, neu beginnen. Irgendwo hinsetzen, wo man in der Ferne (und wenn es 700 Meter oder so sind) Reize wahrnimmt und den Hund beobachten lassen, immer schön belohnen und nach ein paar wenigen Minuten nach Hause gehen.


    Man denkt ja oft, 'Mist, da kommt was, was der Hund gleich anbellt'. ABER wenn man die eigene Einstellung ändert und einfach denkt, 'ja, cool, da kommt ein anderer Hund, den findet sie kacke, jetzt wird trainiert, dann hat man einfach eine veränderte Grundeinstellung'. Bei mir klappt dann alles besser. Nach einer Weile kann man ja abschätzen, was bellenswert ist.... Dann wird gemarkert, was das Zeug hält, Kekse geworfen, und dabei vom Anbellenswerten weggegangen. So haben wir richtig Erfolg mit dem aktuellen Pflegi. Sie bellt nicht nur, sie geht auch nach vorn und würde auch beißen. Das Abstand vergrößern hat ihr richtig geholfen. Dazu wurde immer gesagt, 'alles gut', und wenn jetzt jemand zu nach kommt und wir nicht den Abstand vergrößern können, bekommt sie ihr 'alles gut' und sie weiß, ihr passiert nichts.


    Du sagst euer Pflegi geht zu Menschen, springt sie an und schleckt das Gesicht. Er ist extrem unsicher, versucht zu beschwichtigen, bringe ihn nicht in solche Situationen. Das scheint ihn von deinem Geschriebenen abgeleitet unheimlich zu stressen. An fremde Menschen kannst du ihn immer noch ranführen, wenn er länger bei euch ist.
    hundekeks007 schrieb:


    Sorgen macht mir eben dass er sich hier an vieles gewöhnen kann, aber in jedem potentiellem neuen zu Hause ist ja wieder alles neu. Fangen die dann nicht wieder bei null an? Hier gibt es so viele nette, unkomplizierte Hunde im Tierheim / Tierschutz (alles unkomplizierte wird direkt eingeschläfert, manches unkomplizierte ebenfalls), dass ich mir wirklich sorgen mache ob wir jemand geeigneten für diesen hibbel finden. Aber ich denke diese sorgen macht sich jeder mit pflegehund, oder?
    [/quote]Mein erster Pflegi ist ja die ersten Tage nicht gelaufen, keinen Meter. Sie war 3 Tage nicht kacken und 30 Stunden nicht pullern. Fremde Menschen gingen gar nicht, Männer noch viel weniger. Nach 7 Wochen hatte sie eine Anfrage und wurde vermittelt. Ich habe auch gedacht, dass sie da bestimmt nicht klarkommen wird. Ich habe die neue Besitzern darauf aufmerksam gemacht, dass es sein kann, dass sie wieder nicht läuft, sich verkriecht, sich beim Gassi unter Hecken schmeißt, unter denen sie sich hervorziehen muss, aber NICHTS war. Klar, die war schüchtern, aber sie hat hier so vieles kennengelernt und hat das Erlernte trotz neuer Bezugsperson umsetzen können. Die neuen Familien fangen also nicht bei null wieder an. Wenn ihr vorerst keine geeignete Familie findet, bleibt der Hund eben etwas länger bei euch und ihr könnt ihn bestens darauf vorbereiten, er wird schon viel Erlerntes weiterhin umsetzen können, wenn sich das bei euch schon verfestigt.


    Ich habe auch Bedenken, dass wir für unseren aktuellen Pflegi niemanden finden. Einen nach vorn gehenden angstaggressiven Hund will auch keiner haben. Aber das kommt vor, man versucht sein Bestes und irgendwann wird schon eine Familie kommen, wo es passt. Lass den Kopf nicht hängen!


    Ich hoffe ich könnte dir etwas Mut zusprechen, dass alles besser werden wird. Aber er ist eben erst 1 Woche bei euch.

