Deprivationsschäden

  • Zitat

    Das "schöne" mit so einem Hund ist, dass einen irgendwie nix mehr schreckt :roll: wir hatten jetzt glaub ich alles durch, was ein Hund so an "unerwünschtem" Verhalten zeigen kann. Der nächste darf gerne jagen, Leine pöblen, aus Stress Socken fressen, nicht alleine bleiben können, Autos jagen etc pp, solange er nur tief in seinem Herzen positiv was mit Menschen anfangen kann und lernen kann.


    oh ja, das kann ich voll nachvollziehen. Man wird in seinen "Ansprüchen" sehr bescheiden. Es reicht meistens nur noch ein Wunsch den der nächste Hund erfüllen brauch. So geht es mir ebenfalls. Bescheidenheit wird wirklich eine Zier.

    • Neu

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    • Hallo,


      hier gehöre ich mit meinem Max auch hin.


      Max hat die ersten 4 Jahre seines Lebens in einem bulgarischen Tierheim verbracht. Wurde dort als Welpe gebracht und im Zwinger aufgewachsen mit anderen Hunden. Reizärmere Umgebung gabs für ihn wohl nicht. Gassi gehen usw. war nicht drin bei der Menge an Hunden und Anzahl an Mitarbeitern. Er kannte keinen Namen oder überhaupt sah er Menschen nicht als Sozialpartnern.


      Dann eines Tages hieß es, das Tierheim muss aufgelöst werden, weil die Stadt den Mietvertrag nicht verlängert. Was ganz typisches in BG, weil diese Non-profit Organisationen ein Dorn im Auge der Städte sind. Sie kastrieren nicht nur die Hunde wirklich, sondern enthüllen viele der Machenschafen der Bezirke was Fördergelder aus der EU betrifft.


      So mussten 250 Hunde in deutsche Tierheime verteilt werden. Mein Max war für München bestimmt.


      Ich hatte schon lange ein Auge auf ihn also war jetzt die letzte Chance ihn zu mir zu nehmen. Da ich auf mein Industriepraktikum warten musste und einige Monate frei hatte, passte es auch zeitlich ganz gut. Die Gelegenheit habe ich dann auch genutzt und bin nach BG geflogen, um die Organisation bei diesem gigantischen Projekt zu unterstützen.


      Ganz gespannt wollte ich natürlich sofort zu ihm und was ich da sah hat mich erschüttert. Der Hund ist praktisch die Wände hoch gerannt nur weil ich in seine Richtung (nicht in die Augen) geschaut habe und zwar von außen. Ein halbwildes Tier das hin und hergelaufen ist, geduckt und um sich schauend. Dann ist eine Mitarbeiterin rein und er hat sich von ihr anfassen lassen, also dachte ich, probiers mal.


      Er ist ein paar Tage vor mir abgereist und hat im Gnadenhof von einer tollen Tierschützerin bei München auf mich gewartet. Als ich wieder in D war und ihn abholen wollte hieß es -"nehmen Sie Beruhigungstabletten mit, er beißt um sich herum und ist total panisch". Na Klasse dachte ich mir.


      Also Beruhigungspillen mitgenommen und ab nach München. Sie hatte recht, er wollte beißen. Also Tabletten in Katzenfutter und dann 20min gewartet. Er war dann ganz wackelig auf den Beinen hat sich aber mit den letzten Kräften gewehrt. Ich schaffte es dann doch ihm den Maulkorb umzulegen, Geschirr an und ab in die Transportbox.


      Zu hause angekommen, haben wir dann die Box in eine Ecke ins Wohnzimmer gestellt und...gewartet. Er war noch ziemlich k.o. von den Pillen. Alle haben ihn in Ruhe gelassen, Futter und Wasser waren direkt vor der Box. Er ist wohl nachts immer raus um sein Geschäft zu erledigen. Gefressen hat er gottseidank auch.


      Nach zwei Tagen dachte ich mir, das geht so nicht, also Augen zu und durch. Habe in die Box gegriffen, den Hund vorsichtig rausgeholt und einfach leicht gestreichelt. Er hat sich recht schnell entspannt und ließ sich von mir auf den Bauch kraulen und Leckelie geben. Eine große Beruhigung für ihn war, dass da noch ein Hund war, obwohl meine kleine mehr als skeptisch war am Anfang. Fortsetzung folgt ;) ...

    • Soo...wo war ich stehengeblieben :smile: .