  • Danke Costabravagirl für die ausführliche Antwort und die vielen Anregungen. Mut haben wir auf jeden Fall. Es ist ja schon manches etwas besser geworden.
    Er ist einfach eine Hausnummer als unser eigener Hund. Der ist einfach ein Anfängerhund. Aber ich denke wir können viel von dem Katastrophenhund lernen.
    Und ich würde gar nicht mal sagen dass unser Pflegi sehr ängstlich ist. Er ist einfach überfordert mit den Eindrücken dieser Welt und kommentiert das eben. Ist irgendwie schwierig zu beschreiben.
    An unserem Hund orientiert er sich sehr wenig. Er ist auch eher der dominantere der beiden. Er lässt unsern nicht an seine Box und Spielzeug oder Knochen würde er ihm direkt abnehmen (das wird von uns unterbunden, bzw. gar nicht erst verteilt wenn sie zusammen sind).
    Ich hoffe einfach dass wir ihn in ganz kleinen Schritten an Reize dieser Welt gewöhnen können und er nicht mehr so überfordert ist. Und um auch mal was positives über den kleinen Kerl zu sagen: er ist absolut nicht aggressiv, lässt sich Futter oder Spielzeug von Menschen problemlos abnehmen, ist stubenrein, kann in seiner Box entspannt alleine bleiben (anders haben wir es noch nicht probiert) und hat bisher (außer ihm zugeteiltes Spielzeug) nichts kaputt gemacht. Das klingt doch gar nicht so schlecht, oder?


    Bei einem angstaggressiven Hund, wie bei euch, hätte ich auch große Sorgen für den ein geeignetes zu Haus zu finden. Aber 7 Wochen sind dafür ja auch noch nicht so lange und er scheint ja schon große Fortschritte gemacht zu haben. Liegt es denn in eurer Hand welche Interessenten gut genug sind für die Pflegehunde oder wer entscheidet das?

  • was bekommt euer Pflegi zu futtern? Wir haben einen ehemals hyperaktiven Hund (aus normaler Aufzucht) und konnten da viel unterstützen.

  • Ich möchte explizit nicht für die Vermittlung von Chicca verantwortlich sein.
    Sollte ich bei Interessenten richtig heftige Bauchschmerzen haben würde ich vermutlich ein Veto einlegen, ansonsten vertraue ich auf die Vermittler.
    Ich vermute das es mir schwer fallen würde zu entscheiden, das jemand gut genug für mein Pflegetier ist. Also jemand, der nicht ich ist :D

  • was bekommt euer Pflegi zu futtern? Wir haben einen ehemals hyperaktiven Hund (aus normaler Aufzucht) und konnten da viel unterstützen.

    Er bekommt getreidefreies Trockenfutter und eben noch manchmal Leckerlies, Snacks oder Knochen. Karotten mag er sehr gerne. Inwieweit kann man das unterstützen mit dem Futter?



    Ich stelle mir das wirklich schwer vor das selber zu entscheiden. Wir haben da wohl Mitspracherecht, aber ich denke ich muss mich da sehr zurück halten. Wir leben in den USA und hier (zumindest in unserer Gegend) ist es relativ normal dass die Hunde nicht groß Spazieren gehen und oft den halben Tag in ihrer Box verbringen wenn ihre Besitzer arbeiten sind. Bei der Adoption muss zwar ein Fragebogen ausgefüllt werden, aber überprüft werden die Angaben soweit ich weiß nicht.

  • was bekommt euer Pflegi zu futtern? Wir haben einen ehemals hyperaktiven Hund (aus normaler Aufzucht) und konnten da viel unterstützen.

    Was sie mögen. Inzwischen sind hier in letzter Zeit doch schon einige Pflegehunde durchgewandert. Darum und wegen anderem Stress war ich lange nicht aktiv.
    Trockenfutter gibt es hier meistens nicht. Die meisten Hunde sind es wohl einfach leid. Im Haus habe ich auch immer nur Proben/ Gratiszugaben an Trockenfutter. Probiere sie aber natürlich aus.
    Barf wird auch meistens verschmäht. Bisher haben alle Pflegehunde am liebsten Dose mit nicht sichtbarem Gemüse (z.B. Rinti) und die Menüs im Sterildarm, Pute und Rind-Gemüse, von Paribal.

  • Bekommt ihr denn finanzielle Unterstützung beim Futter und so oder bezahlt ihr das alles aus eigener Tasche?


    Bei uns muss alles selbst bezahlt werden und da wir gerade den ersten Pflegehund haben waren das schon hohe Anfangskosten. Da der Pflegi kleiner ist als unser Hund konnten wir auch nicht so viel auf unseren Grundstock von Halsbändern und Co zurück greifen. Ich denke mal irgendwann hat man da einen höheren Vorrat zu Hause und die Kosten minimieren sich.

  • Ich würde alles bezahlt bekommen.
    Ob ich aber nun 2 oder 3 Hunde fütter ist mir finanziell egal. Körbchen, Leinen, Geschirre, Handtücher, Decken, SpotOn... habe ich selber genug. Es wäre auch nur ein Geld verschieben, wenn mein gespendetes Geld auf Umwegen wieder bei meinem Pflegehund landet.
    Hohe TA Kosten lasse ich aber über den Verein laufen, auch weil Behandlungen abgesprochen werden und über deren Bücher laufen.

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