      Dann musste er auch mal raus also Sicherheitsgeschirr und Halsband an. Kannte er nicht, war aber verhältnismäßig kein so großes Problem. Nicht das angebunden sein, sondern die Geräusche von Geschirr und von meinen Schritten, Stimme...Atem, haben ihm Angst gemacht. Treppen konnte er auch nicht laufen also musste ich ihn tragen. Damals war er ziemlich dürr mit seinen 18-19kg und es ging ohne probleme. Jetzt mit 25 hätte ich keine Chance :hilfe: .


      Wir sind immer raus, wenn nicht viel los war draussen. Sehr früh morgens oder sehr spät abends. Immer die gleiche kleine Runde. Es war die Hölle. Er hatte vor allem Angst und hatte sich in Panik reingesteigert. Sprechen konnte ich anfangs draussen nicht mit ihm egal in welcher Tonlage, weil er sich gefürchtet hat. Autos (auch stehende), Fahrräder, Menschen, Menschenstimmen aus der Ferne, Laternen, Schatten, Plakate - irgendwie gabs NICHTS was ihm keine Angst machte. Ich konnte nichts anderes tun ausser souverän bleiben und versuchen ihn leicht zu fixieren, bevor er anfängt sich zu drehen und komplett in Panik gerät.


      Das ausschlaggebende war meine Hündin. Er hat sich 100% an ihr orientiert. So ist er in weniger als einer Woche stubenrein geworden und von mir kam nichts. Ich konnte ihn draussen nicht loben fürs Geschäft usw. Das füttern war auch so ein Problem. Mundgerechte leckerlies nam er sofort entgegen (zu hause), sobald aber eine größere Menge im Napf oder ein Rinderohr o.a. da war hat er Panik bekommen. So als würde ich ihn angreifen und töten wenn er sich dem Futter nur nähert. Das erklärte auch sein Gewicht, obwohl es im Tierheim Futter im Überfluß gab.
      Und so haben wir Schrittchen für Schrittchen Fortschritte gemacht. Große Freude als er das erste mal auf seinen Namen reagiert hat. Große Freude als er nicht weggesprungen ist, als ein Fahrrad an uns vorbeigefahren ist usw. usf. Monatelang war hier ein Ausnahmezustand. Er lernte mir zu vertrauen und konnte auch unbekümmert fressen wenn ich da war.


      Er hatte Aufgrund von der Panik und auch dem Aufwachsen auf 2x5m Zwinger eine sehr schlecht entwickelte Motorik. Er stolperte in seinen eigenen Füßen und konnte Distanz nicht einschätzen also prallte er immer gegen die Wand. Da haben Tellington-Touches und Bodenarbeit Wunder bewirkt.


      Wenn man ihn jetzt zwei Jahre später sieht glaubt man kaum, wie er am Anfang war. Seit einem halben Jahr kann ich auch ohne meine Hündin nur mit ihm raus. Die letzte große Freude war, als wir draussen waren - beide offline. Sie haben einen Menschen kommen sehen und Max hat MICH angeschaut und nicht meine Hündin. Ich habe "ist gut" gesagt und dann hat er unbeschwert weiter geschnuppert. Er fährt jetzt gerne Auto, obwohl er am Anfang Panik davor hatte und immer gekotzt und wie verrückt gehechelt hat. Zu fremden Menschen geht er teilweise auch, besonders wenn es Frauen sind und lässt sich von ihnen streicheln. Wenn ich sowas sehe könnte ich einen Luftsprung machen.


      Nichtsdestotrotz wird er nie ein normaler Hund werden. Kleinste Veränderungen seiner Umgebung (eine Tasche auf dem Tisch) machen ihn unsicher. Ich könnte nie mit ihm in die Stadt spazierengehen o.ä. Wir arbeiten sehr hart an die impulskontrolle und haben riesenerfolge erzielt bei Situationen, bei denen er sich erschreckt und einen Satz macht. Mit einem ruhigen "Max ist gut" kann ich ihn fast immer aus seiner Panik rausholen.


      Max ist kein sensibler Hund. Er zeigt auch sehr oft Souveränität und wäre er normal aufgezogen worden, so dass kein Deprivationsschaden entstanden wäre, wäre er eine wesensfeste "coole Sau" gewesen. Richtig schade aber...hätte, würde, sollte...gell :)


      Und hier ein Paar Vergleichfotos.


      Einmal von ganz am Anfang:


      Und zweimal aktuell:


      http://up.picr.de/19497589wj.jpg


      Edit by Mod: Das letzte Bild war doch zu groß!
      Bei Hochkanntbildern darauf achten, daß die längste Seite eine andere ist, und dementsprechend die Einstellung ändern!

    • ist doch ein pfiffiges Kerlchen draus geworden. Gratuliere.


      Jedenfalls denkt man nicht das der Hund auf den letzten zwei Bildern irgendetwas mit dem oberen zu hätte.

    • Eure Stories kommen mir auch sehr bekannt vor. Ich bin mir inzwischen auch ziemlich sicher, dass Camillo einen solchen Schaden hat. Eigentlich könnt ich euch alle zitieren und daraus unsere Geschichte schreiben.


      Für mich das schlimmste bzw. schwierigste ist das gestörte Lernverhalten. Die Tatsache, dass er einfach kaum was draußen lernt und überhaupt nichts generalisiert. Wie oft muss man sich draußen anhören, ohne Kontakt zu Artgenossen bleibt der immer so, der muss da durch, geht doch mal in eine Hundeschule, wie 2.5 Jahre haben Sie den schon und der ist immer noch so? Tja, wäre ja auch alles kein Problem, wenn der Hund lernen würde... aber die Problematik Deprivation kennt dann keiner, niemandem sagt das was. Ich trainiere, immer, seit Jahren, und es tut sich was, eigentlich hat sich sogar sehr, sehr viel getan. Nur sind es halt kleine Schritte. Von einem normalen Hund ist er trotzdem noch weit weg und wird das auch nie mehr alles lernen können.

    • ja camillo, die fehlende fähigkeit zum generalisieren ist schon happig.


      ich finde die "anfälle" ganz schön krass. plötzlich wie aus dem nichts durchdrehen, um sich schlagen, maschinengewehrgebell. ins nichts, in den himmel. unsere verhaltenstierärztin hat uns vorgeschlagen eine art stoffsack dabei zu haben damit wir sie abschotten können. eine idee ist's wert.

    • Bei solchen Situationen setze ich immer auf das generalisierte Beruhigungssignal. Das wird eben so konditioniert, dass man in fast jeder Situation zu dem Hund durchdringen kann, weil das durch das vegetative Nervensystem gesteuert wird.


      Wie ich vorher geschrieben habe ist das "ist gut" in einer neutralen Tonlage bei uns. Aufgebaut habe ich es in ruhigen Situationen wenn wir zusammen auf den Boden liegen, ich streichel ihn oder es gibt eine Tellington Massage, Hund ist komplett entspannt und säufzt ab und zu vor sich hin. Dann sage ich immer "ist guuuut".


      Wenn es schon fest sitzt, also nach einer Weile, wende ich es draussen an. Die Reaktion vom Hund ist erstaunlich. Er erschreckt und zuckt mit Ansetzen zur Flucht und dann sage ich "ist gut". In der selben Sekunde sieht man wie die Mimik sich entspannt und die Rute wieder aufgestellt wird.

    • Das sind ja echt eine Menge interessanter Geschichten hier.
      Ich hatte viele Jahre einen Hund, Kato, der dieses Jahr leider gestorben ist, der irgendwie auch in diese Kategorie reinpasste.
      Ich habe ihn mit ca. 6 Monaten von einer Organisation übernommen, Vorgeschichte unbekannt. Er war aufgeweckt, etwas hyper und hat sich sofort komplett an meiner älteren Hündin orientiert.
      Ich habe fast zwei Jahre keinen richtigen Zugang zu ihm gefunden. Er hat nie meine Nähe gesucht, mich immer nur interesselos angeguckt, wenn ich nach hause kam. Draussen war es ihm völlig wurscht, wo ich war. In der Hundeschule war er ein Streber, ansonsten gehorchte er gar nicht.
      Er brauchte ganz klare Linien zuhause, nichts durfte sich ändern. Stand sein Fressnapf mal etwas versetzt, wurde nicht gefressen, er konnte nur neben mindestens 3m hohen Zäunen kacken. Und die mussten links von ihm stehen. Alles irgendwie verquer, hab den Hund nicht kapiert.
      Es war total schwer für mich, einen Hund zu haben, der sich so gar nicht an mich binden wollte oder konnte. Mit mir und meiner Hündin war alles so harmonisch (sie war ein perfekter Anfängerhund für mich gewesen), ich habe so an mir gezweifelt.
      Ich war überfordert und ratlos, hatte wenig Hundeerfahrung, und die Enttäuschung, dass mein Traum vom Zweithund nun so aussah, war schon gross.
      Dann sind wir umgezogen. Das hat ihn schwer aus der Bahn geworfen. Als er mit meiner Hündin das erste mal zusammen alleine im neuen Haus war, bekam ich beim Heimkommen den allerersten "ich bin so froh, dass Du wieder da bist" Wedler! Und da war das Eis irgendwie gebrochen zwischen uns. Auf einmal existierte ich in seinem Mikrokosmos.
      Mittlerweile hatte leider ein anderes Problem angefangen. Er fletschte fremde Leute an, wenn sie ihn ansahen. Wenn ihm jemand zu nahe kam, biss er ohne Warnung. Besuch versuchte er an den Füssen aus dem Haus zu ziehen. Ich durfte immer alles mit ihm machen, da gab es nie Probleme. Ich war bei Verhaltenstherapeuten, Tierärzten, kam aber nicht weiter.
      Anderen Hunden näherte er sich bis zum Schluss immer sehr machomässig, aber es endete fast immer so, dass er sofort einen auf die Mütze bekam, weil da ganz offensichtlich in der Kommunikation was so überhaupt nicht richtig lief. Er hat niemals einen anderen Hund verletzt, selber aber ein paar Löcher abgekommen. Man konnte den anderen Hunden förmlich ansehen, dass sie ihn nicht verstanden. Innerhalb meines kleinen Rudels (eine lange Zeit 2 andere Hündinnen und auch einige Pflegehunde über die Jahre) lief es aber ok, bis auf einen Rüden, der Kato dann auch richtig gebissen hat (er hat sich nie gewehrt).
      Er mochte keinen Körperkontakt, weder mit Menschen noch Hunden, und spielte ganz selten. Brauchte ganz viel personal space. Ganz selten liess er sich mal ein bisschen kraulen. Bürsten fand er komischerweise immer ok.
      Über die Jahre wurde er ruhiger und gelassener, so dass Besuch geduldet wurde, solange er ihn ignorierte und ihm nicht zu nahe kam.
      Wie oft musste ich mir anhören "Mein Gott, was musst du dich für diesen Hund verbiegen", "Was hast du denn von diesem Hund, der ist doch nur irgendwie da". Manche Leute kannten ihn 13 Jahre und haben ihn in der Zeit nicht einmal angefasst.
      Wir beide hatten aber nach den ersten Jahren einfach nur die Ruhe weg. Totale Akzeptanz. Er war mein kleiner Autistenhund. Ich wusste, was ich von ihm erwarten konnte, und mehr war eben nicht.
      Ich habe mich darum gekümmert, dass er niemanden gefährdet, und dass andere Menschen ihn einfach in Ruhe lassen. Er hatte keine Umweltängste, das Spazierengehen war immer wunderbar, nicht so, wie bei vielen anderen hier. Seine Welt musste einfach ruhig sein und ohne grosse Veränderungen, dann war alles gut. Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn er in einer Familie mit Kindern gelandet wäre. So hatte er maximal zwei Erwachsene um sich, und musste sich ab und zu mal mit Besuch rumärgern.
      Ich hatte zu keinem Hund eine so enge Bindung, wie zu ihm, so blöd, wie sich das anhört. Wir hatten irgendwie eine Leitung zueinander und waren ohne all das Geschmuse trotzdem ganz tief verbunden. Habe von ihm gelernt, ein Wesen so zu akzeptieren, wie es ist. Ich konnte ihn nicht zu einem normalen Hund ummodelieren. Er war anders. Der einzige Hund, dem ich einen Luftkuss zuwerfen konnte und der sich Meter entfernt angeekelt mit der Pfote das Gesicht abgewischt hat :lol:
      Ich vermisse ihn sehr :( :

    • Oh mann ich lese gerade du hast 2 Hunde in diesem Jahr verloren :( :


      Da habe ich ja richtig Glück mit meiner Donna die geht nicht nach vorne...
      Sie hat halt Angst bzw kann mit vielem nicht umgehen....jetzt habe ich sie ein Jahr und ich bin über ihre kleine Fortschritte sehr glücklich....man wird wirklich bescheiden... :roll: ...


      Viele meinten auch zu mir gib die wieder her was willste den mit der die wird nie was....tja was soll ich sagen...sie ist mein Hund ich habe mich für sie entschieden...ich lasse sie nicht im Stich, schließlich möchte ich ihr Vertrauen gewinnen wäre ich das Wert wenn ich sie aufgeben würde?

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